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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

reichen Mitgift des Talents zur poetischen Plastik, aber auch mit neuem bisher unerschlossenen geistigen Fonds, endlich mit der gleichen leidenschaftlichen Hingebung, mit welcher sie einst die Bühne beschritten, betrat sie die neue Laufbahn und hat sich auf der kurzen, erst durch wenige Marksteine bezeichneten Strecke, welche sie auf ihr zurückgelegt, bereits einen Namen von bestem, weittragendem Klange geschaffen.

Im Jahre 1865 erschien unter dem Titel „Doppelleben“ das Erstlingswerk, ursprünglich im Märchenstil angelegt als flüchtige Freske moderner Charaktertypen, unter den Händen im ersten noch undisciplinirten Eifer der Production zum Roman nach Form und Umfang herangewachsen. Nach mehrfachen verunglückten Versuchen, dem Neugeborenen ein gutes Unterkommen zu verschaffen, fand endlich die Verfasserin in dem Buchhändler O. Janke einen Verleger, der dasselbe in die Oeffentlichkeit einführte. Drei Jahre später brachte die „Romanzeitung“ desselben Verlegers (und bald darauf eine besondere Ausgabe, welche bereits die zweite Auflage erlebte) ihr zweites umfangreicheres und weit bedeutenderes Werk, „Ein Arzt der Seele“. Dasselbe hat durch das scharfe lebenswahre Gepräge seiner Figuren, durch die geistvolle Tiefe der Reflexionen und vor Allem durch den sittlichen Ernst der Tendenz sich eines raschen, außergewöhnlichen Erfolges (auch auswärts, zum Beispiel in Amerika, wo es bei Lippincott in Philadelphia in englischer Uebersetzung in kurzer Zeit fünf Auflagen erlebte) erfreut und ihren Ruf als Schriftstellerin ersten Ranges dauernd begründet. Im Jahre 1870 bezog Frau v. Hillern mit ihrem dritten Romane, Aus eigener Kraft, einer ehrenvollen Einladung des Verlegers folgend, als neue Heimath die „Gartenlaube“. Derselbe soll, von der Verfasserin überarbeitet, dieser Tage in Buchausgabe erscheinen und wird soeben auch in die ungarische Sprache übersetzt. Seitdem hat ihre Muse geruht mit Ausnahme eines kleinen, aber trefflich gelungenen Versuchs in Novellenform; die Sage von der Entstehung des kunstvoll geschnitzten Hochaltars im Dome zu Altbreisach, welche bei einem gelegentlichen Besuch der Kirche vom Küster ihr vorgetragen wurde, bildet das Skelet ihrer im „Bazar“ erschienenen anmuthigen Erzählung „Höher als die Kirche“. Endlich haben wir dem Verzeichniß ihrer Werke noch zwei dramatische Bluetten, „Guten Abend“ und „Der Autographensammler“ einzureihen, welche, eigentlich als Gelegenheitsdichtungen entstanden, doch ihren Weg über die deutsche Bühne gemacht und – besonders die letztere – überall gute Aufnahme gefunden haben.

Was nun kommen wird? Ich kann es nicht verrathen. Man sagt, daß den gewaltigeren Ausbrüchen der Vulcane eine längere ungewöhnliche Ruhe vorauszugehen pflege; und in der That ist es, wie Gustav Freytag treffend von ihr sagt, ein edles Metall, welches der Schooß ihres Geistes birgt, aber ein schwerflüssiges, das nur eine anhaltende Gluth zum Schmelzen bringt. Einen dringenden Wunsch gebe ich meiner Freundin für die neue Arbeit auf den Weg, daß es ihr einmal vergönnt sein möge, in concentrirter Sammlung des Geistes, unbeirrt durch innere und äußere Störungen in der Freude am Schaffen, ein Werk zu vollenden, was bisher nicht der Fall war. Im besten Fluß der Arbeit am „Arzt der Seele“ traf sie mit lange anhaltenden Nachwehen der jähe Schicksalsschlag, der ihr in wenigen Tagen nach einander Mutter und Vater raubte. In der Ausarbeitung des Romans „Aus eigener Kraft“, welche sie sich selbst durch nachträgliche Modificationen des Planes und Ganges erschwerte, wurde sie nicht allein durch die heftigste Steigerung ihrer nervösen Kopfschmerzen, sondern auch durch eine acute Erkrankung an Masern wiederholt unterbrochen und mußte dann, von den Setzern gehetzt, ihr Werk in einer Hast vollenden, welche der künstlerischen Abrundung nicht förderlich sein konnte.

Eine kritische Beleuchtung der Werke von Frau v. Hillern liegt außerhalb der Grenzen meiner Aufgabe, welche sich allein auf die Person der Dichterin bezieht. Darum zum Schluß, nachdem ich diese in ihrer Entwickelung geschildert, noch mit wenigen Strichen eine Skizze der fertigen Persönlichkeit, wie sie heute leibt und lebt.

Wilhelmine v. Hillern ist ein so ungemein reich und vielseitig angelegtes Naturell, daß ihre Erscheinung keine einförmige sein kann, vielmehr nothwendig kaleidoskopartige Mannigfaltigkeit zeigen muß. Scharfe Beobachtungs- und Auffassungsgabe, prompte Urtheilskraft, ein klares Denkvermögen von außerordentlicher Agilität, wie Quecksilber auf den leisesten Impuls reagirend, eine leichtentzündliche Phantasie, eine Willenskraft, welche, aus dem Alltagsschlummer gerüttelt, zur höchsten Energie sich steigern kann, dazu ein durchaus edles reines Gemüth von ungemeiner Eindrucksfähigkeit, hochaufwallend in allen Affecten, endlich eine Reihe angeborener und anerzogener Eigenthümlichkeiten, ebensowohl ein reger Sinn für das Schöne in jeder Sphäre als eine Vorliebe für Glanz und Pracht, überhaupt ein großer Hang zum Extremen, ebensowohl unersättliche Wißbegierde als eine kleine Dosis Aberglauben, ebensowohl ein warmes Gerechtigkeitsgefühl als ein reizbarer Widerspruchsgeist, lebendiger Formensinn, aber keine Spur von Zeitsinn, das sind die charakteristischen Ingredientien, die sich alle unter der Dampfspannung eines leidenschaftlichen Temperaments an die Oberfläche drängen. Kein Wunder, wenn dieselbe sich mannigfach und reich an Contrasten gestaltet. Heute ein lustiger Waldbach, der in tollen Wirbeln dahinfließt, an jedem Stein in regenbogenschimmernden Schaum zerstiebend, morgen ein stiller Bergsee, in dessen sonniger Tiefe organisches Leben üppig gedeiht; heute mit allen Insignien geschmückt als Fürstin des Salons, seine äußersten Anforderungen streng befriedigend, morgen am Schreibtisch in intensive Geistesarbeit versunken; heute hoch zu Roß als kühne übermüthige Reiterin, morgen in philiströser Emsigkeit an der Nähmaschine; heute in pikantem Wortgefecht über Theater, Politik oder Mode, morgen in ernster, von penetrirendem Verständniß geleiteter Discussion über ein Thema der Physiologie oder Psychologie; heute in kindlicher Naivetät sich in die Interessen ihres Hundelieblings vertiefend, morgen die liebevollste sorgsamste Mutter am Arbeitstisch oder am Krankenbett ihrer Kinder; heute himmelhoch jauchzend, morgen zu Tode betrübt; heute „Ernestine“, morgen „Anna“: dies ist Wilhelmine v. Hillern in einigen ausgewählten Phasen ihrer äußeren Erscheinung, in ihrem ganzen Wesen aber ist sie eine wahrhaft geniale, edle, liebenswürdige Frau.

Werden Sie sich wiedererkennen, meine liebe Freundin, wenn Sie dieses Ihr Bild in meinem Spiegel erblicken, und werden Sie davon befriedigt sein? Wer weiß? Das aber weiß ich gewiß, daß es aus wahrhaftigster Ueberzeugung heraus gezeichnet ist.




Das Gründungsfieber der Jetztzeit.


Skizze für die guten lieben – Actionäre.


Von einem Eingeweihten.


Die fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung, welche kleine Summe die Herren Franzosen gerechter Weise dem deutschen Reiche zahlen müssen, haben einigen seiner braven Bürger den Kopf etwas verdreht, sie haben sich ausgedacht, wie auch sie einen financiellen Privatkrieg mit dem leichtgläubigen Publicum führen und, ohne gesetzlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, sich große Summen als Kriegsentschädigung annectiren könnten. Fußend auf dem Patentgesetz, wonach der Patentinhaber sich für seine Erfindung zahlen lassen kann, was er will, erfinden sie irgend eine Eisenbahn, eine Bank oder ein industrielles Unternehmen, gründen darauf eine Actiengesellschaft und lassen sich tüchtigen Gründerlohn zahlen, gleichviel ob die Sache Aussicht auf Erfolg und Rente hat oder nicht.

Diesem Schwindel ist bisher nicht gesetzlich beizukommen gewesen, die Formen, in denen er sich bewegt, sind nicht verboten; es ist also Sache der Presse, das Publicum vor den Verlusten zu warnen, denen es sich aussetzt, wenn es den Gründern fauler Unternehmungen sein Geld anvertraut. Wir wollen versuchen, unseren Lesern eine Einsicht in die Geheimnisse der Gründungen zu geben, was am besten dadurch geschieht, daß wir ihnen einige derartige Gründungsgeschichten erzählen.

Der Bürgermeister von Giebstadt wünscht sich eine Eisenbahn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_592.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2019)