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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 38.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


11.


Eine kurze Reihe stiller Tage war über das stille Dollan hingezogen und jeder Tag hatte der letzte sein sollen, den Gotthold auf dem Gute zubrachte, und es war immer eine Veranlassung gewesen, weshalb dem letzten noch ein allerletzter zugefügt wurde. Einmal war es die angefangene Skizze, welche entschieden noch weiter ausgeführt werden mußte; dann weinte Gretchen so sehr, weil Onkel Gotthold morgen, wo ihr Geburtstag war, reisen wollte; am Donnerstag war der Roggen geschnitten, die Leute hatten am Abend ein kleines Fest und sie hatten sich allerhand unschuldige Possen ausgedacht und durch den alten Statthalter Möller Gotthold bitten lassen, daß er ihnen ein wenig dabei helfe; am Freitag kam ein vom Curatorium gesandter junger Architekt, der den Plan zu dem neuen Wohnhause vorlegen wollte, und Brandow wünschte dringend Gotthold’s Meinung zu hören; morgen war gar nicht an die Abreise zu denken, denn Brandow würde den ganzen Tag in Geschäften abwesend sein, und übermorgen hatte Assessor Sellien mit seiner Frau einzutreffen versprochen, und Otto und Gustav v. Plüggen wollten kommen und Herr Redebas aus Dahlitz und noch ein und der andere Nachbar; es würde eine kleine Gesellschaft geben. Brandow hatte aller Welt geschrieben und gesagt, daß Gotthold da sein werde, alle Welt freue sich darauf und mit einem Worte – vor Montag konnte von Fortkommen keine Rede sein, und am Montag wollten sie weiter darüber sprechen.

Es war am Nachmittag des Sonnabends; Brandow war schon am Morgen ausgeritten und hatte Gotthold gesagt, daß er vor Abend nicht heimkehren werde. Es mußte wohl etwas sehr Dringendes sein, was an einem solchen Tage den Herrn von seiner Wirthschaft rief. Brandow war mit dem Einfahren seines Roggens unverhältnißmäßig weit zurück. Dazu kam, daß er nicht einmal einen Inspector hielt und wiederholt gegen Gotthold über den alten stumpfen Statthalter Möller geklagt hatte, auf den er sich gar nicht verlassen könne, die Menge Leute also, die heute auf dem Felde und in den Scheunen beschäftigt war, sich selbst überlassen blieb. Gotthold hatte sich angeboten, wenn Brandow doch einmal fort müsse, die Aufsicht zu übernehmen; aber Brandow, obwohl er wußte, daß Gotthold wirklich ausreichend von der Sache verstand, die Leute ihn auch sehr gern mochten und ihm gewiß willig gefolgt wären, hatte es auf das Bestimmteste abgelehnt.

„Es ist schon schlimm genug, daß ich die Unhöflichkeit begehen muß, Dich einen ganzen Tag allein zu lassen; aber mehr darfst Du mir auch nicht zumuthen. So lange eine Menschenmöglichkeit ist, weißt Du, pflege ich meine Freunde nicht zu incommodiren.“

Damit war er fortgeritten und Gotthold hatte seine Malgeräthschaften genommen, um einen Vorwand zu haben, ebenfalls das Haus verlassen und in den Wäldern und am Strande umherschweifen zu können – zwecklos, ruhelos, bis er sich darauf besann, von dem alten Fischer Karl Peters aus Ralow gehört zu haben, daß Vetter Boslaf heute Abend von seiner Fahrt nach Sundin zurückkommen werde. Karl Peters mußte es wissen; denn ihm hatte der Alte die Schlüssel zum Strandhause anvertraut, damit er am Abend die Lampe anzünde und des Nachts Wache hielt; auch war es Karl Peters’ Sohn, der Vetter Boslaf auf der Fahrt begleitete. So war Gotthold denn bis zum Strandhause gegangen und hatte sich auf die Uferhöhe in den Schatten der Buchen gesetzt, um zu warten; aber das Meer rauschte so melancholisch einförmig an den Strand, die sonnigen Stunden waren so bleiern langsam hingeschlichen, und wenn er ihr sagen wollte, daß er, anstatt Montag, schon morgen Dollan zu verlassen beschlossen habe, so war jetzt die rechte Zeit.

„Die Frau ist mit Gretchen im Garten,“ sagte die hübsche Rieke; „Sie kennen ja wohl ihren Platz.“

Gotthold blickte das Mädchen ruhig an, das schnell das Gesicht abwandte. Die letzte Bemerkung war mindestens überflüssig, denn der Garten war nicht so groß, daß man Jemand, den man suchte, nicht gar leicht gefunden hätte; aber Rieke hatte es auch noch in einem Tone gesagt, der Gotthold’s Ohr widerwärtig berührte. Es war ihm wiederholt aufgefallen, daß die grauen lüsternen Augen der Dirne mit einem spähenden Ausdruck von ihm zu Cäcilie, von Cäcilie zu ihm schweiften, und daß sie ein paar Mal sehr schnell in das Zimmer gekommen oder sonst herangetreten war, jedesmal mit der Frage, ob man sie nicht gerufen habe. Er hatte sich dabei Cäciliens Aeußerung am ersten Abend erinnert: „sie erzählt Alles wieder,“ und bei sich hinzugefügt: „nur daß sie eben nichts zu erzählen hat.“

Nun, ihr Vergnügen ist morgen zu Ende, dachte er jetzt, während er langsam den Heckengang hinaufschritt nach einem kleinen, ebenfalls von Hecken umgebenen und mit Blumenbeeten ausgelegten Platz, wo Cäcilie um diese Stunde mit dem Kinde sich aufzuhalten pflegte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_613.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)