Seite:Die Gartenlaube (1872) 596.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Zimmer. Sein bewegliches Gesicht war stark geröthet, alle Löckchen seines Haarwaldes schienen doppelt so kraus wie sonst, und die ruhelosen Augen glimmten wie Kohlen, als er stürmisch rief: „Wissen Sie schon, Wallmoden?“

„Was?“ fragte der Staatsrath zerstreut.

„Sie wissen also Nichts – Nichts?!“ rief Gotter sprudelnd vor Aufregung. „Die große Frage ist entschieden – der Sturm ist herauf! Es giebt Krieg!“

„Also in Wahrheit –“ sagte Wallmoden, indem er mit finsterm Blick vor dem Freunde stehen blieb; „dachte ich’s doch! Das Gelüste, die beneidete Nation ganz Europa als gehorsamen Vasallen vorzuführen, ward zu hoffärtig gezeigt, als daß sich nicht ein zweiter Vorwand vom Zaune brechen ließe, nachdem der erste mit Würde beseitigt worden. Was ist geschehen?“

„Das errathen Sie nimmermehr! Benedetti hat die Unverschämtheit so weit getrieben, dem Könige die schmählichsten Zumuthungen auszusprechen! hat frech die Zusage begehrt, daß in aller Zukunft kein Hohenzoller den spanischen Thron besteigen dürfe – und, was das Tollste ist, ein Entschuldigungsschreiben an Napoleon über die ganze Candidatur gefordert!!“

„Und der König?“ fiel Wallmoden mit gespanntem Blicke ein.

Unser König hat sein Hausrecht gebraucht!“ rief Gotter mit starkem Nachdruck, „und als der Unverschämte wiederkam, fand er die Thür verboten. Jetzt gilt es! Morgen schon reist König Wilhelm nach Berlin, die Kriegserklärung wird nicht auf sich warten lassen, die Mobilmachung ebensowenig! Es gilt Unabhängigkeit und Ehre – es gilt die höchsten irdischen Güter – wer ein deutsches Herz hat, muß und wird zu Preußen stehen!“

Der Staatsrath ging mit weiten Schritten auf und nieder. „Was wird der Süden thun?“ drang es aus der Tiefe seiner Brust hervor.

„Und kann das noch eine Frage sein?“ schnitt ihm der Freund das Wort ab, während jedes Glied seines Leibes mitzudemonstriren schien. „Wenn vor solchem Moment nicht Hader und Mißvergnügen, jeder Parteigroll weggeblasen wird wie Spreu, dann wäre das ganze Dasein wahrlich keinen Strohhalm werth. Wallmoden! wir sind zusammen jung gewesen – sind wir so alt geworden, daß der höchste Gedanke unserer jungen Jahre heute, wo Verwirklichung vor uns steht, daß der Gedanke an deutsche Einheit uns leerer Wahn erscheinen könnte? Nein, unser Volk wird die große Probe bestehen, in Süd und Nord läßt sich nur Eins fühlen: – heiligster Zorn gegen den anmaßenden Fremden, männlicher Entschluß, vereint voranzugehen! Ich frage Sie auf Ihr Gewissen, alter Freund: kann Sehnsucht nach dem Alten, kann Aerger über Neues Ihnen verdrängen, in diesem Augenblicke noch verdrängen, daß Sie ein deutscher Mann und und daß in der beleidigten Majestät des deutschen Königs unser Aller Ehre geschädigt und bedroht ist?“

Wallmoden erfaßte Gotter’s Hand mit festem Druck. „Walte Gott!“ entgegnete er mit starker Stimme. „Vielleicht ist es in seinem Rathe beschlossen, daß ein Lügner zu Stande bringt, woran sich manch großes Herz ohne Erfolg verblutet. Gewaltige Ereignisse machen aus allen Zwischenscenen den Staub ihres Weges – das bleibt ewig wahr! Jetzt gilt es, seine Pflicht thun!“

Sein ernster Blick streifte Eugenie, welche den gleich Blitzen aufeinanderfolgenden Worten der Männer in stummer Erregung gefolgt war. Sie brach in Thränen aus und warf sich an seine Brust.




Mobil!


Die Panik unter den Fremden wuchs von Tag zu Tage, ja von Stunde zu Stunde mit jedem neueintreffenden Briefe oder Telegramm. Gast- und Badehäuser begannen sich zu leeren und die Coupés der Eisenbahnen zu füllen, während sich die Einheimischen vom Strome der so Gewaltiges im Schooße tragenden Gegenwart nicht weniger stark erfaßt fühlten. In solcher Zeit höchster Spannung ergreift den Einzelnen ein seltsames Bewußtsein: – lebhaft empfindet er den nahen Flügelschlag dunkler, Alles umwühlender Zukunft und muß wartend auf der Stelle bleiben, während die Gedanken so rastlos gestaltend arbeiten, daß er sich bereits fortgerissen erscheint. Jedem zufälligen Pochen an der Thür, jedem momentan unerklärten Laute antwortet der Pulsschlag dieses Bewußtseins: Jetzt! – jetzt gilt es, auch für Dich! Näher drängt man sich an die Seinen, jeder folgende Augenblick erscheint eine verhüllte Pforte, während doch der gegenwärtige in Wahrheit noch alltäglich in seiner Erscheinung ist, wie der vorige gewesen.

Diese Stimmung ließ Eugenie Wallmoden widerstreben, als die Verschönerungspräsidentin gegen Abend des 16. Juli in Begleitung einiger Bekannten an die Thür klopfte, um sie zum Genuß der angenehmen Kühle nach dem Neroberge abzuholen. Es war Eugenie unbehaglich, heute den Vater, das Haus zu verlassen, doch wußte sie dem lebhaften Zureden, das auf sie einstürmte, keinen andern Grund entgegenzuhalten, als Unstimmung, und fand sich endlich, vom Staatsrathe selbst gedrängt, fast willenlos entführt.

Während die kleine Gruppe durch Park und Platanenallee der Trinkhalle zusteuerte, wo sie noch eine befreundete Familie unter den Colonnaden erwartete, empfand Eugenie doch, welche Wohlthat ihr nach mehreren in Abgeschlossenheit verlebten Tagen die köstliche Frische des Sommerabends war. Ihre Wange färbte sich, ihr Schritt wurde elastischer, während sie auf das heitere Geplauder der sie umkreisenden jungen Mädchen einging. Plötzlich glitt aber etwas wie ein Schatten über das ausdrucksvolle Gesicht – es war nur ein momentaner, sogleich verschwindender Zug, der aber trotzdem Jenem, dessen Anblick ihn hervorgerufen, nicht entgangen war.

Lieutenant Eckhardt kam die Geisbergstraße abwärts, den Spaziergängern entgegen, und hatte eben gegrüßt. Fast war es, als zöge wirklich eine lichtverhüllende Wolke dahin, denn auch seine Stirn umschattete sich; zugleich stieg in seinem Auge ein Blitz auf; er hemmte seinen Schritt, hielt eine Secunde an, wandte sich dann zurück und trat mit einem Worte der Begrüßung an die Präsidentin heran, welche den kundigen Regimentsadjutanten sofort mit hundert Zukunftsfragen über Mobilmachung und Waffengeklirr, Zuaven und Turcos in Beschlag nahm. Eckhardt antwortete gefällig, ohne jedoch den Blick von den Mädchengestalten abzuwenden, die während seiner Ansprache vorausgeeilt waren. Die jüngste derselben, eine pikante Brünette, sandte ihre Kirschenaugen mehr als einmal rückwärts nach dem „Interessanten“, und sollte auch bald das Vergnügen genießen, den jungen Officier an ihrer Seite zu sehen.

Die Spaziergänger hatten die Wiesengelände des Dambachthales durchwandert und waren nun den sprossenden Weinbergen entlang bis zum Rande der Waldung gelangt, wo die Vorangeeilten Halt machten, um die Nachkommenden zu erwarten; hier mischten sich die Gruppen und schlugen den schmal aufsteigenden Waldweg einzeln oder paarweise ein. Eugenie blieb einen Augenblick zurück, um ihr Kleid von einem Dornenzweige zu lösen, und Eckhardt benutzte diesen Zufall, sich zu ihr zu gesellen. Sie ging an seiner Seite, ohne den Raum, der sie von den Uebrigen trennte, durch beschleunigteren Schritt zu verkürzen. Beide schwiegen.

(Fortsetzung folgt.)




Der neue Lehrer. (Mit Abbildung. S. 583.) Ja ja, so stehst du da, wenn dein in den wohlverdienten Ruhestand versetzter Vorgänger dich dem Herrn Ortsvorsteher oder Schultheißen als seinen Nachfolger im Schulamte vorstellt. Im Vollbewußtsein seiner Würde, erst als „Großer“ (von so und so viel Aeckern, Pferden, Ochsen, Kühen etc.) und dann als „Erster“ im Dorfe, bleibt er ruhig vor oder nach dem Mittagstische beim Schnapsglase sitzen, während ihr armen Lehrerlein demüthig vor ihm steht. Nur die Hausfrau hat die Güte, deinem alten Collegen, der wahrscheinlich bei seiner Pensionirung den Titel „Herr Cantor“ erhalten hat, einen Stuhl anzubieten. Du selbst, in der Fadenscheinigkeit deines Röckchens, der Geflicktheit deiner Stiefel und der Magerkeit deiner ganzen Gestalt, bist freilich auch eine „angesehene Person“, denn die Schulzenkinder wenden keinen ihrer frechen Blicke von dir, und dem größeren Schlingel hinter seines Vaters Stuhl ist’s im Gesicht abzulesen, wie wenig Respect er vor dem neuen Schullehrer, im Vergleich mit dem alten, hat und wie er sich darauf freut, dich zu foppen und nichts zu lernen. Armes Lehrerlein! dein Vorgänger ist nicht fett geworden auf seiner Stelle, und du wirst’s auch nicht werden, wenn nicht dein Glück aus dem einzigen Blick erblüht, mit welchem das junge Mädchen aus dem Hintergrunde dich recht überlegsam zu betrachten scheint. Gott segne dich und lasse dich und uns Alle die Zeit erleben, wo die Schule ein Kleinod in den Augen aller Eltern wird und der Lehrer ein Ehrenmitglied jeder Familie – wo eroberte Milliarden auch dahin mit zurückfließen, wo die siegenden Helden erzogen worden sind – und wo Schulzen und Minister auch dem Volksschullehrer ihre Achtung bezeigen müssen.




Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_596.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)