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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Die Brust durchschossen, die Stirn zerklafft,
So lagen sie bleich auf dem Rasen,
In der Kraft, in der Jugend dahingerafft, –
Nun, Trompeter, zum Sammeln geblasen!

Und er nahm die Trompet’, und er hauchte hinein;
Da, – die muthig mit schmetterndem Grimme
Uns geführt in den herrlichen Kampf hinein, –
Der Trompete versagte die Stimme!

Nur ein klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz,
Entquoll dem metallenen Munde;
Eine Kugel hatte durchlöchert ihr Erz, –
Um die Todten klagte die wunde!

Um die Tapfern die Treuen, die Wacht am Rhein,
Um die Brüder, die heut gefallen, –
Um sie alle, es ging uns durch Mark und Bein,
Erhub sie gebrochenes Lallen.

Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann;
Rundum die Wachtfeuer lohten;
Die Rosse schnoben, der Regen rann –
Und wir dachten der Todten, der Todten!




Die Einsiedeleien des Harzes.


Von Gustav Heyse.


Es liegt ein wunderbarer Reiz, eine geheimnißvolle Macht in der Einzelheit der Dinge. Ein Berg, der sich einzeln aus der Ebene erhebt, ein einsam stehender hoher Baum, ein mächtiger erratischer Block auf flacher Haide, sie ziehen den Blick unwiderstehlich an, sie werden das Ziel unserer Wanderungen, der Gegenstand unserer Lieder und Sagen. Und nun gar ein einzelnes Haus! Nicht zu den kleinsten Reizen des Harzes gehören daher die zahlreichen einzelnen Häuser und Häusergruppen, die über seine Berge und Thäler verstreut sind. Nicht weltscheuen Einsiedlern oder poetischen Naturschwärmern dienen sie zum Aufenthalt; nein, der Erwerb, das Bedürfniß hat sie hervorgerufen, und derbe, durch Noth und Sorge, durch Wind und Wetter gehärtete Naturmenschen bewohnen sie. Wo irgend ein Bach seine Felsenwiege verlassen und seine ersten lustigen Sprünge in die Welt hinein versucht hat, da lauert ihm im Thale auch schon der Mensch mit Zaum und Zügel auf, um ihn in seinen Dienst zu zwingen; da gilt es Korn zu mahlen und Erz zu pochen, Holz und Steine zu sägen, Lumpen zu stampfen, Hämmer zu schwingen und Bälge zu treten. Daher die zahllosen Mühlen und Hüttenwerke, die den Lauf der Thäler bezeichnen. Bald liegen diese Mühlen auf Büchsenschußweite aneinander gereiht, bald aber auch in tiefster Abgeschiedenheit und zum Theil mit entzückender Umgebung. Von Hunderten nenne ich hier nur die jetzt in Verfall gerathene Fuhrbachs- oder Steinmühle bei Rothesütte, die Tiefenbacher Sägemühle bei Stiege, die Mönchsmühle bei Michaelstein, die Untermühle zwischen[WS 1] Neuhaus und Hilkenschwende, die Marmormühle bei Rübeland und die Mühlen und Eisenhämmer in den Thälern der Selke und Ilse.

Aber auch Wald und Wild haben zur Entstehung vieler Häuser Veranlassung gegeben. Die Köhler und Holzhauer freilich wohnen in den Dörfern und führen nur auf Monate ihr Waldleben, wo ihnen das primitivste aller Häuser, eine Köthe, als Obdach dient. Für die Beamten aber, denen die Beaufsichtigung und Bewirthschaftung der Forsten obliegt, waren hier und da solidere und bequemere Wohnungen nöthig, von denen manche zugleich als Jagdschlösser für die fürstliche oder gräfliche Herrschaft eingerichtet wurden und die noch häufiger mit Gastwirthschaft verbunden sind. Auch trifft man nicht selten mitten im Walde auf ein einzelnes verschlossenes Haus oder Häuschen, das nur zur Zeit der Jagd, zur Lohnung der Waldarbeiter oder bei andern Gelegenheiten von den Förstern benutzt wird, oder auf einen mit Raufe versehenen offenen Schuppen zur Fütterung des Wildes. Zu jenen bewohnten Forsthäusern, die zugleich Gastwirthschaft einschließen, und in deren manchem das Schlüsselbund der Frau Försterin für den Etat des Hauses ungleich schwerer wiegt, als die Büchsflinte ihres Gemahls, gehören unter Andern im anhaltischen Harz Sternhaus, Victorshöhe und Meiseberg, im Wernigerodischen die Plessenburg, im Stolbergschen der überaus liebliche Eichenforst, sowie westlich vom Brocken Oderbrück, Torfhaus, der Ahrensberg und der Auerhahn an der Straße von Zellerfeld nach Goslar. Seltener von Reisenden besucht, aber doch auch auf Gäste eingerichtet, sind zum Beispiel Wilhelmshof im Anhaltischen, Todtenrode bei Altenbrak, das Forsthaus bei Benzingerode und Christianenhaus in der Grafschaft Hohnstein. Manchmal sind neben der Försterei noch andere Häuser aufgewachsen, eine Meierei, eine Schenke oder Holzhauerwohnungen, und so entstanden Häusergruppen wie Hufhaus, Sophienhof und Rothesütte im Wernigerodischen Antheil der Grafschaft Hohnstein, Bärenrode bei Güntersberge, das braunschweigische Wendefurt u. A.

Der Bergbau ferner, wie er über reicheren und mächtigeren Erzgängen ganze Bergstädte hervorrief, trug auch nicht wenig dazu bei, den Harz durch einzelne Häuser und Häusergruppen zu beleben. Wo ein Schacht abgesunken ist und eine Wasserkunst stöhnt, da läßt auch ein Zechenhaus nicht lange auf sich warten. Hat die Grube aber größere Bedeutung und Ausdauer und liegt sie von Stadt und Dorf weit ab, so steigen neben dem Zechenhause und den zum Bergbau gehörigen Scheide- und Pochhäusern, Bergschmieden etc. wohl auch noch Wohnungen für die Beamten und einzelne Bergleute auf. Daher die Häusergruppen zu Bockswiese auf dem Oberharz, auf dem Büchenberge im Wernigerodischen, bei den Ilfelder Braunsteingruben und bei dem jetzt eingegangenen Antimonschacht bei Wolfsberg.

Noch zahlreicher sind die einzelnen Gebäude, welche der Landwirthschaft und Viehzucht dienen. Von Gütern und Vorwerken, Meiereien und Molkenhäusern, Viehhöfen und Rinderställen, die der Harz aufweist, könnte ich eine stattliche Reihe nennen.

Denkt man nun endlich an die einzelnen Zoll- oder Wegehäuser, die hier und da an den Kunststraßen errichtet sind, und an die noch weit größere Zahl von Gasthäusern und Restaurationen, die sich, fast über das Bedürfniß der Reisenden hinaus und nicht überall zur Verschönerung der Landschaft, auf allen besuchteren Höhenpunkten und in vielen Burgruinen angenistet haben, so könnte man vermuthen, daß vom Harzwalde selbst nicht viel übrig geblieben sei, daß alle diese Einzelwohnungen mit den Städten und Dörfern des Harzes zu einer großen Stadt zusammengerückt sein müßten. Aber wer jemals geholfen hat, einen Weihnachtsbaum auszuschmücken, der weiß wohl, wie manches Schock Aepfel und Nüsse sich in den Zweigen verliert, und wenn er dann von der Höhe des Brockens, der Victorshöhe oder Josephshöhe den Harz überschaut, darf er sich auch nicht wundern, nur hier und da ein rothes oder graues Dach aus der grünen Wildniß hervorschimmern zu sehen. Denn in der That, der Harzwald ist groß genug, um jedes dieser tausend Häuser mit einem breiten Gürtel von Einsamkeit zu umgeben.

Um das einsame Leben in diesen Waldhäusern kennen zu lernen, darf man freilich nicht an schönen Sommertagen eines jener beliebtesten Gasthäuser aufsuchen. Am Kaffeetisch vor dem Sternhause zum Beispiel könnte man sich leicht in den Thiergarten bei Berlin versetzt glauben; und auch da, wo Berg und Fels diese Illusion verhindern, wie auf dem Burgberge bei Harzburg oder vor den Gasthäusern in der Umgebung der Roßtrappe, lassen doch die vorüberziehenden Schwärme der Reisenden das Gefühl der Abgeschiedenheit nicht aufkommen. Aber verlassen wir einmal die Touristenstraße und schlagen uns seitwärts durch den Wald, nach einem jener abgelegenen Häuser, wie Wiedfeld, Schluft, Christianenhaus. Glück genug, wenn wir überhaupt Jemand zu Hause finden, etwa die Großmutter am Spinnrade und den von ihr bewachten Säugling in der Wiege; denn Alles, was kräftige Arme und Beine hat, ist noch draußen auf der Wiese, im Wald oder in den Ställen beschäftigt. Können wir uns mit der alten, harthörigen Frau nur schwer verständigen und sehen uns einstweilen nach Lectüre um, so haben wir die Auswahl zwischen Bibel, Gesangbuch und dem Harzkalender. Eine Zeitung verirrt sich nicht hierher.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zwischeu
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_552.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)