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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von dem plötzlich ein Vogel aufgeflogen. Mit dieser Bewegung der Lippen, die ebenso farblos waren wie ihre Wangen, erwiderte sie: „Ich glaube es,“

„Und wozu entschließest Du Dich?“

Mit unwillkürlicher, doch beredter Bewegung strich Eugeniens Hand über die Sophalehne und streifte das thränenfeuchte Battisttuch, welches dort lag, zu Boden. In dem Blicke, womit sie dabei den Vater ansah, lag unsäglicher Stolz.

Der Staatsrath war wieder ganz er selbst, jede Weichheit aus den festgemeißelten Zügen verschwunden, sein Auge kalt, die ganze Haltung unnahbarer als je. „Du wirst den Namen dieses Menschen nie wieder aussprechen hören, Eugenie. Ich werde den Herrn empfangen und verspreche Dir Genugthuung.“

„Nicht so, Vater,“ entgegnete sie fest; „welche Genugthuung könntest Du mir schaffen? Was hier verbrochen wurde, geht mich allein an! Soll ich fortan leben und die Augen aufschlagen, so muß ich – ich selbst diesem Manne noch ein letztes Mal gegenübertreten. Kein Dritter kann mich von der Schmach dieser Werbung erlösen, auch Du nicht! Was sollte es mir frommen, wenn Du ihm den beleidigten Vater zeigst? Das hebt meine tiefgeschädigte Frauenwürde nicht aus dem Staub empor! Ich fordere, daß er mir allein überlassen bleibt, und dann, mein Vater, sei außer Sorgen, dann soll mir Genugthuung werden!“

Wallmoden blickte seine Tochter schweigend an. In ihren Worten flammte eine Kraft, deren Höhe er noch nicht gekannt. „Ich erkenne Dir das Recht der Entscheidung zu,“ sagte er endlich, „und weiß, daß Du Dich zu beherrschen verstehst, Du hast diese Fähigkeit jahrelang am Krankenbett Deiner Mutter erprobt und bewährt. Dennoch, Eugenie, überschätzest Du vielleicht Deine Kraft. Ich kenne den Mann nicht, mit welchem Du solchen Kampf zu bestehen forderst, aber ich kenne diese Norddeutschen! Nicht gewillt, das Auge, vor was es auch sei, zu Boden zu schlagen, von ihrer kecken Höhe herab nur die eigene Berechtigung der Geltung werth haltend, verschlossen für jede Rücksicht auf Billigkeit, ja, auf freies Menschenthum, sobald sie sich in ihren Zielen gehemmt sehen – wie sollte Dein Zartgefühl gegen die Waffen siegen, die eine solche Natur jedem Deiner Worte entgegenhalten wird, Waffen, die Du – ihm selbst in die Hand gegeben? Ein gewöhnlicher Charakter würde Dich nimmer so aus allen Fugen Deines sonstigen Wesens gedrängt haben – Du stehst also einem überlegenen Geiste gegenüber, Eugenie! Wo ein solcher jedoch einen Zweck verfolgt, der mit kaltem Blute, vielleicht aber mit um so größerem Eigensinn festgehalten wird, sobald er in Gefahr erscheint, zu scheitern, da bleibt das Weib gegen den Mann immer im Nachtheil. Eine Frau ist nur dort allmächtig, wo sie – geliebt wird.“

Eugenie erröthete heftig und verstummte. Das Wort hatte getroffen, wie ein Schlag; sie wäre lieber auf der Stelle gestorben, als daß sie dem Vater eingestanden, daß sich auf den Glauben an diese letzte Bedingung ihre ganze Macht der Vergeltung stützte. Trotz des Schreckens, der sie so vernichtend durchfuhr, gestand sie sich dies im gegenwärtigen Moment selbst nicht ein. Das Auge voll aufschlagend, sagte sie mit Hoheit: „Auch die Wahrheit ist allmächtig, Vater, ihr gegenüber bleibt Trug und Lüge immerdar im Nachtheil; ob Mann, ob Mädchen, ihr Träger darf und muß jedem Kampfe stehen! Laß mich gewähren.“

Der Staatsrath schritt mit gesenktem Haupte auf und nieder, endlich hielt er den Schritt vor seiner Tochter an, ein seltsamer Glanz funkelte in seinem Blick: „Und Eines noch, Eugenie! ich berühre es ungern. Vergaßest Du ganz, was Du mir vor wenigen Minuten so leidenschaftlich eingestanden? Diese Stimme, welche die Seele meines stolzen Mädchens binnen kurzen Stunden in Bande geschlagen, fürchtest Du sie nicht? Du frugst mich, Kind, ob ich die Liebe kenne! Wohl kenne ich sie, und war es wirklich Liebe, was Dich so seltsam plötzlich erfaßte, dann laß Dich warnen! wage nicht den Kampf mit einer Macht, die gerade dann, wenn wir uns Herren des Tages glauben, sich mit erstickender Umschlingung zurückwendet, um uns hohnlachend zuzurufen: ‚Tödte, was sterblich ist!‘ Wer liebt, verliert die Fähigkeit, kalt zu verachten, auch die, Maß zu halten, und glaube mir, mein Kind, sobald das Recht zur Leidenschaft hinreißt, erfährt es stets das Geschick des Unrechtes.“

Bei des Vaters ernsten Worten legten sich immer tiefere Schatten auf Eugeniens Stirn; als er nun schwieg, beugte sie sich über seine Hand und küßte dieselbe. „Vertraue mir,“ sagte sie gelassen, „Du darfst es.“

Seine Lippen berührten ihren Scheitel, dann schob er sie sanft zurück und sprach mit Ernst: „Es sei!“




Verloren.


Heiter lachte die Sonne in das Balconzimmer im ersten Stock der Wallmoden’schen Villa; ihre Strahlen schlüpften wie im neckischen Tanze hin und wieder zwischen all den Blüthen und Pflanzen, welche, nächst der gußeisernen Brüstung des Balcons aufgestellt, die dort Ruhenden dem Blick Derer verhüllten, welche auf der Fahrstraße unten vorüberkamen, während sie Jenen doch den Ausblick auf Nähe und Ferne vergönnten. Ein zarter Duft von Reseda und Heliotrop zog von dort aus durch das mittelgroße, hochgewölbte Zimmer und erschien in Harmonie mit dessen Ausstattung. Leichte Säulen, welchen sich die in Stuck ausgeführten Ornamente der Decke als Fortsetzung anzuschließen schienen, theilten die nicht tapezirten, sondern höchst anmuthig gemalten Wände in Fächer. Von zartblauem Grunde hoben sich abwechselnd Blumenstücke und in Medaillonform geschlossene Landschaftsbilder in künstlerischer Ausführung ab. An jedem der drei Fenster fielen natürliche frische Ranken in Guirlanden über die duftigen Vorhänge nieder. Der weißgrundige, mit Blumensträußen übersäete Glanzkattun der Möbel paßte in seiner frischen Einfachheit ganz zu dem heiter graziösen Schmuck der Wände. Ein säulengetragener Nähtisch im Mittelfenster, die jetzt in die Ecke rechts gerückte zierliche Staffelei mit dem verhangenen Bilde darauf und eine schöne Harfe, welche im der entgegengesetzten Ecke lehnte, deuteten darauf hin, daß hier der Lieblingsaufenthalt der Tochter des Hauses war.

Seit einigen Minuten stand Arno Triefels in voller Galauniform in diesem Gemache und ließ den Blick über jede Einzelnheit desselben hinschweifen. Im ersten Augenblick hatte es ihn frappirt, daß er, auf seine Frage nach dem Staatsrathe und die darauf erfolgte Meldung in diesen Raum geführt worden war, der offenbar weder das Zimmer des Hausherrn, noch ein allgemeiner Empfangssalon sein konnte. Während des kurzen Harrens erfaßte ihn aber, vor all den Zeichen und Spuren von Eugeniens häufiger Gegenwart, eine eigenthümliche Bewegung, stark genug, um momentan selbst die Spannung zurückzudrängen, womit er dem inhaltsschweren Gespräch entgegensah, das ihm mit ihrem Vater bevorstand.

Sehr widerstandsgerüstet, sehr siegesgewiß hatte Triefels die Schwelle dieses Hauses betreten. Gewöhnt, jedes Hinderniß mit zudringendem Verlangen zu durchbrechen, gab er den Begriff eines Unerreichbaren kaum zu. Der Güter, die er in die Wagschale zu legen hatte, voll bewußt, galt ihm der voraussichtliche Widerstand eines alten Mannes höchstens als Frage der Zeit. Eugenie selbst war sein eigen! der Stolz, welcher das bisher durch kein Erreichtes gesättigte Herz bei diesem Gedanken schwellen ließ, war ihm eine nie so empfundene Regung – auch Das wußte er ihr Dank! Dankte ihr nach tausend Erfahrungen, wo seine überreichen Kräfte nur gespielt, die eine, bei aller Genußfähigkeit nie mehr erhoffte, eines thaufrischen Gefühls. Eugenie! Leise bewegte er sich im Zimmer umher, seine Finger streiften über die Saiten der Harfe hin. Harmonisch – wie diese! Was war in dem Gedanken, wovon er plötzlich erschauerte? Seit seinem Eintritt hatte es ihn wie ein Gruß umklungen: „Willkommen, süßer Dämmerschein, der Du dies Heiligthum durchwebst –“ jetzt mahnten die Dichterworte ernst: „Und Du! – was hat Dich hergeführt?“ Unwillkürlich starrte er nach der Thür, rief es in ihm weiter: „und träte sie im Augenblick herein, wie würdest Du für Deinen Frevel büßen?“ –

Sie trat herein.

Mit einem Laut lebhaftester Ueberraschung eilte ihr Triefels entgegen, um nach dem ersten Blick in ihr Auge betroffen vor ihr stehen zu bleiben. Er empfand auf der Stelle, daß etwas mit ihr vorgegangen, und sein Bewußtsein ließ keine Frage zu. Kaum hatte diese Ueberzeugung ihn durchzuckt, als er sich zusammenfaßte und ihrem Winke, sich neben ihr am Sophatisch niederzulassen, mit sicherer Haltung Folge leistete. Beide blickten einander stumm an, ohne nachher zu wissen, wie lange diese Pause gedauert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_572.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)