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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

aber – es war gut gemeint. Und da muß man unseren Bergbewohnern schon etwas nachsehen.

Wie der Flachländer, so hat auch der Gebirgler seine „Passionen“. Nicht die geringste ist das „Jagen“. Wenn aus fast allen „Schnaderhüpfeln“ ’s Deandel und die Cither herausklingen, so muß als Dritter im Bunde der „Stutzen“ dabei sein. Ein „Gamsei abischieß’n“ ist einer der seligsten Augenblicke des Gebirglers. Das Jagen liegt ihm im Blute und er ist darin fürwahr ein würdiger Nachfolger unserer Altvordersten. Je mehr vollends Gefahr dabei, desto größer ist der Reiz. Galt doch überhaupt zu allen Zeiten, um die Kraft und den Muth des Mannes zu erproben, die Jagd als die ehrenvollste, welche die meiste Gefahr bot. Und wenn die Helden Griechenlands sich um Jason, Theseus, Nestor versammelten, um den kalydonischen Eber zu jagen, wenn Hercules seinen Ruhm durch den Sieg über den Eber von Erymanthos erhöhte, wenn man in Ostindien Elephanten und Tiger jagt, so unterscheidet sich davon natürlich die Jagd in unseren südlichen Bergen wesentlich, erfordert aber gleichwohl ebensoviel Muth wie Ausdauer, wenn der Bergschütze der Gemse in die Regionen der Wolken nachsteigt, wo jeder Fehltritt den sichern Tod in Aussicht stellt.

Unsere modernen Schießwaffen haben sich in der Hütte des Gebirglers noch nicht eingebürgert und mit „Hinterladern“ hat er nichts zu schaffen; wenn ihm aber ein Stück schußgerecht ist, so „tragt“ seine Kugelbüchse „halt“ schon auch „sakrisch weit und ’s Gamsei gehört ihm“.

Das Jagen auf den Bergen ist nämlich nach den Begriffen und Anschauungen dieser Natursöhne frei. Unser Herrgott läßt die „Thierln“ da droben für Alle herumlaufen, meint er, und so leicht es dem hochwürdigen Herrn gelingt, dem Sohne der Berge in seiner Gutmüthigkeit den Glauben an die „unbefleckte Empfängniß“ oder an die „Unfehlbarkeit“ beizubringen, auf so große Schwierigkeiten dürfte Hochwürden stoßen, wollte er dem eingefleischten Gebirgssohne einen überzeugenden Begriff von Jagdhoheit, Jagdrecht etc. beizubringen versuchen.

Und diese Lust am Jagen ist den Burschen wie in’s Herz gewachsen, und wenn einer heraus auf’s Flachland „verschlagen“ wird, so fehlt ihm etwas, und kommt die Rede zufällig auf’s Schießen und die kecke Jagd in den Bergen, da blitzen die Augen lustig auf, und die Hände jucken, als faßten sie den Schaft der Büchse, und in der Fremde sind es gewiß die schönsten Träume des Gebirglers, wenn ihm träumt, wie er in frühester Morgendämmerung der Gemse nachsteigt oder auf dem Wechsel sich anbürscht und lautlos harrt, bis die Beute kommt.

Mühen und Strapazen bringt die Jagd in den Bergen an und für sich mit, wenn dieselbe aber unberechtigt getrieben, das heißt wenn „gewildert“ wird, so häufen sich dieselben und gesellen sich Gefahren aller Art dazu. Doch gerade das lockt den „Wilderer“ und hat für ihn besondern Reiz. Er kennt alle Wege und Stege, alle Wechsel und Schlupfwinkel in den Bergen, und keine Stunde ist ihm zu früh oder zu spät, wenn er wildern geht, kein Weg zu lang, kein Steg zu gefährlich, wenn es gilt, den wachsamen Jäger zu täuschen und ein Stück Wild auf eigene Faust zu schießen.

Er weiß, was ihm droht, wenn ihn der Jäger erwischt. Wilderer und Jäger sind die erbittertsten Feinde und gehen sich häufig aus dem Wege; denn stehen sie einander einmal gegenüber, Aug’ in Aug’, Jeder im Anschlag, wird’s sehr ernst und meist ist’s um Einen geschehen.

Doch auch das Bewußtsein, schwere Strafe im Betretungsfalle zu erhalten, selbst das Risico, von des Jägers Kugel zu fallen, vermag der Lust zum „Wildern“ keinen Einhalt zu thun, und wir glauben, es liegt dies dem kecken Sohn der Berge so im Blut, daß er davon nicht ließe, wenn auch wie im fünfzehnten oder sechszehnten Jahrhundert, die Strafe für Wilddieberei in Rädern, Kreuzigen, Lebendigbegrabenwerden unter Steinen, Schmieden auf Hirsche, Abhauen der rechten Hand etc. bestünde.

„’s nutzt holter Alles nix und wenn mer a obi putzt wer’n, mer loss’n ’s doch nit,“ war die Schlußentgegnung eines Fährmanns auf einem Bergsee, hinter dem wir nicht mit Unrecht einen Wilderer vermutheten und dem wir das Unberechtigte und Gefährliche seines Treibens vorzustellen suchten. „’s nutzt holter doch nix,“ gab er uns zur Antwort, „d’Jaga geh’n uns schon aus dem Weg’, weil s’ wissen, daß wir kein’ Spaß verstehen.“ Da mache Einer nun länger Besserungs- und Bekehrungsversuche.

Die Jäger gehen aber nicht immer aus dem Wege, sondern dem Feind in ihrem Gehege oft gar fleißig und unverdrossen nach, und wenn sie sich gegenüberstehen, Beide allein, da kommt häufig nur Einer von Beiden heim. Der Andere bleibt verschollen, denn er wurde von der Kugel des Feindes über einen Felsen gestürzt, tief in einen Abgrund, wo kein menschlicher Fuß hinkommt, oder, wo eine Grenze ist, hinunter über ein Joch geworfen. In der Erbitterung kennt der Ueberlebende häufig keine Mäßigung mehr. Natur und stete Gefahr stählen eben die Nerven und härten das Gemüth.

Von den an Felswänden und Baumstämmen angebrachten frommen Bildern, im Volksmund „Marterln“ geheißen, haben nicht wenig Bezug auf irgend ein Vorkommniß, wobei das Blut der Thiere mit dem der Menschen sich mischte. Das sind die dunkelsten Seiten des Wildschützenlebens, und uns speciell ist ein Fall erinnerlich, der vor einigen Jahren sich zugetragen. Am Eibsee, einem nicht gar großen, düstern, von Wänden fast ganz eingeschlossenen See an der bairisch-österreichischen Grenze, hart am Fuße der Zugspitze, hatte sich seit vielen Jahren eine Zigeunerfamilie angekauft und angesiedelt. Ein Sohn derselben machte sich gar bald die unerlaubte Passion für das edle Waidwerk so zu eigen, daß er gleich einem eingeborenen Wildschützen das gefährliche Handwerk leidenschaftlich betrieb. Das Ende sehen wir auf dem Bilde, das Gustav Sundblad charakteristisch wiedergegeben hat. Der Wildschütz ist droben zwischen zerrissenem Felsgestein gefunden worden, von einer Kugel durchbohrt. Ob er angegriffen, ob er meuchlings gefallen, ob Nothwehr oder Rache das Geschoß geleitet, wer kann’s hinterher sagen, und der Wildschütz hätte es vielleicht selbst verschwiegen, wenn er noch lebend getroffen worden wäre. Die „Commission“ hat den Befund an Ort und Stelle aufgenommen und zu Protocoll gegeben, es wird sich eben, wie meist in solchen Fällen, nicht viel herausstellen. Der Leichnam wird den Angehörigen überlassen. Der überlebende Bruder hat ihn aus den Bergen heruntergebracht und bringt ihn auf dem „Einbaum“ über den See zu den Seinen. Grollender Donner und zuckende Blitze sind sein Geleite auf der düstern Fahrt. Und wenn der Fährmann auch in dem gesetzwidrigen Treiben des Erschossenen keineswegs ein Unrecht sieht und vielleicht dem Jäger flucht, der nicht schießen läßt, was frei in den Bergen herumläuft, so bekreuzt er sich doch im selben Augenblick gar andächtiglich, wenn der Blitz niederfährt und der Donner krachend wiederhallt von den Bergen, denn bigott bleibt der Wilderer immerhin, und wie es schon vorgekommen, daß ein „kraftadliger“ Niederbaier der Mutter Gottes das Messer weihte, womit er bei Raufhändeln einen Anderen erstochen, so kommt es vor, daß der „Wildschütz“ zu irgend einer schwarzen oder braunen Mutter Gottes sich verlobt, oder beim Fortgehen aus dem Hause sich andächtig mit dem „Weihbrunn“ besprengt, auf daß sein unerlaubtes Thun ihm glücke. Dahin ist der von Grund aus schlichte und leichtgläubige Sohn der Berge durch wohlgeplanten geistlichen Einfluß gekommen.

K…lp.




Was die heutige Wissenschaft vom Blitz erzählt.


Von H. J. Klein.


Ueber das Gewitter, so denkt gar Mancher, läßt sich nicht viel Neues mehr sagen, denn das ist eine allbekannte Erscheinung, die Jeder hundertmal erlebt hat. Diese Meinung ist eine grundfalsche, denn das Gewitter ist eine Naturerscheinung, welche selbst der heutigen, so weit fortgeschrittenen Wissenschaft noch sehr viel Geheimnißvolles bietet. Freilich, wäre es mit dem bloßen Erleben eines Gewitters gethan, so würde man diese großartige Erscheinung längst genau genug kennen. Aber was giebt das bloße Sehen des Blitzes und das Hören des Donners für einen Aufschluß über die Natur des Gewitters? Unter tausenden von

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