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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wie eine geschminkte und aufgeputzte Leiche, um in die frommen Unterhaltungen der Frau v. Maintenon hineinzugähnen. Als er kaum noch sich aufrecht zu erhalten vermochte und bereits ein ganz entstelltes Gesicht hatte, ließ er doch noch Gesellschaft um sich versammeln und von Lully’s Capelle heitere Weisen spielen. Er repräsentirte bis in den Tod hinein, dieser Grand Seigneur, der da meinte, daß er damit auch schon ein großer König sei.

Nichts ist gravirender und schneidender für seinen Ruhm und sein ganzes langes Leben als jener Spottvers, den man seiner Leiche nachsang und der da lautet:

Daß er im Grabe endlich ruht,
Das ist für ihn und Alle gut.
Auf seinem Thron, im Sarg von Erz,
Stets ist er Herrscher ohne Herz.

Sein Herz wurde bei der Einbalsamirung bekanntlich herausgenommen und besonders in einem goldenen Behälter aufbewahrt.

Ludwig der Fünfzehnte sollte beim Austritt aus dieser Welt noch eine ganz eigene Erfahrung machen. Als dieser allerabsoluteste König im Sterben lag, verordnete ihm sein Arzt noch eine Medicin, die er sich jedoch zu nehmen weigerte. „Er muß! Er muß!“ rief der Doctor, indem er den Dienern befahl, dem Herrscher die Medicin einzugeben. Als derselbe sie verschluckte, murmelte er zwischen den Zähnen: „Muß, muß!“ Er hatte nie in seinem Leben gemußt; nun sollte er im Verscheiden noch kennen lernen, daß es auch für Könige ein Muß giebt.

Friedrich dem Großen blieb von all seinem Ruhme, seinen Siegen im Tod nichts als eine menschenverachtende Bitterkeit. Er verlangte in Einem fort von seinem Kammerdiener, neben seinen Hunden und Pferden begraben zu werden. Von Menschen wollte er nichts wissen. „Wohl uns, der Berg ist überschritten!“ lautete sein letzter Seufzer. Wie bekannt, war es nur der General Möllendorf, welcher Friedrich den Zweiten beweinte, dessen fast alleiniger Gesellschafter er in den letzten Lebensjahren gewesen. Das Dasein des großen Königs und Feldherrn lief in Vereinsamung, Verkennung und Trostlosigkeit aus. Von den schönen, musikdurchrauschten Nächten zu Reinsberg, von dem heitern Umgange mit französischen Gelehrten und Dichtern, von epochemachenden Siegen und Eroberungen blieb dem großen Regenten nichts als Podagra, grämliche Tage, gründliche Menschenverachtung und Liebe zu seinen Hunden.

Dieses traurige Ende ist vielen Geschichtsschreibern die Veranlassung geworden, den genialen Monarchen in seinen Thaten und Erfolgen zu verketzern. Onno Klopp hat daraus eine Menge von Anklagen und Verdächtigungen geschmiedet und selbst Macaulay Manches gefolgert, das für das Ansehen und den Ruf des großen Königs gravirend ist. Nur freilich ist der englische Historiker weit davon entfernt, mit der Verbissenheit und blinden Wuth zu verfahren, wie unser deutscher historischer Klopffechter. Jener weiß doch immer die Vorzüge Friedrich’s zu schätzen und seine schließliche Verlassenheit und Verstimmung in den richtigen Ursachen zu suchen.

Die unaufhörlichen Kriege, welche Preußen so wesentlich vergrößert und zur Großmacht erst eigentlich gestempelt, hatten allerdings das Land entvölkert und verwüstet und ihm damit die Unbefangenheit genommen. Die Leiden, welche die damalige Bevölkerung erduldet, waren viel zu niederdrückender Art, als daß man über sie hinweg sofort zur Würdigung des Geleisteten hätte kommen können. Erst die Nachwelt konnte das thun. Friedrich selbst jedoch mußte den Rückschlag seiner siegreichen Feldzüge schmerzlich genug empfinden und diese Empfindung durch den hier schwer in’s Gewicht fallenden Umstand gesteigert sehen, daß er durch die strenge, unliebsame und bärbeißige deutsche Erziehung seines Vaters sich aus natürlicher Opposition recht geflissentlich in die französische Bildung und Literatur hineingetrieben sah. Von classischen Studien fern gehalten, vergaffte er sich in deren steife und unfruchtbare Nachahmung so sehr, daß er dadurch dem Geiste des deutschen Volkes sich entzog und schließlich als Fremdling in seiner eigenen Schöpfung dastand.

So weit reicht seine Schuld, aber nicht weiter, und Alles, was Onno Klopp zu folgern sich bemüßigt sieht, ist leergedroschenes Stroh auf der Tenne der Parteilichkeit.

Ludwig der Sechszehnte nahm seinen Tod hin, wie er Alles hingenommen, was ihm zustieß, ohne Größe, ohne Geste, ohne Declamation. Man hat eine Art Tagebuch von ihm gefunden, und dieses Tagebuch kennzeichnet den Mann, wie er war, in erschreckender Weise. „Nichts“ – dieses kurze, einsilbige Wort ist die einzige Notiz, die sich darin unter dem Datum des 14. Juli 1789 findet. Nichts! Und an diesem Tage nahm das Volk die Bastille!

In einem gelblichen Ueberrocke, mit dem Hute in der Hand, erschien er vor dem Convent. Der Präsident giebt ihm die Erlaubniß sich zu setzen, und er setzt sich, um auf die abgeschmacktesten Anklagen in beinahe umständlicher Auseinandersetzung zu antworten. Nichts beleidigt oder empört ihn. „Mein Gewissen ist rein,“ versichert er, indem er hinzusetzt: „man wirft mir vor, ich habe Blut vergießen wollen, und diese Beschuldigung zerreißt mir das Herz.“ Diese Auslassung ist von rührender Einfalt, nein, beinahe abgeschmackt. Ludwig’s Geist war allem Affect, aller Emphase fern, unbeholfen, linkisch. Es wäre ihm leicht gewesen, zu rühren, zu erschüttern. „Ihr klagt mich an, daß ich habe Blut vergießen wollen. Hätte ich’s vergossen, so flösse jetzt meines nicht!“ Wie nahe lag ihm eine solche Wendung! Aber sie kam ihm nicht in den Sinn. So zugespitzt, so scharf, so dramatisch zu sprechen, lag nicht in seiner Art. Breit erging er sich, ängstlich, daß man ihm etwas Uebles nachsagen möchte. Die Geister zu entflammen, das Mitleid zu wecken, seine Feinde niederzudrücken mit der Wucht seiner Rede, seines Blickes – das fiel ihm nicht ein. Er war der echte Philisterkönig, der Monarch, der im Purpur wie in einer ungewohnten Verkleidung ging. Er starb wie ein Spießbürger.




Blätter und Blüthen.


„Die Gartenlaube“ zur See. In diesen Tagen wird in Stralsund ein Schiff von Stapel laufen, welches den Namen „Die Gartenlaube“ führt. Die sehr ehrende Theilnahme, welche durch diese Namenswahl sich für unser Blatt bethätigt, verpflichtet uns, unsern Dank dafür öffentlich auszusprechen. Der Stralsunder Kaufmann und Rheder, Herr Gustav Siewert, schreibt uns darüber: „So wie man einem Kinde beim Eintritt in’s Leben gern den Namen eines geliebten Menschen beilegt, gleichsam als ob man mit dem Namen die liebenswürdigen Eigenschaften desselben auf den jungen Weltbürger übertragen wolle, ebenso ist es mit einem Schiffe, das den sichern Stapel, auf dem es erbaut, verläßt, um auf gefahrvollem Meere Jahre hindurch den Elementarkräften zu trotzen … deshalb hege ich den Wunsch, dieses mein schönstes Schiff mit dem Namen ‚Die Gartenlaube‘ zu benennen.“

Es versteht sich von selbst, daß diese ehrenvolle Pathenschaft angenommen ist. Die neue dreimastige „Gartenlaube“ ist eine für transatlantische Fahrten bestimmte Barke von fünfhundertsechszig Tons, hundertzwanzig Fuß Kiellänge, kupferfest und gekupfert. Ihr Erbauer ist der Schiffsbaumeister Kirchhoff, ihr Capitain J. F. Krüger, Beide in Stralsund; sie segelt gleich nach ihrem Stapellauf über Norwegen nach Südamerika.

Möge auch diese „Gartenlaube“ überall freudig begrüßt werden, wo man ihre Pathe willkommen heißt! Und darum lautet der letzteren Pathenspruch:

„Fahr’ hin, mein Schiff, mit deutschem Gut
Auch du zum Heil dem deutschen Fleiße!
Von Land zu Land, von Hand zu Hand
Bringst du den Gruß vom Vaterland!
Mein Pathenkind: Glück auf die Reise!“



Vermißt in Deutschland! Aus dem sächsischen Dorfe Schedewitz bei Zwickau ging vor etwa fünf Jahren ein Schlossergeselle, eines alten Bergbeamten Sohn, Bruno Christink, vom „Glück auf!“ seines Vaters begleitet in die Fremde. Als liebevoller und gewissenhafter Sohn hielt er mit seinem Vater einen lebhaften brieflichen Verkehr fest; der letzte Brief kam aus Schwerte in Westphalen. Als die gewöhnliche Frist des Empfangs eines Briefes verlaufen war, erkundigte sich der alte Christink in Schwerte nach seinem Sohn und erfuhr, daß er von dort nach Dortmund, und dort, daß er, nachdem er einige Zeit gearbeitet, in die Schweiz abgereist sei. Seit nun fünf Jahren ist keine Spur von dem Wandernden ermittelt worden. Vielleicht führt Name und Profession doch noch auf eine Kunde über ihn; wäre es auch die schlimmste, so würde sie der bekümmerte Vater Christink der quälenden Ungewißheit vorziehen und mit Dank entgegennehmen.



Dem Zwerg Paul Dietze, dessen arme Mutter „alle Tage älter wird und sich fast zu Tode grämt“, sind wir auf der Fährte. Ein Maler für Schaubudenbesitzer schreibt uns, daß der Sohn des Herrn Kaufmann, jenes Panoramenbesitzers, welcher den Paul Dietze für Geld sehen ließ, noch vor etwa sechs Wochen als Menageriebesitzer im preußischen Regierungsbezirke Königsberg (namentlich in Osterode) sich aufhielt. Da Menagerien sich nicht so rasch bewegen, so ist’s wohl möglich, daß dieser Herr Kaufmann jun. nach dem Verbleiben des Paul Dietze befragt und die gewonnene Auskunft uns mitgetheilt werden könnte.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_546.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)