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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

fühlte, für das neue, heiße Erglühen ihrer Wange und Schläfe. Wie ein Blitz hatte es sie bei ihren eigenen Worten durchzuckt, denn die ritterlichste Gestalt in Geschichte und Sage, deren Schatten sie erinnerungsträumerisch herbeibeschworen, schien ihr verkörpert gegenüber zu stehen. Ein nie gekanntes Gefühl ergriff sie – die Scheu davor, ihre Gedanken errathen zu sehen, und vergebens suchte das weltvertraute, stets der Beherrschung sichere Mädchen heute nach einem Uebergang zu Ballgesprächen; sie fand doch nur die Frage: „So war das poesievolle Triefels Ihr Stammhaus?“

Die Antwort wurde dem Cavalier abgeschnitten, denn das Orchester hatte schon die „Träume auf dem Ocean“ angestimmt, und Eugeniens Tänzer stand vor ihr, sie zum ersten Walzer abzuholen. Während Triefels sich zurückzog, sagte er halblaut: „Ich hoffe auf Ihre Genehmigung, Ihnen später historischen Vortrag halten zu dürfen?“ Der Ton klang so leicht, daß Eugenie lächelnd umblickte, doch erstarb die Entgegnung vor dem magnetischen Blicke, der sie traf, auf ihrer Lippe.

Die Stunde des Souper’s war herangekommen, und die Vergnügungspräsidentin thronte als Vorsitzende an einem runden Tische, dessen Plätze für Alle, die sich ihr während der großen Pause anzuschließen gewünscht, keineswegs ausreichten. Seit langer Zeit war der guten Dame die trotz Verheirathung der eigenen Töchter nie aufgegebene Stellung einer vielgesuchten Ballmutter nicht mehr so wohlthuend zum Bewußtsein gekommen. Ehren aller Art flossen ihr heute zu. An ihrer Rechten saß ein durch Rang und Ruf hervorragender Mann aus der nächsten Umgebung des Königs, welch Letzterer zwar nicht selbst in der Gesellschaft erschienen, jedoch durch die Mehrzahl seines Gefolges vertreten war; zum Nachbar ihrer Linken hatte ihr eigener gnädiger Wink Rittmeister Triefels bestimmt – weniger, um die ihr anvertraute junge Dame, welche er zu Tische geführt, unter ihren Flügeln zu behalten, als hauptsächlich, weil sie von diesem Muster eines Cavaliers, der sich wiederholt im Laufe des Abends ihrer Unterhaltung gewidmet, ganz bezaubert war. Dennoch überließ sie ihn jetzt seiner Partnerin, um sich selbst ganz dem hochgestellten Gaste zur Rechten zu widmen, was sie jedoch nicht abhielt, den geübten Blick über den buntbesetzten Tisch hinweg zu ihrem zweiten Küchlein fliegen zu lassen, dem sie wiederholt, wenn auch erfolglos, mit den beweglichen Augenbrauen telegraphirte.

Es war nicht zu leugnen, Gerta plauderte lebhaft, zu lebhaft! – und wenn Bruno Wellenberg schon am Tage vorher geschworen, daß in ganz Europa kein reizenderer Backfisch zu finden sei als diese kleine Kölnerin, so war er heute, während er bei Tafel an ihrer Seite saß, sicherlich nicht in der Stimmung, dies Wort zurückzunehmen. Eben jetzt hörte sie ihrem Nachbar mit solchem Eifer zu, daß Alles an ihr funkelte, und antwortete dann noch eifriger: „Natürlich war ich dort und habe Alles gesehen – o, es war wie in einem Märchen! Denken Sie nur, sogar Onkel Wallmoden ist mitgegangen, er wollte uns nicht mit Stettens allein lassen, weil es lauter Damen waren. Aber wirklich, wir hätten ihn gar nicht gebraucht! Wir fanden eine Bank und stellten uns darauf; da sah man über alle Köpfe weg, die sich so drollig regten! Eugenie hatte lange keinen so guten Platz; sie wollte durchaus unten beim Onkel bleiben und hat sich dabei sicher feuchte Füße geholt, denn sie kam ganz blaß und schweigsam nach Hause. Ach, wie schön ist meine Cousine, nicht wahr? und dabei so klug, so gut – nur – nur –“

„Nun?“ ermuthigte Wellenberg.

„Ein bischen zu ernsthaft!“ flüsterte die Kleine mit schalkhaftem Aufblick! „Ich begreife gar nicht, wie man so ernsthaft sein kann! Wissen Sie, ich glaube, der Onkel hat an ihr abgefärbt, denn Der kann erst einmal feierlich d’reinsehen – hu!“

Wellenberg warf einen raschen Blick hinüber. „Nun, heute wenigstens sieht Fräulein Wallmoden nicht feierlich aus, “ scherzte er; „die Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung läßt nichts zu wünschen übrig, und daß sie trotz des sündhaften Ernstes, den Sie ihr vorwerfen, sehr sonnig zu lächeln versteht, können Sie ist diesem Moment beobachten. Uebrigens haben Sie Recht, Fräulein Gerta, Ihre Cousine ist in der That eine Schönheit; so strahlend wie heute sah ich sie noch nie!“

„Sagen Sie einmal, Herr von Wellenberg – –“

„Ja, wenn Sie mitten im Satze stumm werden, kann ich gar nichts sagen!“

„Hat Eugenie diesen Triefels wirklich erst heute Abend kennen gelernt?“

„Weshalb fragen Sie?“ erwiderte Wellenberg lebhaft.

„Ja – das möchte ich lieber nicht sagen!“

„Mir aber doch?“ lächelte er. „Vergessen Sie denn schon wieder, daß wir Nachbarskinder sind, Fräulein Gerta? Als Sie noch klein waren“ – sein Blick streifte das Kinderhändchen, welches auf dem Tische ruhte – „als Sie noch ganz klein waren, habe ich Sie ja alle Tage geschaukelt und auf den Knieen reiten lassen – solch einem uralten Freunde kann man doch Alles sagen!“

„Das ist wahr,“ nickte sie heiter, „aber es bleibt hübsch unter uns – ja? Nun, sehen Sie, ich frug deshalb: als ich heute Ihren Freund Eugenien vorstellte, nachdem Sie ihn zu mir geführt, merkte ich gleich, daß sie ihn so eigen ansah, als besänne sie sich auf etwas, und es kam mir vor, als wäre sie erschrocken. Deshalb meine ich, die Beiden müßten einander schon früher begegnet sein.“

„Immerhin möglich,“ sagte Wellenberg. „Vielleicht war Fräulein Wallmoden einmal in Berlin?“

„Nein,“ schüttelte Gerta das Köpfchen; „das weiß ich gewiß! Tante Wallmoden war ja vier Jahre lang krank, damals ist Eugenie nicht von ihr gewichen, dann kam die Trauer, und, außer einem Besuche bei uns, ist sie nie von Wiesbaden fortgewesen.“

„In diesem Falle ist allerdings kaum ein früheres Zusammentreffen denkbar, denn Triefels hat immer in Norddeutschland gelebt, so viel ich weiß; noch gestern äußerte er, daß er jetzt zum ersten Mal den Rhein besucht.“

„Dann ist es aber doch wirklich sonderbar,“ sagte die Kleine mit gehobenen Brauen, „daß solch ein fremder Herr den ganzen Abend nicht von Eugeniens Seite weicht, und sie ihm fortwährend Audienz giebt!“

„Dabei kann ich nichts Sonderliches entdecken, mein Fräulein! Triefels hatte ja auch das Vergnügen, einmal mit Ihnen zu tanzen, da kann es Ihnen sicher nicht entgangen sein, daß er zu unterhalten weiß?“

Sie bewegte leicht die kleinen, weichen Schultern, und sah mit schelmischen Augen auf. „Mit mir hat er sich unterhalten wie mit –“

„Heraus, heraus mit der Sprache, Madonnina!“

„Wie mit einem Schooßhündchen!“ brach der Kinderzorn feurig hervor. „Ich weiß gar nicht, was dieser Herr sich denkt! Fragt mich nach meinem Canarienvogel in Köln – hier, in Wiesbaden auf dem Balle! Und wie lange ich in der ersten Classe sitzen würde, und wie meine Lieblingspuppe getauft ist! Er hat aber einen andern Begriff bekommen! O, ich kann auch feierliche Gesichter aufsetzen, wenn es darauf ankommt!“

Wellenberg betrachtete die würdige Haltung, zu welcher seine Nachbarin das feine Hälschen streckte, mit innerlichem Vergnügen, während er mit unverwüstlichem Ernst erwiderte: „Mein Freund hat ohne Zweifel die Lection begriffen.“

„Das versteht sich,“ versicherte sie arglos; „o, er fing gleich an, von Politik mit mir zu sprechen, ich glaube wenigstens, es war Politik, denn er erkundigte sich bei mir, wie man in Nassau über Preußen dächte, und ob Onkel Wallmoden wirklich so böse darüber wäre, daß Ihr den Herzog fortgeschickt habt. Da haben wir uns noch eine Weile ganz vernünftig unterhalten, es dauerte nur nicht lange, dann war der Tanz zu Ende. Ihr Freund kann aber meinethalben so unterhaltend und interessant sein, wie er will, ich begreife Eugenie doch nicht. Vorigen Winter, als sie einige Wochen bei uns zu Gaste war und so sehr gefallen hat, durfte keiner der Herren sie der Art in Beschlag nehmen.“

„Im vorigen Winter, Fräulein Gerta, haben Sie da schon Ballbetrachtungen angestellt? Ich meine, damals saßen wir wirklich noch in der ersten Classe?“

Gerta wurde purpurroth und warf einen unsicheren Blick auf ihren Nachbar; als seine frohen Augen sie aber trafen, lachte sie frisch auf – das klang wie der Ton einer rieselnden Quelle. Ehe sie noch Zeit zur Antwort gefunden, ertönte das Signal zum Cotillon. Wellenberg kam der Bewegung zuvor, mit der sie eilfertig nach ihren im Weinglase aufbewahrten Handschuhen griff, und glättete das feine Leder, indem er es wie eine Curiosität betrachtete. „Nummer vierundeinhalb?“ scherzte er, als die winzigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)