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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Karl Brandow, der mittlerweile mit Zweien oder Dreien fertig geworden, grade auf mich zustürmte ‚Jetzt gilt’s,‘ sagte ich, ‚du willst es ihm so schwer wie möglich machen.‘ Ich dachte nicht an Sieg. Aber in demselben Moment war Curt vor mich hingesprungen; im nächsten hatten sich die Beiden gefaßt und Karl Brandow hatte beim ersten Griff gespürt, daß er es mit einem Gegner zu thun hatte, der ihm an Kraft und Muth mindestens ebenbürtig und an Kaltblütigkeit und zäher Ausdauer, wie der Erfolg lehrte, weit überlegen war. Es war ein herrliches Schauspiel, die beiden jungen Athleten ringen zu sehen, ein Schauspiel, das wir Alle genossen, Preisrichter, Sieger, Besiegte, Kämpfer, denn wir Alle hatten nach stillschweigender Uebereinkunft einen weiten Kreis um sie geschlossen und begleiteten jede Phase des Kampfes, je nachdem wir dieser oder jener Seite angehörten, mit Angst und Hoffnung und lauten Zurufen, die sich für meine Partei in ein weithinschallendes Jubelgeschrei verwandelten, als Curt Wenhof den Gegner, dessen Kraft gänzlich erschöpft war, in die Höhe hob und mit einem solchen Schwunge auf den Rasen schleuderte, daß der Aermste dort der Länge lang, unfähig sich zu regen, in einer halben Ohnmacht liegen blieb.

Der Kampf sei entschieden, sagten die sinnreichen Primaner, und er war es in der That; wer hätte es mit dem Besieger Karl Brandow’s aufzunehmen gewagt! Ich für meinen Theil umarmte in dem Jubel meines Herzens den guten Curt, schwur ihm ewige Freundschaft und wandte mich dann zu Karl Brandow, der sich mittlerweile vom Boden erhoben hatte, und bot ihm, als der Führer der einen Partei dem Führer der andern, die Hand, indem ich den Wunsch und die Hoffnung aussprach, daß nun dem ehrlichen Kampf ein ehrlicher Friede folgen werde. Er nahm meine Hand, und ich glaube, er lachte sogar und sagte, er wäre der Narr nicht, sich über etwas zu grämen, was doch nun einmal nicht mehr zu ändern sei.“

„Das ist er, wie er leibt und lebt,“ rief Frau Wollnow eifrig, „freundlich und verbindlich in’s Gesicht und hinter dem Rücken die Tücke und Grausamkeit selbst.“

„Sie sehen, meine Frau hat schon Partei ergriffen,“ sagte Herr Wollnow.

„Schon?!“ rief Frau Wollnow. „Ei, ich habe nie anders gedacht und gefühlt; ich bin immer gegen ihn gewesen, und hatte auch wahrlich Ursache dazu. Ich möchte wohl wissen, was in der Tanzstunde aus mir geworden wäre, wenn Sie sich nicht meiner so freundlich angenommen hätten. Das werde ich Ihnen nie vergessen, und es war um so edler von Ihnen, als Sie sich wahrhaftig aus mir nichts machten, sondern für die schöne Cäcilie schwärmten, was ich Ihnen auch nie verdacht habe.“

„Ich fürchte, es würde vergeblich sein, wenn ich Ihnen widerspräche.“

„Ganz vergeblich! Sehe ich Sie doch noch neben mir vom Stuhle aufspringen, blaß vor Zorn und an allen Gliedern bebend, als Karl Brandow Cäcilie küßte, und Cäcilie in Thränen ausbrach.“

„Und hätte ich nicht zornig sein sollen?“ rief Gotthold. „Es war unter uns jungen Leuten eine Uebereinkunft, daß die Küsse, die in den Pfänderspielen nach der Stunde dictirt wurden, in einem Handkuß zu bestehen hätten. Alle hatten sich dazu verpflichtet, auch Karl Brandow, und der Vertrag war auch bis dahin unverbrüchlich gehalten worden. Ich war in meinem guten Rechte, wenn ich den frechen Vertragsbruch nicht dulden und nicht ungestraft hingehen lassen wollte, doppelt in meinem Rechte, als ich bereits seit einem Jahre so oft mit Curt in Dollan gewesen und mit Bruder und Schwester so befreundet war, überdies Curt, wie Sie sich erinnern, in seiner lässigen Weise an der Tanzstunde nicht hatte theilnehmen wollen, und ich mich also als Beschützer der Freundin vollständig legitimirt erachten durfte. Sodann stand Curt, den ich mit Mühe durch das Examen nach Prima gebracht hatte, bei den Lehrern gar nicht gut angeschrieben; ein flagranter Friedensbruch, wie er jetzt nothwendig wurde, hätte ihm ohne Zweifel eine Relegation zugezogen, und endlich, daß ich’s gestehe: ich glaubte, daß Karl Brandow es auf mich abgesehen, daß er durch seine Frechheit mich hatte beleidigen, provociren wollen, daß ich den Handschuh aufheben und für Curt den Strauß ausfechten mußte, wie er an jenem Nachmittage für mich eingetreten war. Das ist ja Alles jugendliche Tollheit, verehrte Freunde; ich erröthe jetzt noch, wenn ich daran denke, und so will ich denn mit möglichst wenigen Worten sagen, was noch zu sagen bleibt.“


(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Der Dom zu Köln und die Kaiserglocke. Es giebt eine Nemesis in der Weltgeschichte und eine mächtige Hand, welche die Geschicke der Nationen ihren Zielen entgegen lenkt. Als Friedrich Wilhelm der Vierte den Dom zu Köln für das Symbol der deutschen Einheit erklärte, fragten die Patrioten jener Tage, wann diese Zeit anbrechen werde. So ersehnten auch nach den Befreiungskriegen Männer wie Max v. Schenkendorf, E. M. Arndt, Follen u. A. das deutsche Kaiserthum, das nicht kommen wollte. Die Geschicke Deutschlands waren 1849 ebenso wenig vollendet, wie sie es 1842 und 1813–1815 waren. Soll die Blüthe sich entfalten, muß sich zuerst die Knospe bilden, aus der sie hervorbrechen kann. Alles, was die deutschen Patrioten seit 1806 geredet und gewirkt, Alles, was die deutschen Dichter gesungen und erstrebt haben, waren Bausteine zum großen Werke der deutschen Einheit, jenen Domgroschen gleich, die aus allen Theilen Deutschlands nach Köln strömten, damit das Symbol unserer Einheit vollendet werde. Heute ist dieser Tag nicht allzufern. Schon wachsen die beiden Thürme mächtig empor. Im nächsten Jahre soll das Octogon auf jedem ausgeführt werden, dem dann die Spitzen der auf fünfhundert Fuß Höhe berechneten Thürme aufgesetzt werden sollen. Aller Voraussicht gemäß, wird der Wunderbau im Jahre 1876 vollendet sein. Dann dürfte sich auch das ganze Vaterland an dieser Feier betheiligen, und unterm Klange der Glocken und dem Donner der Geschütze der Welt verkündet werden, daß die deutsche Nation abermals durch gemeinsames Wirken ein großes, ein herrliches Werk vollendet hat.

In hohem Grade bedeutsam ist, daß Kaiser Wilhelm von den in Frankreich eroberten Geschützen dem Kölner Dome eine Anzahl geschenkt hat, aus denen eine „Kaiserglocke“ gegossen werden soll. Seltsame Fügung jener Hand, welche die Geschicke der Völker wie der Einzelwesen lenkt! In der Sehnsucht der Franzosen nach dem Rheine spielte die reiche Stadt Köln mit ihrem Prachtdome eine Hauptrolle. Kaiser Napoleon und sein verblendetes Heer mochten sich schon im Geiste den Moment vorgestellt haben, in dem sie als Sieger in diese Kathedrale einziehen würden. Statt dessen zog er als Besiegter, als Gefangener über den Rhein, angesichts des Domes, der für ihn gewiß wie ein riesiger Mahner erschienen ist, seinem Glücke nicht mehr zu viel zu vertrauen und nicht titanenhaft nach dem Höchsten zu greifen. Die deutsche Einheit, die er verhindern wollte, ist in Frankreich begründet worden, und aus französischen Geschützen gießen wir uns die „Kaiserglocke“ für den Dom, damit sie kommenden Geschlechtern mit ehernem Munde die Größe unserer Tage, die Macht, Kraft und Herrlichkeit der deutschen Nation verkünde, die nicht untergehen wird, so lange sie sich selbst treu bleibt und ihre Art, ihr Wesen, ihr physisches und geistiges Sein nicht gleich den Galliern verzettelt und verlottert.

Die zweiundzwanzig Stück Bronzegeschütze, die der Kaiser dem Dome geschenkt hat, werden eine Glocke im Gewicht von 500[WS 1] Centnern liefern. Diese soll am untern Rande einen Durchmesser von sieben Metern bei fünf und einem Drittel Meter Höhe haben und nächst der berühmten Glocke in Moskau die größte in Europa werden. Der Vorstand des Dombauvereins hat einen Concurs für die Glockengießer ausgeschrieben, und soll sich bereits eine große Anzahl gemeldet haben. Man glaubt, daß der Guß in Köln erfolgen werde. Ueber die auf der Glocke anzubringenden Verzierungen und Inschriften wird das Domcapitel das Nähere bestimmen. Wir sind überzeugt, daß die Franzosen nach Vollendung der „Kaiserglocke“ mehr als je das Verlangen nach Gewinnung des linken Rheinufers empfinden werden. Im Falle eines neuen Krieges möge sie dann die deutsche Nation zum Kampfe – und wohl dem letzten – aufrufen.

Nicolaus Hocker.




Kleiner Briefkasten.

A. Fr. in A. Sie sind im Irrthum und haben die Wette verloren. Der durch seine Thüringer Höhenmessungen bekannte Major Fils giebt die Höhe des Kickelhahns bei Ilmenau auf 2651 Pariser Fuß über dem Spiegel der Ostsee an, also fast 200 Fuß höher, als Sie annehmen. Was Ihre zweite Frage anlangt, so werden Sie an dem Thurmwart des Kickelhahns, Kilian Merten, den besten Informator finden. Das im geographischen Institut in Weimar erschienene Panorama des Kickelhahns ist von Kilian Merten entworfen und dürfte Ihnen an sich schon beweisen, wie gut und sicher der alte Herr sein vortreffliches Fernrohr zu gebrauchen wußte. Uebrigens trägt Merten’s Auge fast so weit wie sein Instrument.

Frl. … in Pommern. Mit Recht protestiren Sie gegen die Sclaverei der Mode, gegen ihre Thorheiten und Geschmacklosigkeiten. Aber wenn Sie die „Gartenlaube“ gegen das Modeunwesen in die Schranken rufen, so bedauern wir, Ihnen erwidern zu müssen, daß eine Reform auf diesem Gebiete, wiewohl wir Ihre Ansichten theilen, nicht unseres Amtes ist. Machen Sie für die von Ihnen verfochtene Idee in Ihren Kreisen Propaganda! Viele Kämpferinnen machen ein Heer.

St. R. zu U. in Mähren. Sie erzählen vom Verschwinden eines freisinnigen deutschen Priesters, der, als gefährlich für das nationalclericale Czechenthum, in einem Kloster oder Irrenhause Prags festgehalten werde. Wo bleiben aber die Namen, die des Verschwundenen und der Ihre?


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fünfzig. Die Angabe wird in Heft 37 berichtigt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_562.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)