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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nöthig, weil allerdings manche der ersten Zeitungsberichte mancherlei Widersprechendes und Falsches enthielten.

Schon lange vor Christi Geburt erweckte die Erforschung der immer noch unbekannten Nilquellen das Interesse der damals um das mittelländische Meer gruppirten Culturvölker; schon Herodot erwähnt die Quellen des Nils, nach ihm auch Ptolemäus; daher das fabelhafte Mondgebirge und die mächtigen Quellen von unergründlicher Tiefe, aus welchen der Nil seinen Lauf nach Norden nehmen sollte. Burton und Speke, welche 1857 bis 1862 von Sansibar aus nach Westen bis zum Tanganyikasee kamen und dann nach Norden marschirend den ungeheuren Ukerewesee (englisch Victoria Nyanza) berührten, glaubten diesen für den eigentlichen Quellsee des Nils halten zu dürfen; Baker, welcher von Aegypten aus den Nil aufwärts zog, hielt den 1864 von ihm entdeckten ebenfalls ungeheuren Mwutan Nsige (englisch Albert Nyanza) für einen zweiten Quellsee des Nils. In diesen hat der Ukerewe seinen Abfluß; beide liegen unter dem Aequator. Hiermit schien das Problem der Nilquellen gelöst. Livingstone aber beruhigte sich nicht hierbei; getreu der Ansicht, daß kein großer Strom aus einem See entspringe, wollte er nun alle Kräfte daran setzen, um die eigentlichen Nilquellen noch weiter südlich zu suchen. Im Westen und Südwesten der drei oben genannten Seen liegt das ungeheure Gebiet von Innerafrika, in welches noch kein Forscher eingedrungen ist und welches noch auf allen Karten als eine leere Fläche erscheint. In dieses Gebiet wollte Livingstone nun von Osten her eindringen.

Im Herbst 1865 verließ er, damals in noch sehr fester Manneskraft von achtundvierzig Jahren, England, segelte nach Bombay und von dort nach Sansibar. Im Frühjahr 1866 setzte er nach dem Festlande über und fuhr den Rovuma aufwärts; bei einem ihm freundlich gesinnten Häuptlinge hielt er sich längere Zeit auf und zog dann mit seinen dreißig Begleitern westwärts nach dem Nyassasee. Während dieses Marsches entliefen ihm die meisten derselben und verbreiteten bei ihrer Rückkunft nach Sansibar die Nachricht: der berühmte Reisende sei, nachdem er über den Nyassa gegangen, von einem Trupp Eingeborner überfallen und erschlagen worden, sie selbst hätten sich durch die Flucht gerettet. Sie verstanden so meisterlich zu lügen, daß man ihnen glauben mußte.

Um sich Gewißheit zu verschaffen, sandte im Juli 1867 die englische Regierung eine Expedition unter Young ab. Dieser fuhr in einem Dampfer den Zambesi und Schire aufwärts, ging dann über Land zum Nyassa-See und erreichte den Ort, wo Livingstone ermordet sein sollte. Alle Erzählungen von dessen flüchtig gewordenen Begleitern erwiesen sich als Lügen, erfunden, um sich vor Strafe zu sichern. Livingstone hatte den Nyassa im Süden umgangen, unter den dort lebenden Stämmen neue Begleiter angeworben und war wohlbehalten in nordwestlicher Richtung weitergezogen. Hierdurch beruhigt, kehrte die Regierungsexpedition zurück. Bald gab auch der Reisende selbst ein Lebenszeichen von sich. Im April 1868 brachte ein Bote Briefe von ihm nach Sansibar, welche am 2. Februar 1867 zu Bemba (zehn Grad südlicher Breite, zweiunddreißig Grad östlich von Greenwich) geschrieben waren. Später trafen noch weitere Berichte vom December 1867 und Juli 1868 ein. Ein vierter Brief war von einem weiter nordöstlich gelegenen Orte, von Udschidschi am Ostufer des Tanganyika-Sees, den 30. Mai 1869 datirt

Seit jener Zeit blieben alle Nachrichten von Livingstone aus. Alle von Eingeborenen und arabischen Händlern über sein Schicksal erlangten Angaben erwiesen sich nur als vage Gerüchte: der große Forscher war und blieb verschollen.

Der englische Consul in Sansibar, Dr. Kirk, suchte Livingstone Unterstützungen zukommen zu lassen und Genaueres über sein Schicksal zu erfahren; da aber der Verkehr mit dem Binnenlande außerordentlich mühsam und zeitraubend ist, so verstrichen viele Monate, ohne daß man durch Warten gewonnen hätte. Eine größere wohlausgerüstete Unterstützungs- und Aufsuchungsexpedition, welche endlich organisirt wurde, mißglückte vollständig in Folge der auftretenden Cholera. Da die englische Regierung keine weiteren energischen Maßregeln ergriff, um das Schicksal des Verschollenen aufzuklären, beschloß die „Londoner Geographische Gesellschaft“, die Aufsuchung desselben zu einer Ehrensache für sich zu machen. Zu Anfang des laufenden Jahres gingen denn auch die Führer der projectirten Expedition, die Seeofficiere Lieutenants Henn und Dawson, welchen sich Livingstone’s in England lebender Sohn, Oswald, angeschlossen hatte, nach Sansibar ab. Ihre Expedition sollte aber nur ein Project bleiben; was sie erstrebten, war von anderer Seite, wo Niemand es erwarten konnte, längst ausgeführt worden.

Zwei Privatmänner, von denen der eine die Mittel gewährte, der andere diese mit frischer Energie benutzte und gleichsam, als wenn es einen kleinen Abstecher gelte, einen Zug in das Innere von Afrika unternahm, den Viele vorher monatelang bedächtig erwogen, geprüft und dann abermals nach Monaten vielleicht in’s Werk gesetzt hätten, – zwei junge Männer, gewöhnt zu handeln, statt zu reden, hatten das Problem in ganz geräuschloser Weise in Angriff genommen und in kurzer Zeit glücklich gelöst.

Der Eine derselben ist James Gordon Bennett, Besitzer der großen amerikanischen Zeitung „New-York-Herald“, der Andere Henry M. Stanley, Correspondent des vorbenannten Blattes. Des Ersteren Name wurde schon vor Jahren von vielen Zeitungen genannt. Er, als Eigenthümer der Yacht „Henrietta“, hatte mit den Besitzern der Yachten „Vesta“ und „Fleetwing“ eine Wettfahrt über den atlantischen Ocean, von New-York nach England, verabredet und lief nach einer äußerst stürmischen, aber glücklichen Fahrt am Weihnachtsabend 1866 in Cowes, Insel Wight, als Sieger ein, den Siegespreis von neunzigtausend Dollars gewinnend.

Mit welchen Mitteln die ihm gehörige Zeitung arbeitet, die sein nun verstorbener Vater gegründet hat, läßt sich schon daraus entnehmen, daß sie eigens mehrere schnelle Dampfer besitzt, welche vom Hafen von New-York nach der hohen See hinauslaufen, die von fernen Häfen kommenden Schiffe um Neuigkeiten ansprechen und, sobald sie solche von einiger Wichtigkeit erlangt haben, unter vollem Dampf zurückkehren und das inzwischen druckfertig hergestellte Material an die Redaction abliefern – dies Alles nur, damit der „New-York Herald“ die Mehrzahl der wichtigen Nachrichten um oft kaum wenige Stunden früher bringen kann als andere Blätter. Das amerikanische Publicum weiß solchen Eifer allerdings auch gebührend zu schätzen. Ich glaube überdies kaum zu irren, wenn ich weiter anführe, daß der „Herald“ über einige der wichtigsten Strecken der Union sein eigenes Telegraphennetz gespannt hat; ebenso werden ihm politische Nachrichten von Europa und, wenn sie wichtig genug sind, selbst die längsten Reden unverweilt Wort für Wort hinübertelegraphirt, so daß man sie in Amerika gleichzeitig mit uns in Europa liest.

Wie die besseren Correspondenten eines solchen Blattes gestellt sind, läßt sich aus Vorstehendem errathen. Henry M. Stanley gehörte sehr jung schon, während des amerikanischen Bürgerkrieges zum Stabe des „Herald“, wurde 1867 als Berichterstatter über den Befreiungskampf der Griechen nach Creta geschickt, begleitete 1868 die englische Armee nach Abyssinien und zog dann kreuz und quer durch Asien bis nach Bombay. Auf seine Anfrage, was er nun weiter thun solle, wurde ihm der lakonische Bescheid: „Gehen Sie nach Innerafrika, suchen Sie Livingstone auf.“ Sofort machte er sich auf den Weg: der Zweck war einfach und klar, die Kosten Nebensache.

Anfang Januar 1871 war Stanley schon in Sansibar und traf seine Vorbereitungen; bald nachher setzte er nach dem der Insel gegenüber am Festland liegenden Hafenplatz Bagamoyo über, dem Ausgangspunkt der für das Innere bestimmten Karawanen. Seiner frischen Energie, verbunden mit hinreichenden Geldmitteln, gelang es, in wenigen Monaten – für die dortigen Zustände eine außerordentlich kurze Zeit – eine wohlausgerüstete Expedition zu organisiren, und am ersten April schon brach er nach dem Innern auf. Anfang Juli erreichte er die Landschaft Unyanyembe, welche ungefähr zwei drittel des Weges zwischen der Küste und dem Tanganyikasee liegt und eine Art Sammelplatz für alle kommenden und gehenden Karawanen bildet. Von dort aus sandte er seinen ersten Bericht an den „Herald“. Je weiter westwärts Stanley vordrang, desto bestimmter traten die Nachrichten über Livingstone auf, so daß er fest hoffen durfte ihn lebend anzutreffen.

Von Unyanyembe weiter ziehend, traf er auf sich häufende Schwierigkeiten; einige der kleinen eingeborenen Herrscher waren unter sich und mit den arabischen Händlern in Streit gerathen und führten nun Krieg auf echt afrikanische Weise. Hierdurch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_643.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)