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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Rudolph Eckhardt.


Im Bowling-Green nächst dem Theaterplatze wanderte eine einsame Gestalt ruhelos auf und nieder. Die beiden Cascaden waren erleuchtet, und immer neue Wogen stürzten rauschend aus einem Marmorbecken in das andere nieder, über die blitzenden Lichtringe hinfluthend, welche, goldenen Reifen gleich, hinter den Wasserschleiern zitterten. Von hohen Candelabern herab schwankte ungewisses Licht auf all’ die farbenbunten Blumenbeete, dunkel begrenzt von mächtigen Platanen, in deren Allee sich die Gruppen der Spaziergänger schattenhaft bewegten, oder an denen Wagen auf Wagen blitzschnell vorüberrollten und mit ihren Lampen gleich feurigen Augen neugierig in die stille Dämmerung hinübergrüßten. Inmitten all’ des wogenden Abendlebens draußen schien Duft, Licht und Frieden sich in diesen magischen Zauberkreis geflüchtet zu haben.

Nichts von Frieden lag aber in Bewegung und Zügen des uns bekannten Wanderers, der dort rastlos auf- und niederschritt. Eckhardt’s Auge schweifte zerstreut über die duftenden Beete, welche sein Fuß streifte, nur zuweilen hob es sich und schien scharf durch die Nacht zu dringen – einem Hause am Theaterplatze zu, dessen Umrisse selbst die davor brennende Gasflamme nicht klar von hier aus unterscheiden ließ.

Wie stürmte es in ihm! Wer es je erlebte, einen geliebten Namen spöttelnd aussprechen zu hören, weiß, daß dies allein schon empfunden wird wie ein Schlag. Erfaßt uns doch schon ein gewisses Staunen, wenn das, was wir im Allerheiligsten unserer Seele vor jedem fremden Hauche schützen, von Dritten überhaupt nur, so obenhin, als Gesprächsgegenstand abgefertigt wird! Und Eckhardt hatte mit anhören, hatte dulden müssen, daß der Name des Mädchens, welche der lichte, unerreichbare Morgenstern seiner Tage war, zum Thema des frivolsten Gespräches – des geringschätzigsten Planes geworden! Und nichts, nichts gab ihm ein Recht, gegen solchen Frevel einzuschreiten – er mußte schweigen, der Ausführung des kecken Spieles unthätig zuschauen – wirklich! konnte, durfte er das?

Obgleich er im Gesellschaftsanzuge seine Wohnung verlassen hatte, jagten sich noch immer Zweifel und Ungewißheit in ihm, ob er sich die Folter dieses Balles auferlegen solle, oder nicht. Der Instinct, sein Theuerstes womöglich zu schützen, trieb ihn vorwärts; der noch stärkere Instinct nahender Schmerzen suchte ihn zurückzuhalten.

Er warf sich mit tiefem Athemzuge auf die Bank gegenüber einer der Cascaden. Achtlos hing sein Auge an der breiten Lichtwoge, welche, über die still gesammelten Wasser des Bassins ausgegossen, dort zu ruhen schien. Mit einem Male trat der Vollmond aus dem Gewölk, ruhig und groß. Ein eigenthümlich besänftigendes Gefühl ergriff den Aufgeregten – die Bürde, welche ihn eben noch so schwer bedrückt, erschien ihm gelüftet, als wäre sie fast geschwunden. Das reine Bild der Geliebten schien ihm hoch über jeder frevelnd ausgestreckten Hand zu stehen – wie das klare, ewige Himmelslicht droben über den zuckenden Flämmchen stand, die vor ihm flackerten. Plötzliche Zuversicht erfüllte das noch immer bewegte Gemüth – sein Gedanke hing an dem edeln Mädchenbilde, er dankte es ihr, daß sie auf der Welt war.

Da stieg neben ihr die Gestalt des Mannes auf, der den Sinnenden heute so aus allen Fugen gerissen, und von Neuem krampfte sich sein Herz zusammen – war dies Herz ein Orakel, oder flohen Ruhe und Sicherheit vor der Erinnerung an Triefels’ Persönlichkeit? Eckhardt leugnete es nicht, ihm war vorher nie seines Gleichen begegnet. Nie hatte eine fremde Individualität so stark auf ihn gewirkt, als diese, deren starkes inneres Leben, sich in allen Facetten reichster Empfindungs- und Genußfähigkeit tausendfältig wiederspiegelte. Verständnißvoll für die feinsten Regungen des Geistes, für jeden Pulsschlag der Begeisterung – einem Cultus des Schönen hingegeben, der den lachenden Himmel heitern Griechenthums über die gegenwärtige Stunde zu wölben verstand – dazwischen selten anklingende, aber volle Harfentöne männlicher Kraft und Ehre – dies Alles zum Bilde verkörpert in einer Erscheinung, die nirgends übersehen, niemals mit Andern verglichen werden konnte – hatte Triefels den jüngeren Mann seit der ersten Stunde des Zusammentreffens zu einer Bewunderung hingerissen, die um so energischer wirkte, als es ihr an Widerstreit nicht fehlte.

Rudolph Eckhardt war ein Charakter von bedeutendem, doch eigenartigem Gepräge und fühlte sich unter den Cameraden einsam und unverstanden. Nichts ist in einem Verbande ganz verschiedenartiger Naturen gefährlicher, als nicht gerade auf der Linie der Mittelmäßigkeit zu stehen. Jedes Hervortreten bringt um so mehr in Gefahr, ironisirt zu werden, als es eine Eigenthümlichkeit mancher geistestiefer Menschen ist, daß sie selbst unbedeutend erscheinen, sobald sie nur über unbedeutende Dinge zu sprechen haben. Triefels dagegen verstand es, jeden schlummernden Funken zu wecken, und hatte sich dem Zurückhaltenden anfangs mit unverhohlener Sympathie zugewandt, ohne sich jedoch je in Aeußerungen eines Wesens zu beschränken, das Eckhardt mitunter aus allen Geleisen schleuderte. Ein keckes Verwerfen allgemeiner Gesetze – ein frivoler Uebermuth, womit Jener hier und da Menschen und Dinge behandelte, und für welchen Nichts zu existiren schien, was ihm ein „Halt!“ zurief – der von feinen Formen verhüllte, darum aber doch dem tiefer blickenden Auge nicht unsichtbare starke Glaube an das eigene Uebergewicht – waren Züge, die Triefels fast geflissentlich gerade in Eckhardt’s Gegenwart aufblitzen ließ und die zu sagen schienen: „ich schätze Dich doch nicht genug, um Deinethalben zu unterdrücken, was mir eben durch den Kopf fährt.“

Heute steigerte sich der innere Widerspruch, der Rudolph seit einigen Tagen bald an diese Erscheinung fesselte, bald von ihr abstieß, fast zum Haß. – Würde – konnte Eugenie dem Zauber des Verwegenen anheimfallen, im Laufe weniger Stunden?! – Alles ist denkbar, Alles war darum auch möglich! Und er selbst sollte ein müßiger Zuschauer bleiben, während mit ihrem Glück, ihrem Frieden gespielt wurde wie mit einem Würfelbecher?

Sie warnen! Der Gedanke war schon wiederholt aufgestiegen, jetzt stand er gleichsam greifbar vor ihm. Eugenie war immer gütig gegen ihn gewesen, er hatte das Bewußtsein, ihr sympathisch näher zu stehen als mancher Andere, und durfte ein freundschaftliches Wort wohl wagen. Und doch klang in ihm ein leisestarker Ton, der abmahnte! Zu sehr war er sich der heiligen Unbeholfenheit bewußt, welche tiefstes Gefühl leicht begleitet, um ein Wort finden zu können, durch welches solche Warnung nicht der Achtung zu nahe treten würde, welche hohe Weiblichkeit als Schutz vor jeder Unbill von selbst umgiebt.

Die Thurmuhr schlug acht; Eckhardt erhob sich. Sein Blick schweifte noch einmal zum Theaterplatze hinüber. Vor dem Eckhause zur Rechten schimmerten zwei Lichtpunkte, die sich eben in Bewegung setzten, und eine Minute später rollte ein geschlossener Wagen dicht am Staket des Bowling-Green vorüber. Eckhardt unterschied im Schein des nahestehenden Candelabers hinter dem Wagenfenster die Gestalt einer wohlbeleibten, reichfrisirten Dame, welche allein den Sitz einnahm. Er folgte dem Wagen mit den Augen, bis er ihn zur Linken des Curhauses dem Parke zurollen sah, und murmelte vor sich hin: „Wirklich, sie fährt nach der Villa.“ Dann ging er festen Schrittes dem Curhause zu.

(Fortsetzung folgt.)




Aus den Bergen.


Wie der Rhein mit seinen Rebgeländen und Burgen, wie das Meer mit seiner träumerischen Weite den einen Theil des Reisepublicums anzieht, so locken die grünen Matten und hellglänzenden Firnen der südlichen Gebirgswelt den Touristen, und wer einmal dort gewesen in den Bergen und mit Sitten und Gebräuchen daselbst sich vertraut gemacht hat, kommt immer gern wieder und fühlt das Herz aufgehen, wenn er im Nachen den tiefblauen Alpensee befährt und von der „Alm“ herunter einen fröhlichen „Juchazer“ hört.

Aber unsere Bergbewohner sind auch ein gar biederer Schlag Leute, rauh oft von außen, aber brav von innen, und wem so ein derbbeschuhter Sohn der Berge einmal recht herzlich die Hand drückt, der mag über die allzu große Herzlichkeit vielleicht nicht sehr erbaut sein und mit Bangen die losgelassene Hand betrachten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_534.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)