Seite:Die Gartenlaube (1872) 568.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Japan in Berlin.


Auch außer den französischen Milliarden strömt seit dem großen Kriege und in Folge des weithinschallenden Ruhmes der deutschen Waffen noch so Mancherlei nach der Haupt- und Residenzstadt des neuen Reiches, was wesentlich zur Aenderung ihrer Physiognomie beiträgt und sie als eine beginnende Weltstadt charakterisirt. Dahin ist, und gewiß nicht in letzter Reihe, ein vordem unbekanntes Element der Bevölkerung zu rechnen, welches dem Verkehr auf der Straße und in der Gesellschaft in neuer Weise Farbe und Reiz leiht, – die Söhne einer anderen Sonne, durch den Glanz des deutschen Namens herübergelockt, um hier deutsches Wesen in Sitte, Arbeit und Bildung zu lernen und das Gelernte demnächst in der Heimath zu verwerthen.

Japan, das „Reich des Sonnenaufgangs“, der wunderbare Inselstaat, nach welchem Sage und Dichtkunst den germanischen abenteuerliebenden Sinn seit fast einem Jahrtausend hinzog, ist, nun sieben Häfen des früher verschlossenen Gebiets vor einigen Jahren sich dem europäischen Handel geöffnet haben, in kurzer Zeit ein vielgesuchtes Ziel der deutschen Schifffahrt geworden, von dessen Bedeutung das schnelle Wachsthum der deutschen Niederlassungen an den freigegebenen Plätzen Zeugniß ablegt. Durch die Berichte von Reisenden und Gelehrten sind wir nunmehr über die so lange geheim gehaltenen Verhältnisse der „Zehntausend (nach japanischer Zählung) Inseln“ ziemlich genau orientirt, und mit lebhaftem Interesse vernehmen wir, wie eine erleuchtete Regierung dort die Sache des Fortschritts vertritt, Eisenbahnen baut, Telegraphen anlegt und vor Allem sich die Verbesserung der Schulen angelegen sein läßt. Dagegen wurde anfangs Seitens des japanischen Volkes und seiner Regierung, welche in dem jungen Mikado (Kaiser) gipfelt, Deutschland nicht dieselbe Aufmerksamkeit zugewandt, mit welcher man auf die Dinge in Nordamerika, England und Frankreich blickte. Es trat der Unterschied in der Schätzung dieser Staaten sehr auffällig hervor, als vor drei Jahren der Kaiser, um schneller amerikanische und europäische Cultur nach Japan zu verpflanzen, die wissenschaftliche Ausbildung junger Männer an den Pflanzstätten dieser Cultur selbst beschloß und zu diesem Zweck bestimmte, daß eine Anzahl von Söhnen angesehener Familien in die Hauptstädte der Culturländer gehen sollten, um dort ihre Studien nach der Weise der Fremden zu betreiben. Als solche Städte wurden in Amerika New-York, in Europa London, Paris und Berlin ausersehen, aber während die Ersteren Hunderten von diesen jungen Studenten zum Aufenthalt angewiesen wurden, kamen nach Berlin nur ihrer Zwei. Dieses Verhältniß hat sich nun wesentlich geändert, seitdem die Nachrichten von den gewaltigen Siegen und Erfolgen des letzten Krieges auch in Ostasien die Bewunderung der deutschen Thaten herausforderten. Mehr und mehr Jünglinge wurden nach Deutschland geschickt, zum Theil auch nach Frankfurt und Bremen, hauptsächlich aber nach Berlin, welches jetzt siebenzig lernende und studirende junge Japanesen beherbergt, während deren überhaupt in’s Ausland fünfhundert gegangen sind. In London und New-York verweilen auch einige heranwachsende Damen zum Abschlusse ihrer Erziehung.

Siebenzig junge Männer, deren Herkunft, Sprache und Aeußeres die Aufmerksamkeit sowohl an öffentlichen Orten als in der gebildeten Gesellschaft in Anspruch nimmt, bleiben auch in dem großen, unruhigen Berlin nicht unbeachtet, und das leichtbegreifliche Interesse, welches sie in weiteren Kreisen erwecken, rechtfertigt eine Schilderung der kleinen Colonie.

Man kann die Mitglieder derselben füglich ist zwei Kategorien sondern, wenngleich eine solche Trennung äußerlich nicht erkennbar hervortritt, in Zöglinge der Regierung und in Freiwillige. Ein Theil von ihnen ist nämlich auf Kosten des Kaisers hergesandt und wird vollständig aus kaiserlichen Mitteln unterhalten. Zugleich wurden aber auch von dem Mikado der Adel Japans und speciell die bekanntlich ihrer Fürstenthümer vor Kurzem enthobenen Daimios (eine Art Lehnsfürsten) aufgefordert, in gleicher Weise sich die höhere Cultur Europas und Amerikas zu eigen zu machen, und da sich aus diesen Familien Freiwillige in großer Zahl meldeten, aus vielen zwei bis drei, ja aus einer vier Brüder, so wurden sie den Regierungs-Stipendiaten zugetheilt und mit diesen zusammen entsendet. Sie bestreiten zwar ihre Bedürfnisse selbst, sind aber den Anordnungen der Regierung ganz ebenso wie ihre pecuniär abhängigen Genossen unterworfen. Natürlich giebt es unter den letzteren auch solche, welche von Eltern oder Verwandten Zuschüsse erhalten, und die finanziellen Mittel der Einzelnen sind daher sehr verschieden. – Wie sich die Zahl der Staatspensionäre zu den Freiwilligen verhält, ist nicht zu ermitteln, da von allen Seiten darüber ein Stillschweigen beobachtet wird, welches sie mit der Besorgniß rechtfertigen, daß ein Bekanntgeben der finanziellen Lage des Einzelnen diesen in dem Verkehre nach außen benachtheiligen könnte.

Regierungsbevollmächtigter und Schatzmeister, Chef und Vormund über die ganze Gesellschaft ist Herr Aoki, ein Mann in der zweiten Hälfte der Zwanziger, ebenderselbe, der mit einem Gefährten vor drei Jahren zuerst hierherkam, und jetzt wahrlich keine Sinecure inne hat. Er besorgt für seine siebenzig jungen Leute das Unterkommen, ermittelt ihnen Lehrer, überwacht ihren Wandel und Fleiß, ist Richter bei Streitigkeiten innerhalb der kleinen Gemeinde und Cassirer und Zahlmeister von ihnen Allen, auch von den Freiwilligen, da sämmtliche Gelder, welche aus der fernen Heimath hierher gesendet werden, an ihn gelangen. Begreiflicher Weise wird ihm ein großer Respect bezeigt, den er aber auch durch sein kluges, gerechtes und liebenswürdiges Benehmen verdient. Er selbst ist der deutschen Sprache in Rede und Schrift bereits so mächtig, daß er auf der Universität, bei welcher er in der juristischen Facultät immatriculirt ist, Collegia hören kann.

Das Alter der jungen Herren ist zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren; doch sind neuerdings zwei Knaben von anscheinend zwölf bis fünfzehn Jahren angekommen und noch einige andere dieses Alters werden erwartet. Sie sind ohne Ausnahme zu gebildeten Familien in Pension gegeben, meistens zu zwei und zwei, doch auch einzeln; in sehr wenigen Fällen leben mehr als zwei in einer Familie. Es sind durchgehends kleine und ziemlich schmächtige Gestalten, mit Ausnahme nur von Aoki und einem Anderen, welche unsere Mittelgröße erreichen und breit und kräftig gebaut sind. – Mehr als durch das schlichte und glänzend schwarze Haar, das sie europäisch geschnitten tragen, fallen sie durch die mandelförmig geschlitzten Mongolenaugen und den gelblichen Teint auf. Die Physiognomien sind so verschieden wie möglich. Während einige ganz den italienischen Typus tragen oder an die ansprechende Schönheit der Savoyardenknaben erinnern, zeigen andere, und wohl die Mehrzahl, Gesichtszüge von so fremdem Ausdruck, daß man bei einer Begegnung unwillkürlich der auffallenden Erscheinung nachblickt. Einige dieser Gesichter erwecken selbst durch den hervortretenden Unterkiefer, den breiten Mund und die zolllangen Zähne in europäischen Augen entschiedenen Widerwillen. Kein Wunder daher, wenn der schaulustige und sarkastische Berliner die eigenthümlichen Figuren anfangs mit humoristischen Bemerkungen begleitete; jetzt indessen machen die oft gesehenen Gestalten kein größeres Aufsehen mehr als etwa der Mohr des Prinzen Karl. Der Bartwuchs ist nur bei Wenigen ausgebildet, bei den Uebrigen schwach oder gar nicht vorhanden.

Ihre Tracht ist die europäische. Sie gehen jederzeit vollkommen elegant gekleidet und frisirt und legen augenscheinlich Gewicht darauf, in der Toilette nicht hinter den Eingeborenen des Landes zurückzubleiben. Da sie sich aber in unseren ebenso unschönen als beengenden Kleidern genirt fühlen, vertauschen Viele sie in ihren Stuben gegen die weite, leichte bequeme Tracht ihrer Heimath, ein langes, sehr weites, vorn übereinandergeschlagenes Gewand von weichem Stoffe (Seide oder feiner Wolle), welches einige Aehnlichkeit mit manchen Morgenkleidern unserer Damen hat. Sie lieben es, sich etwas zu putzen, wenn auch nicht in übermäßigem Grade, wechseln gern und häufig die Anzüge und tragen die kleinen Schmucksachen, die bei uns in der Mode sind, als goldene Chemisette- und Manchettenknöpfchen, Uhren mit Ketten und Berloques u. dgl. mit sichtlichem Vergnügen, vermeiden aber ängstlich Alles, was sie als Fremdlinge kennzeichnen könnte, und nehmen es als ein Compliment auf, wenn ihnen gesagt wird, daß die fremde Abkunft ihnen nicht mehr anzusehen sei.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_568.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)