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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Als er Alles soweit angeordnet, kehrte er sich wieder dem Bischof zu mit den an ihn gerichteten Worten: „Ich habe hier unten eine gute Sache und da droben einen gnädigen Gott für mich.“

„Ja, Sire“, erwiderte Juxon, „Ihr habt nur noch einen Schritt zu thun, einen angstvollen, aber kurzen Schritt; bedenkt, wenn Ihr ihn thut, daß er Euch eine große Reise vollbringen und von dieser Welt in jene gelangen läßt.“

„Ich werde es wohl bedenken,“ lautete die Antwort, „ich lasse eine Krone irdischer Unruhe, um eine der himmlischen Ruhe zu erlangen. Was zögre ich also?“

Und somit kniete er nieder, neigte sein Gesicht auf den Block, betete kurz und gab das verabredete Zeichen, worauf der eine Verlarvte mit einem gewaltigen Hiebe das Haupt vom Rumpfe trennte, und der andere, dasselbe hoch in die Höhe hebend und dem Volke zeigend, mit lauter Stimme ausrief: „Seht hier den Kopf eines Hochverräthers!“

So starb Karl der Erste, ein Fürst, der sich durch geistige Bildung, Wohlwollen, Reinheit und Strenge der Sitten sowie durch manche andere gute Eigenschaft auszeichnete. Man begrüßte ihn beim Antritt seiner Regierung mit freudigem Jubel und hoffte das Glück des Landes von ihm. Leider sollten blinde Hartnäckigkeit im Behaupten königlicher Vorrechte, beständige Geldnoth und religiöse Verwirrungen alle diese günstigen Erwartungen vernichten, den Bürgerkrieg heraufbeschwören und den unseligen Mann einem blutigen Verderben weihen.

Als Cromwell, der Besieger des unglücklichen Königs, dessen Kopf aus dem Sarge nahm und ihn betrachtete, murmelte er leise für sich in den Bart: „Es war ein kräftiger Körper, der ein langes Leben verhieß.“ Auch er selbst war von starker Constitution und schien für ein langes Dasein geschaffen, dennoch erreichte er nur das Alter von neunundfünfzig Jahren, obschon er mäßig, äußerst gesetzt und wie ein bürgerlicher Hausvater lebte. „Er war ein treuer Freund, ein zärtlicher, liebevoller Gatte und Vater, gegen seine alte Mutter voll der höchsten Ehrfurcht bis an ihren Tod, als Feind versöhnlich, bei allen religiösen Verirrungen ein frommer Christ, als Feldherr voll Heldenmuth und glücklich, als Regent nur auf das Wohl des Volkes bedacht, so daß er die innere Verwaltung des Landes geordnet, das Ansehen desselben nach außen befestigt hinterlassen konnte. Seine Soldaten ehrten ihn; das ganze Land gehorchte ihm; von allen auswärtigen Mächten wurde er gefürchtet.“ Aber die Sorgen und Mühen einer stürmischen Regierung rieben ihn auf. Er wurde sehr bald mürrisch, trübsinnig, verschlossen und mißtrauisch. Seine Lage war keine glückliche. Ein Feldherr von ausgezeichnetem Talente, wie alle und selbst seine strengsten Beurtheiler einräumten, fand er nach der Besiegung der Royalisten und der Vertreibung der Stuarts nirgend mehr eine rechte Gelegenheit dasselbe zur Geltung zu bringen. Macaulay hat ohne Zweifel Recht, wenn er sagt: „Nichts hatte Cromwell in seinem eigenen wie in dem Interesse seiner Familie so sehr zu wünschen Ursach, als einen allgemeinen Religionskrieg in Europa.“ In einem solchen Kriege hätte er der Führer der protestantischen Armeen sein müssen. Wäre er wie Gustav Adolph ausgezogen, seine Mannszucht, sein Puritanerwesen, sein militärisches Genie würden Wunder gewirkt haben. Er war der echte Held eines Glaubensheeres und er hätte unbedingt, wo er auch immer gekämpft, in seinen Kämpfen große Erfolge errungen. Daß aber das Herz Englands mit ihm gewesen wäre und man seine Siege mit einem einstimmigen Enthusiasmus begrüßt hätte, wie er seit der Vernichtung der spanischen Armada im Lande unbekannt geblieben, das liegt außer allem Zweifel, und eben so wenig zu bezweifeln ist, daß solche kriegerische Triumphe den dunklen Flecken sehr verwischt und übertüncht hätten, den die Hinrichtung des Königs nicht nur auf seinen Namen, sondern auch wohl auf sein Gewissen geworfen hatte. Er würde in sich noch mehr und bestimmter, als ohne dies, das Rüstzeug Gottes erkannt und im Sturm und Drang großer Ereignisse sich über den Zwiespalt hinweggesetzt haben, dem in einer stilleren und ruhigeren Zeit seine Seele und zum Theil auch sein Charakter zum Opfer gefallen sind.

Ein Mann des Schwertes und der Abgott seiner Soldaten, wagte er nicht, sich zum Könige krönen zu lassen, weil diesen puritanischen Kämpen und Gottesstreitern das Königthum zuwider war, und doch kam er in die Lage, zuweilen despotischer zu regieren, als das je ein König zu thun sich erlaubt hatte. Würde er das mit der Krone auf dem Haupte und dem Purpur um die Schultern gethan haben, die Cavaliere hätten ihm das sicherlich verziehen und nach und nach an seinem Hofe sich eingestellt, um als hohe Peers des Königreichs ihre Obliegenheiten wieder aufzunehmen. Sie konnten wohl die Stuarts, nicht aber den Verlust ihrer eigenen Staatsstellung verschmerzen. Cromwell war klug genug, dies einzusehen, zermarterte sich aber vergebens den Kopf nach einem Auskunftsmittel. Mit seiner Armee durfte und mochte er es nicht verderben. Sie war seine Hauptstütze und er liebte sie. Auch hatte wohl der königliche Pomp nur wenig Reiz für ihn. Er begriff indeß vollkommen, daß er desselben der Gentry gegenüber bedurfte. Hätte er als König von England nach dem alten Brauche die Peers des Königreichs zu sich in’s Parlament berufen, viele wären sicher einem solchen Rufe gefolgt. Aus Rücksicht für das Heer konnte er das jedoch nicht, und so kam es, daß er den Häuptern der ersten Familien als Lord Protector – ein nur klägliches Auskunftsmittel in dieser politischen Verlegenheit – vergebens Sitze in seinem neuen Senate anbieten ließ. Er blieb die ganze Zeit seiner Regierung hindurch so zu sagen zwischen Baum und Borke, und dieser Zustand, der unausgesetzte Reibungen, Aufstände und Mordpläne hervorrief, rieb ihn auf, quälte ihn, machte ihn sorgenvoll und unruhig. Cromwell hat traurige Tage verlebt und ist zuletzt sogar uneins mit seinem Gott geworden, mit dem er sich doch sonst immer gut gestanden. Als er mehr und mehr hinfällig wurde und sich seinem Ende nahte, hörte man ihn häufig sehr geängstigt rufen: „O, es ist eine gar fürchterliche Sache, sterbend in die Hände eines ewig lebenden Gottes zu fallen!“ Ein anderes Mal stöhnte er: „Ich empfinde wohl, daß ich die elendeste Creatur der Erde bin, aber ich liebe Gott, oder richtiger gesagt, doch bin auch ich von Gott geliebt.“

Seine letzten Lebenstage brachte er in unausgesetztem Gebet zu. Die Worte, die man zuletzt von ihm hörte, waren die folgenden: „Ich möchte wohl noch leben, um auch ferner Gott und seinem Volke zu dienen; aber mein Werk ist gethan. Gleichwohl wird Gott mit seinem Volke sein!“

Im Uebrigen hörte man ihn nur noch unverständliche, abgebrochene Reden führen, Reden, in denen er sich selbst schwer anzuklagen und mit vernichtender Schärfe sein eigenes Handeln zu verurtheilen schien. Bis in seine Sterbestunde hinein spielte also der Zwiespalt seines Lebens, und er gab seinen Geist gleichsam unter dem Druck und den dunklen Schatten desselben auf.

Ganz ruhig, in Gott gefaßt, starb Maria die Zweite von England, die Gattin Wilhelm des Dritten, die sich dem Tode willig hingab, so glücklich und ruhmreich sie auch mit ihrem Gemahle lebte. So oft man sie auf ihrem Sterbebett fragte, was ihr wohl Linderung und Erleichterung verschaffen könne, stets antwortete sie: „Nichts thut mir so wohl als Gebet.“

Wilhelm der Dritte, der bei ihrem Tode in Verzweiflung gerieth und jammernd ausrief: „Ich war der glücklichste Mann auf Erden und werde hinfort der allerunglücklichste sein. Sie ist ohne Fehler gewesen; Niemand kann wissen, wie gut sie war, als ich!“ – Wilhelm der Dritte folgte ihr in einigen Jahren in den Tod nach und erlitt ihn ganz ebenso ergeben und gefaßt wie sie. Er traf alle nöthigen Anordnungen und nahm einen rührenden Abschied von seiner Umgebung und seinen Freunden. In seinen letzten Augenblicken ruhte unablässig seine Hand auf seiner Brust und als er geschieden war, zeigte sich, daß sie dort ein Stück Silberband gehalten, welches er auf der bloßen Brust trug und worin sich der Trauring und eine Locke seines ihm vorangegangenen Weibes befand.

So bürgerlich starb Wilhelm, einer der klügsten Monarchen und besten Kriegsherren, die es je gegeben, dabei ein Mann, der meist einsylbig, verschlossen und von wenig romantischem Wesen erschien.

Traurig und ziemlich trostlos ist der Lebensauslauf von Ludwig dem Vierzehnten, diesem prächtigen und pomphaften Herrscher, der sich von dem Königthum eine fast göttliche Vorstellung gebildet. Nach einem geräuschvollen, glänzenden und glücklichen Dasein überschlich ihn ein trübseliges, stumpfsinniges und langweiliges Alter. Seine Politik litt überall Schiffbruch, seine Armee Niederlage über Niederlage, rings um ihn raffte der Tod alle seine Lieblinge hinweg. Still und einsam saß er zu Versailles, diesem Memphis der bourbonischen Dynastie,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_545.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)