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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

in demjenigen des Rebellen Aba Kaissi an. Dieser hatte allen seinen Leuten Befehl ertheilt, ihn für Kassa auszugeben, und spielte selbst dem Engländer gegenüber die Rolle jenes Fürsten. Der Engländer wurde sehr gnädig empfangen. Er übergab die Geschenke in feierlicher Audienz. Man veranstaltete Feste zu seiner Ehre. Drei Tage lang wurde musicirt, gesungen und getanzt. Des Trinkens und des Jubels war kein Ende. Dann wurde der Brite höchst gnädig mit einigen kleinen Gegengaben und einer Empfangsbescheinigung entlassen. Als er diese seinem Herrn überbrachte, wurde der Betrug erst klar, denn Derjenige, der sich für die Gaben bedankte, war nicht Kassa, sondern der freche Räuberfürst Aba Kaissi.

Ein einziges Mal hat Aba Kaissi ein Bündniß mit einem andern „Rebellen“ geschlossen. Dem Schwur des Fuchses ist nun freilich nicht zu trauen. Das hätte Jener bedenken sollen. Der Bund hatte den Zweck, mit vereinten Kräften einen Hinterhalt zu legen, in welchem man Niemand Geringeren als Kassa selbst fangen wollte. Diese Sache hatte ein so gefährliches Ansehen, daß alle seine Leute Aba Kaissi davon abriethen. Aber dieser versprach ihnen hoch und theuer, daß, die Sache möge ausfallen wie sie wolle, sie dennoch ihren reichen Beuteantheil haben sollten. Er hielt auch Wort. Er fing zwar nicht Kassa, denn dieser hatte ganz zufällig einen andern Weg genommen. Dafür nahm er nun aber seinen eigenen Bundesgenossen gefangen. Letzterer mußte schweres Lösegeld zahlen und mit diesem befriedigte Aba Kaissi seine Getreuen. Seitdem hat Niemand mehr einen Bund mit ihm geschlossen.

Wäre der Räuberfürst vernünftig gewesen und hätte er sich nie weit aus seiner Provinz herausgewagt, er würde heute wohl noch im Besitz derselben sein. Aber der tollkühne Mann hatte andere weitergehende Pläne. Seine Provinz war auch nachgerade dergestalt ausgesogen, daß sie nicht mehr die gewünschten Vortheile für seine Anhänger bot. Da er dieselben nur mit Raub zu zahlen pflegte und in der Nähe nichts mehr zu rauben übrig blieb, so entschloß er sich endlich einen Abstecher in eine entfernte, aber für reich geltende Landschaft zu machen; diese Landschaft war Bogos. Dort befand sich eine kleine, eben erst gegründete italienische Colonie, sowie eine katholische Missionsstation, Alles Lockspeisen für Aba Kaissi, denn selbst der ärmste Europäer besitzt doch immer noch manche Dinge, namentlich Waffen, wonach das Herz des Abessiniers sich sehnt. Ein wirklicher abessinischer Fürst hätte sich nun wohl gehütet, Europäer anzutasten, da die an ihnen verübte Unbill selten ungerochen bleibt. Aber Aba Kaissi war heute hier, morgen dort; ihm konnte eine europäische Intervention nichts anhaben. Er respectirte deshalb auch die Europäer nicht im Geringsten, nahm ihnen ihre Waffen und ihre andere Habe, ließ einem Widerstrebenden die Bastonnade ertheilen und soll sogar gegen eine Italienerin sich allerlei gewaltsame Galanterien erlaubt haben.

Bei dieser Gelegenheit fand ein komisches Mißverständniß statt. Einer der Anhänger des Räuberfürsten, der das Haus eines Italieners ausgeplündert hatte, kam plötzlich zu Aba Kaissi gelaufen und verkündete ihm, er habe mehrere Fässer voll Branntwein gefunden. Nichts konnte willkommener sein. Alle Abessinier sind Freunde geistiger Getränke, die ihre Religion ihnen ja nicht verbietet. Ein Faß wurde angezapft, und nun ergab sich die ganze Armee einer glänzenden Orgie. Man fand zwar einen etwas seltsamen Geschmack an dem Branntwein, aber man dachte sich, es sei eben ein unbekanntes europäisches Gebräu, und trank ruhig weiter; ein hitziges und berauschendes Getränk war es jedenfalls, und das ist ja das Einzige, was der Orientale von einem geistigen Getränk verlangt. Indeß schon nach einigen Viertelstunden zeigten sich fatale Wirkungen von dem Branntwein. Die Meisten fingen an, an Uebelkeiten zu leiden. Einige, die besonders viel getrunken hatten, verriethen sogar Symptome einer ernstlichen Krankheit. Im Orient ist man gleich mit dem Verdacht der Vergiftung bei der Hand; so auch hier. Aba Kaissi ließ die Italiener verhaften. Diese, um sich zu rechtfertigen, baten, man möge doch das angezapfte Faß einschlagen, der Grund der Branntweinwirkung werde sich dann zeigen. Der Grund zeigte sich auch in der That, denn das Faß war voll von Schlangen, Scorpionen, Eidechsen und anderem Gethier. Man war an den Spiritus gerathen, in welchem ein Naturforscher seine Sammlungen conservirt hatte. Wer denkt dabei nicht an die Anekdote von der Köchin, die einen ausgestopften Vogel braten wollte?

Indeß dieser muthwillige Streich war doch der letzte im großen Räuberleben Aba Kaissi’s. Endlich ging Kassa die Geduld aus und er beschloß, den Umstand zu benutzen, daß der Rebell gerade von seiner eigenen Provinz fern war. Er ließ ihm also den Weg abschneiden und ihn von allen Seiten bedrängen. Aber nicht weniger als drei Provinzialgouverneure mit ihren Truppen waren nöthig, um ihn einzuschließen. Aba Kaissi hatte zuletzt nur noch zweitausend Mann, seine Gegner wenigstens das Vierfache, dennoch lieferte er ihnen einen heldenmüthigen Kampf, indem er einen ganzen Tag muthig focht und den Feinden blutige Verluste beibrachte, aber zuletzt unterlag er doch. Der größte Theil seiner Truppen wurde gefangen genommen; eine grausame Strafe erwartete sie. Kassa ließ ihnen Hände und Füße abhauen, die gewöhnliche Strafe für Räuber. Ihr Führer war jedoch entkommen. Nur von dreißig Getreuen begleitet, gelang es ihm, sich in die Berge zu schlagen; aber diese Berge lagen fern von seinem ursprünglichen Werbebezirk, wo er sich sonst nach seinen Niederlagen so überraschend schnell zu erholen pflegte. Hier strömten ihm keine Anhänger zu. Er blieb vereinzelt und war nicht einmal im Stande, sich in den umliegenden Dörfern zu verproviantiren, denn die Bauern hegten hier keinen Respect vor seiner ohnehin zum Schatten gewordenen Macht und widersetzten sich mit bewaffneter Hand. Mitten unter Panthern und Leoparden hauste er eine Zeitlang in der Wildniß, bis es ihm gelang, sich in eine mehr bewohnte Gegend zu schlagen, wo er sein altes Handwerk, jedoch diesmal in sehr verkleinertem Maßstab, wieder aufnahm. Ein Bekannter schrieb mir vor Kurzem aus Massoua: „Aba Kaissi ist jetzt ein ganz gemeiner Räuber geworden.“ So schwindet der Ruhm der Welt!




Deutsche Kaiserspuren in Thüringen.

Kyffhäuser.[1]Rothenburg.[1]Memleben.


„Mamsellchen, Sie sollen anstecken! Die Herren wollen den Kaiser sehen.“ –

Armer Barbarossa! So weit warst du herabgekommen, daß es nur eines „Mamsellchens“ bedurfte, das ein paar Oellämpchen anbrannte, um dich in deiner hohen Sagenpracht zur Schau zu stellen, – ach, und wie! – Tausende, die in den letzten Decennien das Kyffhäusergebirg erstiegen, um zwischen den Trümmern der sagenreichsten Kaiserburg zu wandeln, haben in der Halle des sogenannten Erfurter Thores der Burg für einen Silbergroschen durch das Fensterchen geguckt, hinter welchem in seinem Gewölbe der alte Barbarossa am steinernen Tisch, von krummgeschlafenen Rittern umgeben, sitzt, vor sich Papier, Schreibzeug und Klingel und in der Hand die Schreibfeder, einen richtigen Gänsekiel. O heilige Romantik, warum hast du das gelitten! –

Das große deutsche Schicksal unsrer Tage hat die Raben vom Friedrichs-Thurm vertrieben, und zwar genau so, wie die Sage es vorschreibt: durch einen Adler aus Norden. Ob der versteinerte Birnbaum auf dem Rathsfeld des Kaisers Heerschild an dem dürren Ast getragen, darüber ist nichts bekannt geworden. Das aber haben wir jüngst in jener Thorhalle in bedenkliche Erfahrung gebracht, daß dem Kaiser Friedrich ein schlimmes Mißgeschick droht. Denn er wird jetzt, wo seine Erlösungsstunde vom siebenhundertjährigen Zauberschlaf endlich geschlagen, vom Kyffhäuser auswandern und nach Berlin übersiedeln, aber nicht unter den Dom, um die Gruft der neuen hohenzollernschen Cäsaren zu weihen, sondern in eine Berliner Kaffeestube, um dort am Spott des Janhagels der modernen Kaiserstadt elend zu Grunde zu gehen.

Doch – Scherz bei Seite mit dem schlechten Conterfei,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_638.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2020)