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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Thatsache selbst zu zweifeln. Nur Einer wußte es besser! War auch Eugeniens leise hingehauchtes Ja nicht bis an sein Ohr gedrungen, so hatte er doch die Frage, welche es entschied, um so deutlicher verstanden – der Ausdruck ihrer Züge, ihres ganzen Wesens bis zum Moment ihres Verschwindens bedurfte für ihn keiner Bestätigung mehr. Es war geschehen!

Von dem Entschluß getragen, mit Blut und Leben für die Geliebte einzutreten, im Falle Triefels es wagen sollte, sie wirklich preiszugeben, war Eckhardt hier erschienen. Daß es nicht geschah, legte ihm Schweigen auf, und er hielt aus, bis der hereinbrechende Tagesschimmer die muntere Gesellschaft zum Aufbruche trieb. Während der Kreis sich auflöste, entschlüpfte er und wandte sich dem Parke zu; der bloße Gedanke an die Enge seiner vier Wände erstickte ihn. Endlich allein! aus dem Bereich all der Augen, der Stimmen, Nichts um sich, als den schweigenden Wald, Nichts über sich, als den vom aufglühenden Morgenroth gelichteten Himmel. Das Rauschen des Frühwindes, der grüßend durch die Blätter fuhr, das frische Plätschern des Rambaches zu seinen Füßen wirkte erquickend, und sein dumpfes Wehgefühl formte sich wieder zu Gedanken.

Was nun?! Der Würfel war gefallen, aber noch lag es vielleicht in seiner Hand, denselben nicht weiterrollen zu lassen. Aus Triefels’ Haltung während der letzten Stunden glaubte er zu erkennen, daß Dieser seinem Thun eine Folge zu geben dachte. Aber durfte Eugenie in solcher Weise gewonnen werden? Wer sich in tollem Uebermuthe nach dem glänzenden Etwas bückt, das ihm ein Zufall in den Weg geworfen, und nun sieht, daß es kein Kiesel ist, sondern ein Diamant, wird freilich den Fund behalten! – Nein, tausendmal nein! Solchen Frevel zulassen, hieße selbst zum Frevler werden. Es gab einen Weg! Ein Onkel Rudolph’s stand mit dem Staatsrathe auf vertrautem Fuße, durch ihn war er selbst bei Wallmodens eingeführt worden, und wo ihm das Zartgefühl verbot, eine so verletzende Mittheilung zu machen, konnte der alte Freund des Hauses ohne Scheu sprechen. Dies mußte geschehen, es war ein Gebot der Gerechtigkeit.

Und doch stieg bei diesem Gedanken eine Flamme zu Eckhardt’s Stirn auf; zum ersten Male erröthete er vor sich selbst! Mit unerbittlicher Deutlichkeit rief es in ihm: nicht Gerechtigkeit, nicht Ehrfurcht vor verletzter Frauenwürde treibt Dich vorwärts – es ist ein Anderes – Du willst sie schützen – wovor? Weißt Du denn, was Du ihr damit zerstörst? – fühlst Du denn auch, daß Du sie in Wahrheit lieber leiden, als mit Diesem glücklich sehen willst? –

Er verhüllte seine Augen vor dem Lichte des Tages. Zum ersten Male rang dies aufrichtige Herz mit dem Zwiespalt, der keinem Sterblichen erspart bleibt. An sich selbst irre werden, aus demselben Born, den man bisher als Quell alles Lebens empfunden, plötzlich wilde Strudel aufwirbeln zu sehen, hinabzusteigen aus der lichten Region reinen Willens in die ungeahnten Abgründe einer Selbstsucht, die uns in ihren Folgerungen schaudern macht – welche Qual!

Eckhardt ward ihrer Herr. Sein Denken war zu ernst geschult, um ihm nicht endlich das lichte Bild der Wahrheit siegend zu zeigen. Alle die eben noch so schneidend empfundenen Zweifel formten sich, wie die einzeln fallenden Tropfen zum Stein, zur Säule eines festen, berechtigten Willens. Was er zu thun gesonnen, war kein Irrlicht selbstischer Kleinlichkeit, dessen ward er sich klar bewußt! Eugenie stand ja Alledem gegenüber einsam und ohne Gewalt. Liebte sie wirklich, dann hieß es allerdings für sie, durch ein Stück Nacht zu gehen, aber es konnte sie dennoch dem Lichte entgegenführen. Er stand sogar dem Gedanken, daß sie sein Einschreiten erfahren würde, es verurtheilen könnte. Wohlan, auch Das durfte ihn nicht aufhalten! Es giebt im Leben Manches, wobei sich Gnade für uns nur von Gott und dem eigenen Gewissen erwarten läßt.

Nachdenkend wanderte er unter dem vollhereinbrechenden Tagesstrahl noch eine Stunde zwischen den Bäumen auf und nieder; sein Geist suchte gesammelt die Form für den beschlossenen Schritt. Dann schlug er langsam den Weg zurück nach der Stadt ein. Als die Thurmuhr sieben schlug, zitterte unter seiner Hand die Klingel am Hause des Regierungsrathes Gotter, seines Onkels.




Eugenie.


In einer der Villen, welche von leichtaufsteigender Anhöhe aus den Blick über Stadt und Park beherrschen, saßen zwei Männer in lebhaftem Gespräch, richtiger gesagt, bei eifriger Auseinandersetzung des Einen und gespanntem Zuhören des Andern. Beide Herren gehörten bereits jenem Stadium an, wo das Leben sich abwärts neigt. Dies machte unter ihnen jedoch die einzige Aehnlichkeit aus. Während die beweglichen Gesichtsmuskeln des stark gesticulirenden Sprechers sich jeden Moment veränderten, seine kleine Gestalt mit dem kurzen Oberkörper wie auf Springfedern zu ruhen schien und der Wald schlohweißer Haare sich zu tausend Silberlöckchen ringelte, erschien die hohe, straff aufgerichtete Figur seines Zuhörers völlig unbeweglich. Nur ein starkes Pulsiren der linken Schläfe und ein zunehmendes eigenthümliches Vertiefen der Furche, welche sich von der Stirn zur Nasenwurzel senkte, ließ ihn von einer Bildsäule unterscheiden. Es war ein frappanter Kopf, die von dunkelm, bereits spärlichem Haar nur an den Seiten eingerahmte Stirn steil aufsteigend und trotz der Magerkeit des Gesichts von keiner Querfalte durchzogen, während sich um Schläfen, Wangen und Mund tiefere Linien eingegraben hatten, als sonst einem Fünfziger eigen zu sein pflegen. Namentlich erschien der Mund alt, trotz des kräftig ausgearbeiteten Kinns; nicht eine Spur jener Anmuth, die Freundlichkeit auch noch späteren Jahren verleiht, lag um die schmalen, schwach gefärbten, fest eingezogenen Lippen, welche der sorgfältig rasirte Bart unverhüllt ließ. Aus dem strengen, ja harten Gesicht leuchteten mächtige Augen, die dem steinernen Bilde ein fast unheimliches Leben verliehen, besonders wenn sie, wie jetzt, mehr in sich hinein, als aus sich heraus zu blicken schienen. Er unterbrach die im erregtesten Ton hervorgesprudelten Mittheilungen seines Gegenüber mit keiner Silbe. Erst als dieser innehielt, erhob er sich und schritt mit gemessener, leidenschaftsloser Miene ein- oder zweimal durch das Zimmer, um endlich zu dem kleinen Manne zurückzukehren, dessen rastlose Augen ihn auf Schritt und Tritt verfolgten.

„Dank, alter Freund,“ sagte er mit mehr Wärme, als man diesen Zügen zugetraut haben würde, während er die lange, muskulöse Hand auf die Schulter des Sitzenden legte; „ich weiß genug. Bitte, lassen Sie mich jetzt allein! Möglich, daß man diesen Morgen mit der Zeit haushalten muß. Mein anfänglich gegebenes Wort sei wiederholt, und nun Lebewohl für heute!“

„Aber Wallmoden!“ rief der Andere, „Sie werden mich doch nicht heimschicken, ohne daß ich erfahre, was nun wird! Denn das bitte ich mir aus, das Kind muß aus dem Spiele bleiben, Eugenie darf kein Wort erfahren! Waschen Sie dem gottverlassenen Burschen gründlich den Kopf und schicken Sie ihn in’s Pfefferland! Aber mein Pathenkind soll mir von der sauberen Windbeutelei nicht berührt werden – Hand darauf!“

Der Staatsrath schlug nicht ein. „Das überlassen Sie mir, Gotter!“ – Der Ausdruck, womit der kleine Mann aufsah, war so bestürzt, daß etwas wie ein Lächeln über Wallmoden’s Züge huschte. „Besuchen Sie Eugenie heute Abend! Sie werden sich überzeugen, daß ihr nichts mehr zugemuthet wird, als dem sie gewachsen ist. Keine überflüssigen Worte, bitte sehr,“ unterbrach er den neuen Protest, der eben über die Lippen stürzen wollte, mit leichtem Stirnrunzeln; „es fehlt dazu, wie gesagt, an Zeit. Also –“

„Gehe schon, gehe schon,“ polterte Gotter aufgebracht; „hätte mir’s denken können! Geschieht mir ganz recht, warum bin ich nicht meiner ersten Eingebung gefolgt und habe Ihnen gar nichts gesagt, sondern es lieber dem Kinde selbst glimpflich beigebracht! Ja, davon wollte Keiner etwas wissen, der Junge nicht, und ich selber nicht! Sie sollte aus der ganzen elenden Geschichte fortbleiben; es giebt ja Gründe genug, ihr zu erklären, warum man dem Nichtsnutz heimleuchtet. Und jetzt erfährt sie doch, wie mit ihr umgesprungen worden, und weiß Gott, wie sie es erfährt! Wallmoden, Sie sind wie von Oger, dem bösen Geist, besessen. Sie wissen mit solch einem zarten Herzchen nicht besser umzugehen, als der Mann im Walde, der die kleinen Kinder frißt! Sie werden mir mein Herzblatt so scheu machen, daß sie von nun an allen Leuten aus dem Wege schleicht! Himmel und Erde!“ Er rannte wie ein Wiesel an’s andere Ende des Zimmers, ergriff seinen Hut, fuhr damit in wirbelndem Kreise durch die Luft und schoß endlich mit bösem Blick, pustend und schnaubend gleich einer Locomotive, zur Thür hinaus.


(Fortsetzung folgt.)




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