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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 39.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


13.


Die See war von dem Gewittersturm des Nachmittags noch in Aufregung; aber über die dunkeln Wellen hatte die Sonne, ehe sie sank, bereits wieder zitternde Lichter gestreut. Jetzt traten aus dem schwärzlichen Blau des Himmels die Sterne allgemach hervor; Gotthold blickte zu ihnen auf und dann wieder in das stille Antlitz des alten Mannes, an dessen Seite er auf der Bank im Schutze der dicken Mauern des Strandhauses saß. Neben ihnen durch das Fenster schimmerte das Licht der Lampe, die, so lange Vetter Boslaf im Strandhause lebte, Nacht für Nacht dort gebrannt hatte und nun auch weiter brennen würde, wenn ihm der Tod die treuen Augen geschlossen. Zu diesem Zwecke hatte er jetzt eben die Reise nach Sundin gemacht – die erste, seitdem er vor fünfundsechszig Jahren aus Schweden zurückgekommen, und wohl die letzte, die er in seinem Leben machen würde. Es hatte ihn einige Ueberwindung gekostet, der Gewohnheit des Einsiedlers auf Tage zu entsagen, sich noch einmal unter die Menschen zu mischen. Aber es mußte eben sein; er durfte nicht danach fragen, ob ihm der Gang leicht ober schwer wurde. Und so war er in Begleitung des jungen Karl Peters, des Sohnes seines alten Freundes, abgesegelt, und hatte sich in Sundin sechs Tage lang jeden Morgen bei dem Herrn Präsidenten gemeldet und war stets abgewiesen worden, weil der Herr Präsident zu beschäftigt sei, wie der Kammerdiener sagte, der ihm zuletzt in grobem Tone das Wiederkommen verbot in dem Augenblicke, als jener aus seinem Arbeitszimmer trat und, den alten Mann erblickend, freundlich fragte, was er sei und was er begehre. Da hatte Vetter Boslaf dem freundlichen Herrn gesagt, er heiße Bogislaf Wenhof und sei ein gar guter Freund von Malte von Krissowitz gewesen, dessen Bild dort an der Wand hänge und der, wenn er nicht irre, der Urgroßvater des Präsidenten sei; und hatte ihm dann sein Begehr gemeldet. Malte von Krissowitz weiland aber war einer von den sechs jungen Herren, die in dem Wettkampfe zwischen Bogislaf und Adolf Wenhof als Richter fungirt; der Präsident hatte als junger Mensch die famose Geschichte von seinem Vater gehört, der sie von seinem Großvater hatte, dem sie der Urgroßvater erzählt; es war ihm wie ein Märchen vorgekommen, daß der Held jener Geschichte noch lebe und derselbe alte Mann sei, der neben ihm auf dem Sopha saß. er hatte seine Frau und seine Tochter herbeigerufen und sie dem alten Manne vorgestellt und darauf bestanden, daß er zu Mittag bliebe. Alle waren voll Güte und Freundlichkeit gewesen und – was die Hauptsache war – der Präsident hatte ihm beim Abschiede sein gräflich Wort darauf gegeben, daß die gute Sache, für die er eingestanden, fortan seine eigene sein solle.

„Schon in diesen Tagen,“ sagte Vetter Boslaf, „wird hier vor dem Hause auf hohem Unterbau von Strandsteinen eine Leuchtbake errichtet, deren Licht noch eine Meile weiter trägt, als das meiner Lampe. Karl Peters ist zum Aufseher bestimmt und wird mit mir im Strandhause wohnen, das schon jetzt zum Wachthaus dienen und nach meinem Tode Eigenthum der Regierung werden soll. So ist denn diese große Sorge von mir genommen. Ich brauche nicht mehr zu sagen, wenn ich bei Tagesanbruch die Lampe verlösche: wirst du sie heute Abend auch wieder anzünden können?“

Der alte Mann schwieg; lauter knatterte die schwedische Fahne auf dem Giebel des Strandhauses; lauter rauschte die Welle zwischen den Uferkieseln. Gotthold’s Blick streifte mit scheuer Ehrfurcht die Gestalt an seiner Seite, die hohe Gestalt des Neunzigjährigen mit dem Silberhaar, in dessen Brust das Herz noch immer so warm für die Menschen schlug – für die armen Schiffer und Küstenfahrer, die er nicht kannte, die ihn nicht kannten, von denen er nichts wußte, als daß sie dort in der Nacht, selbst seinen scharfen Augen unsichtbar, vorübersegelten und, so lange sie das Licht sahen, von der gefährlichen Küste abhielten, wie es ihre Väter und Großväter sie gelehrt. Der alte Mann, wie er nur für Andere lebte, wie sein Leben eitel Liebe für Andere war, von denen er Gegenliebe, Dankbarkeit weder verlangte noch erwartete, hatte heute sein Leben auf’s Spiel gesetzt, ihn zu retten, der kaum gerettet sein wollte, dem sein Leben werthlos dünkte, weil er liebte und nicht wieder geliebt wurde. Was würde der Alte dazu sagen? würde er in der Unermeßlichkeit seiner selbstlosen Liebe eine so eigensinnig egoistische Leidenschaft auch nur verstehen?

„Das war meine eine Sorge,“ hub Vetter Boslaf wieder an; „die Regierung hat sie mir abgenommen; ich habe noch eine andere, die kann mir Niemand abnehmen.“

„Handelt es sich um sie – um Cäcilie?“ fragte Gotthold mit klopfendem Herzen.

„Ja,“ sagte der Alte, „um sie handelt es sich, um Ulrikens Urenkelkind, die ihrer Ahne so ähnlich sieht, nur daß sie wohl noch unglücklicher ist. Sie hätte den Mann nie heirathen dürfen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_629.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)