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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf den Straßen Berlins, verhängnißvoll werden sollte, und mit Antheil sah ich später einmal die goldgelockte Ate dieses unseligen Duells, die Rolle in der Hand, in dem Salon der Frau Peroni-Glaßbrenner, wo sie sich, nach selbsterlebter Tragödie, für die geschminkten Tragödienrollen der Bühne vorbereitete!

Wer, wie ich, Lassalle von Jugend auf kennt, dem muß es als eine merkwürdige Ironie des Schicksals erscheinen, wie gerade an seinen Namen sich eine Agitation der Massen knüpfen konnte. Lassalle war eine durchaus aristokratische Natur; er besaß eine geistige Vornehmheit, wie sie den Vertretern der Hegel’schen Philosophie eigen ist, welche die Masse und ihren gesunden Menschenverstand verachten; seine gelehrten Werke sind nur der exclusivsten Gelehrsamkeit zugänglich und tragen für das profane Publicum die Inschrift der Dante’schen Hölle: „Die Ihr hier einzieht, laßt die Hoffnung draußen!“ er hatte überdies aristokratische Lebensgewohnheiten und gehörte durchaus nicht zu den Männern, die sich in der Atmosphäre des Arbeiterpublicums wohl fühlen oder die durch Bonhomien, Humor, äußeres Kraftgefühl und die Vorliebe für Kraftausdrücke sich die Sympathien dieses Publicums gewinnen können.

Als er sich indeß einmal mit dem heißen Ehrgeiz und der fieberhaften Energie, die ihn beseelten, auf die Arbeiterfrage geworfen hatte, zu welcher ihn die Bedenken über die Berechtigung des Capitalgewinns in seinem größeren Werke hinführten, da vermochte er durch seine Neigung für das Extreme, das die Massen begeistert, durch die Unermüdlichkeit, mit welcher er die Sturmglocke läutete, durch die scharfgeschliffenen Sätze, die er hin- und herschleuderte wie ein Jongleur, auf die Massen einen Zauber auszuüben, der ihn überlebt hat und ihn zum Gegenstande eines enthusiastischen Todtencultus seitens der Arbeiter Deutschlands macht.

Vergessen wollen wir indeß nicht, daß er keineswegs den staatsfeindlichen Theorien der Internationale und ihrer deutschen Anhänger huldigte, daß er in seinen politischen Broschüren und in seiner Fichterede den Beruf Preußens zur Wiederherstellung deutscher Macht und Größe energisch hervorgehoben, ja einen Cavour dem preußischen Staatsmann als Muster hingestellt hat, daß er himmelweit entfernt war von einer Allianz mit dem Particularismus und den jetzigen reichsfeindlichen Mächten.

Lassalle hatte von Haus aus wie Wenige eine eiserne Stirn und den Glauben an seine Unfehlbarkeit – und das ist für ein öffentliches Auftreten schon die halbe Bürgschaft des Erfolgs. Hat er doch dadurch selbst dem kranken Aristophanes in Paris imponirt, der in ihm den Vertreter einer neuen Jugend erblickte, die rücksichtslos mit allen Traditionen und jeder Gefühlsschwärmerei gebrochen hat.

Sein Lebenslauf bewegt sich indeß in einer „gebrochenen“ Linie; aus dem Gelehrten entpuppt sich der Agitator, und der Abenteurer geht durch beide Epochen hindurch. Mindestens beweist dies interessante Phänomen, daß die Zeit der deutschen Faust-Don Juane noch nicht vorüber ist, eine so große Rolle auch gegenwärtig die gelehrten und poetischen Wagner spielen!




Blätter und Blüthen.


Noch ein später Kämpferlohn. Wer unsere Abbildung von Jahn’s Denkmal (S. 567) mit Augen betrachten kann, welche die Männer des Geistes und der That der Befreiungskriege, die Wecker und Erheber der deutschen Nation zu jenem Fürstenrettungskampfe noch selbst gesehen, wie sie in der Ungnade der Entfernung von ihrer Berufswirksamkeit herumgelaufen oder vom Gram über den Undank niedergebeugt in ihren Schmollwinkeln gesessen, für den reden diese Denkmalsteine eine ganz andere Sprache, als für die jüngere Generation. Wir Aelteren haben die schwerste Zeit mit durchlebt, wo der deutsche Nationalgeist von der Particular-Souverainetät als Verbrecher behandelt wurde; dieser Geist aber ist es, dessen gewaltigem Siege wir die Aufrichtung jener Denkmale und den Glanz ihrer öffentlichen Weihe verdanken; in ihnen erkennen wir die untrüglichsten Zeugen für die Wahrheit und Größe des Siegs und für die Sicherheit einer entwickelungsfrohen Zukunft. Und darum freuen wir uns über die Begeisterung, mit welcher das Volk die festliche Enthüllung solcher Denkmale begrüßt, und über die Theilnahme, durch welche das deutsch-nationale Fürstenthum sie auszeichnet.

Drei Säulen ehren jetzt den deutschen Boden, drei Säulen für drei Männer, deren Namen für alle Zeit in der deutschen Leidens- und Siegesgeschichte mit unvergänglichem Glanze strahlen. Sie heißen:

Arndt – Stein – Jahn!

Wer das Leben dieser drei Männer erzählt, führt uns durch die drangvollste deutsche Zeit und dennoch durch die ruhmreiche Vorhalle, durch welche der deutsche Nationalgeist hindurchdringen mußte, um sich zu rüsten und zu erstarken für den großen Kampf der Gegenwart, deren Siegesglanz am würdigsten von diesen drei Denkmälern widerstrahlt.

Auch Vater Jahn’s Turnkunst hatte alle Wandelungen mitzumachen, denen das deutsche Streben nach nationalem Aufschwunge ausgesetzt war. Mit vollem Rechte sprach der Festredner vor Arndt’s Denkmal: „Jeder wiederkehrende heitere Sonnentag nationalen Lebens sah das Turnen von Neuem und stärker aufblühen und unter dem Schutze des Volkes gedeihen.“ – Gehen wir vorüber an den Schatten der Geschichte der deutschen Turnerei, es ist überwunden, es sei auch überwunden, was hinter uns liegt, und freuen wir uns der Sonne, die heute auf Deutschland scheint!

Der zehnte August war der Ehrentag des dritten jener Denkmäler, welche Versöhnung mit der Vergangenheit und Muth für die Zukunft predigen: das Denkmal, welches, seit Jahren und lange unter den ungünstigsten politischen Sternen vorbereitet, endlich seine Vollendung und seine Weihe im eigenen Vaterlande erreicht hat. Der Verlauf der festlichen Tage in Berlin ist, wie der Gefeierte selbst, unseren Lesern längst bekannt, sie Alle stimmen dem kernigen Lobspruch bei, welchen der Festgruß der „Wespen“, der gelungenste poetische Schmuck des Tages – dem Manne Jahn dargebracht hat. Ja:

Er war ein Mann,
Nicht fein und zart –
Doch was er sann,
War deutscher Art.
Rauh war er, hart,
In Noth nicht blaß,
In That nicht laß,
Und mehr als das:
Ein ganzer Mann in Lieb’ und Haß.

Der Jugend war
Sein Herz geweiht,
Des Argen baar
In arger Zeit.
Ihn bog kein Leid!
Verfolgt, verkannt,
Fest hielt er Stand,
Mit Herz und Hand
Treu allezeit dem Vaterland.

Als hoch die Fluth
Des Unglücks schwoll,
Blieb er voll Muth
Und Hoffens voll.
Sein Ruf erscholl
Zu ernster Lehr’
Und trieb zur Wehr –
Wie Keiner mehr,
Wies er das Volk auf Recht und Ehr’.

Und dieses Volk war es auch, dessen Dankbarkeit sich an diesem Denkmal in einer Weise bethätigt hat, über die wir nicht stillschweigend hingehen können. Bekanntlich wurden die Verehrer Jahn’s in aller Welt aufgefordert, Steine zu dem Denkmal mit Bezeichnung des Orts und des Gebers zu senden. Solcher Steine kamen nun so viele an, daß sie nicht alle für den Unterbau des Denkmals benutzt werden konnten und deshalb unmittelbar hinter demselben zu einer Pyramide aufgehäuft wurden. So beweist nun die Hasenhaide bei Berlin auf der Stätte des ersten deutschen Turnplatzes durch diese steinernen Zeugnisse, daß, soweit das deutsche Volk um die Erde, ebenso weit die Verehrung für den alten Jahn vorgedrungen. Einige dieser Zeugnisse theilen wir mit. Der Stein aus St. Louis trägt die Inschrift: „Dem Andenken Jahn’s. Am Tage der Abschaffung der Sclaverei in Missouri, am 11. Januar 1865.“ Vom Turnverein in Hechingen „ein Stein vom Hohenzollern“. Ein Stein aus Ostasien trägt die Inschrift „Manila“; einer von Tanunda in Süd-Australien: „dem edlen Jahn.“ – Ferner finden wir einen Stein „von Düppel-Schanze Nr. 2; einen von der Stammburg Ulrich’s von Hutten, Steckelberg, einen von Burg Sickingen „1549“; einen „vom Hohenstaufen“; aus Kronstadt in Siebenbürgen, aus dem Teutoburger Wald, viele Steine aus Thüringen und sogar „eine Kanonenkugel vom Linienschiff Christian VIII., Eckernförde den 5. April 1849“. Kurz: kein Land der Erde, wo Deutsche wohnen, ist hier unvertreten. Durch den letzten Krieg aber besonders bedeutungsvoll wurde der schon am 3. Februar 1863 von Saarbrücken und St. Johann eingesandte Stein mit einem Consol von der durch Napoleon den Ersten am 7. Januar 1814 gesprengten Saarbrücke. Die Inschrift schließt mit den jetzt prophetisch klingenden Versen:

 – – Mich sandten die Turner vom fernen
Saargau her, den Vater zu ehren, auch allen Brüdern
Gruß zu bringen und herzliche Mahnung, daß nie und nimmer
„Wiederkehre der Tag, wo straflos der Fußtritt des Fremden
Deutsche Erde entweiht und der Bruder versäume den Bruder!“

Der Enthüllungsfeier wohnte officiell der königliche Minister Graf Eulenburg bei. Auch das gehört in diese Denkmalgeschichte.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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