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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sei, daß sie in diesem Kusse, der noch auf seinen Lippen zitterte, sich ihm zu eigen gegeben, daß er für sie handeln, für sie entscheiden dürfe.

Aber machte ihn nun die Sorge, einen Ausbruch Brandow’s hervorzurufen, zaghaft und ungeschickt; wich sie selbst, von derselben Rücksicht geleitet, ihm aus – es gelang ihm auf dem Rückwege nicht, seine Absicht auszuführen. Brandow ging zwischen ihnen; er selbst mußte sein Abenteuer erzählen, und Brandow schalt auf Vetter Boslaf, den alten Hans in allen Gassen, vor dem man selbst auf dem Wasser nicht sicher sei und der ohne Zweifel die ganze Scene nebst Gewitter und allem Zubehör arrangirt habe, um wieder einmal etwas retten zu können. – Gotthold würde unter andern Umständen dergleichen Spottreden, die Brandow noch dazu mit höhnischem Gelächter begleitete, nicht unerwidert gelassen haben; aber so freilich durfte Brandow reden, wie und was er wollte. Und dann schlug ihm Brandow auf die Schulter und rief: „Nichts für ungut, Gotthold, aber ich kann den alten Schleicher nun einmal nicht leiden und habe auch meine Gründe dafür. Entweder man ist Herr in seinem Hause oder man ist es nicht; ein Drittes: die Herrschaft mit einem Andern zu theilen, der überall mit hineinredet und es natürlich immer besser weiß – das giebt es nicht, wenigstens nicht für mich. Wie sagten wir doch auf der Schule: ‚Einer sei König, Einer sei Herrscher!‘ Du wirst auch wohl noch den griechischen Text wissen; ich armer Teufel bin froh, daß ich das Deutsche so ungefähr behalten habe.“

Man langte am Hause an; Gotthold konnte sich von Brandow nicht los machen, der ihn vor der Thür mit einem Gespräch über einen Wirthschaftsgegenstand festhielt, während Cäcilie hineinging. Hinrich Scheel trat heran und beklagte sich über den Statthalter, der heute wieder einmal die Kutschpferde vor den Arbeitswagen habe spannen lassen. Brandow gerieth in großen Zorn; Gotthold murmelte, daß er sich umziehen müsse, und schlüpfte in’s Haus. Aber in der Wohnstube fand er nur die hübsche Rieke, die den Abendtisch deckte und ihn von der Seite mit einer spöttischen Miene, wie es schien, ansah, während er in der Zeitung blätterte, die auf dem Dach vor dem Sopha lag. Das Mädchen ging hinaus, kam aber alsbald wieder und machte sich an dem Wandschrank zu schaffen; sie wollte offenbar im Zimmer bleiben. Gotthold ging nun wirklich nach seiner Stube hinauf und vertauschte seine Kleider, die im Strandhause nur nothdürftig getrocknet waren, mit andern. Dabei versagten seine zitternden Hände ihm fast den Dienst. War es das Fieber der Ungeduld vor der Entscheidung? war es ein wirkliches Unwohlsein, das ihm die Ueberanstrengung während des Sturmes zugezogen? „Nur jetzt nicht krank werden,“ murmelte er, „nur jetzt nicht! jetzt, wo Du Dir nicht mehr selbst gehörst, wo Du Dein Leben, jeden Athemzug, jeden Blutstropfen ihr schuldig bist!“

Brandow’s Stimme schallte von dem untern Flur herauf in lauten, scheltenden Tönen. Galt es Cäcilien? war der bis jetzt vielleicht nur mühsam zurückgehaltene Zorn zum Ausbruch gekommen? sollte sich das Drama vor den Leuten abspielen?

Im Nu war Gotthold zum Zimmer hinaus, über den langen, dunklen Raum die Treppe hinab. Aber seine Furcht war glücklicherweise unbegründet gewesen. Cäcilie hatte sagen lassen, daß sie sich zu angegriffen fühle und nicht zum Abendbrod kommen werde. Weshalb man dann nicht drüben in seiner Stube gedeckt habe, wo man ungestört sei und Niemand störe? ob Rieke niemals Vernunft annehmen werde? Rieke erwiderte, indem sie widerwillig dem Befehl Folge leistete, in schnippischem Ton, sie wünsche, daß es mit der Vernunft anderer Leute nicht schlechter stehe, als mit der ihrigen; und wer wohl wissen solle, was er zu thun habe, wenn man jetzt diesen und in der nächsten Minute einen andern Auftrag bekäme! Brandow befahl ihr zu schweigen. Das Mädchen lachte höhnisch: es sei allerdings das Bequemste, den Leuten den Mund zu verbieten; aber auf die Dauer gehe das nicht, und wenn sie reden wolle, würde sie reden, und dann würden andere Leute wohl schweigen müssen.

„Mach’, daß Du hinauskommst!“ rief Brandow wüthend.

Das Mädchen antwortete mit einem noch frecheren Lachen und ging zur Thür hinaus, die sie unsanft in’s Schloß warf.

„Das hat man davon, wenn man zu gut ist!“ rief Brandow, indem er ein Glas Wein, das er sich mit unsicherer Hand eingeschenkt hatte, auf einen Zug hinuntergoß.

Er warf dabei einen lauernden Blick auf Gotthold, der ihm fest in’s Auge sah. Was bedeutete diese Scene? Was würde das Mädchen reden können, wenn sie reden wollte? Hatte sie an ihren Herrn Ansprüche, welche dieser anerkennen mußte? War ihm hier unverhofft eine Waffe in die Hände gespielt, die ihm in dieser Stunde nützen könnte? Eine unedle Waffe in der That; aber doch vielleicht nicht zu unedel im Kampf mit einem Manne, der, als der Gatte einer solchen Frau, auch die Dirne nicht verschmähte!

Dennoch sagte sich Gotthold, daß er für sein Theil den Kampf nicht beginnen dürfe; daß er, wenn es möglich war, denselben hinausschieben müsse, bis er sich mit Cäcilien über die nächsten Schritte verständigt. Und es schien möglich; ja, es wurde Gotthold bald geradezu zweifelhaft, ob Brandow im schlimmsten Falle mehr als einen dunklen Verdacht habe, dem er keinen Ausdruck geben konnte, oder doch keinen Ausdruck zu geben wagte. Vielleicht wollte er sich nur Muth trinken, während er jetzt Glas auf Glas hinunterstürzte und aus seiner Schlafstube nebenan eine Flasche alten Rothweins nach der andern hervorholte; vielleicht wollte er seinem ohnmächtigen Grimm wenigstens einigermaßen Luft machen, wenn er jetzt auf Vetter Boslaf, den alten Schleicher, schalt, der ihm durch sein ewiges Hineinreden das Leben völlig verleidet habe, bis er ihm denn schließlich das Haus verboten; und wenn er dann wieder auf seine elenden Verhältnisse, wie er sagte, zu sprechen kam, an denen er aber wahrlich weniger schuld sei, als gewisse andere Leute.

„Es ist wahr,“ rief er, „ich habe auf meinen Reisen mehr ausgegeben, als Gevatter Schneider und Handschuhmacher; ich habe auch nachher so wenig wie vorher den Gentleman verleugnen können; aber die hauptsächlichste Veranlassung meiner schändlichen Lage ist doch meine Heirath. Natürlich machst Du ein ungläubiges Gesicht; Du möchtest, als alter Partisan der Wenhofs, mir widersprechen – es würde Dir nichts helfen, lieber Schatz, ich weiß zu gut, wie dies Alles so gekommen ist. Ich will von dem edlen Curt nichts sagen – die paar Universitätsschulden, die ich für ihn bezahlen mußte, waren schließlich nur eine Bagatelle; aber der Alte, der nebenbei gar nicht so alt war, um nicht an den guten Dingen dieser Welt noch verdammt viel Geschmack zu finden, – der Alte war ein bedenklicher Herr Schwiegervater. Daß ich die Kosten der Aussteuer selbst zu tragen hatte – du lieber Himmel – in solcher Zeit holte man ja die Sterne vom Himmel, die Herzallerliebste damit zu schmücken; so machte es mir wahrlich keinen Schmerz, für das Bischen Flitter und sonstigen Kram aufzukommen, wenn es damit sein Bewenden gehabt hätte Das war nun leider nicht der Fall. Ich habe an meinen Herrn Schwiegervater während der zwei Jahre, die er noch lebte, an zehntausend Thaler baar gegeben und nach seinem Tode mindestens eben so viel Schulden bezahlen müssen. Das ist ein hartes Stück Geld, mon cher, wenn man selbst nichts übrig hat, und so ist mein schönes Dahlitz zum Teufel gegangen und ich war froh, hier auf Dollan unterkriechen zu können; und eines Tages wird auch Dollan zum Teufel gehen; denn ohne eigenes Vermögen kann man sich heut zu Tage auf der besten Pachtung nicht halten, und mir haben die wohlweisen Herren vom Curatorium St. Jürgen den Brodkorb noch einmal so hoch gehängt, als meinem Herrn Schwiegervater, der doch auch schon nicht fertig werden konnte. Aber was soll ich einen so rangirten Herrn von solcher Misère unterhalten! Helfen kannst Du mir trotz alledem nicht, und wenn Du mir helfen könntest, von seinen guten Freunden soll man sich nicht helfen lassen – zu dergleichen hat man ja seine guten Feinde.“

Und Brandow lachte laut und sprang dann auf, um mit verstörter Miene, hastigen Schrittes in dem Zimmer hin- und herzulaufen und endlich vor dem Gewehrschrank stehen zu bleiben und eine Pistole vom Nagel zu reißen, deren Hahn er spannte, indem er sich auf den Hacken zu Gotthold umdrehte, rufend:

„Nur daß leider nur zu oft die guten Freunde mit den guten Feinden identisch sind, so daß man sie nicht wohl von einander unterscheiden kann. Meinst Du nicht?“

„Es soll vorkommen,“ sagte Gotthold ruhig, „aber Du thätest gut, die Pistole wieder in den Schrank zu hängen, Deine Hand ist heute Abend zu unsicher für solche Spielereien, es könnte ein Unglück geben.“


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_632.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)