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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)



zu unserm Nachbar? ist er nicht ein sehr ehrenwerther Mann?“

„Tante, ehrenwerth! das klingt so alt, das klingt so kalt, wie kann ein ehrenwerther Herr mich interessiren?“ Pathetisch declamirend rief Emmy:

 „Und Brutus ist ein ehrenwerther Mann!“

„Nun gut, Du kleiner Schalk, lassen wir das Beiwort ehrenwerth, obwohl der achtundzwanzigjährige junge Mann es in reichem Maße verdient. Ist Löbau nicht ein geistvoller, liebenswürdiger und sehr hübscher Mann?“

„Ja, das gebe ich gerne zu, allein er ist viel zu nachgiebig. Sieh, Tantchen –“

Katharina brachte den Thee, und Emmy bereitete sorgsam eine Tasse für Frau von Herbeck, rückte deren Lehnsessel näher an den Tisch und fuhr fort, als die Dienerin das Zimmer verlassen:

„Sieh, Tantchen, ich weiß nicht, wie ich Dir das veranschaulichen soll; allein ein Mann könnte nur dann den rechten Eindruck auf mich machen, wenn er eine Art von Tyrann wäre, wenn ich um seinen Beifall buhlen, ein wenig Angst vor ihm haben müßte. Heirathe ich einmal, so soll es nicht heißen: das ist der Mann von der Frau von Löbau! Nein, mein Herr Gemahl muß Jedermann zu imponiren verstehen, und mir ganz besonders. Löbau freut sich über Alles, was ich sage, er lächelt zu meinen Thorheiten, ja er läßt sich meine Unarten gefallen. Das reizt mich geradezu, nur immer unangenehmer zu werden. Neulich im Kränzchen bei Restorfs sage ich während des Cotillons zu ihm: ‚Die Hitze ist wirklich unerträglich hier im Saale, wenn man doch Limonade herumreichte!‘

‚Fräulein,‘ sagt er beeifert, ‚ein Glas Limonade soll augenblicklich zu Ihren Diensten sein.‘

Er eilt fort, kommt mit einem Diener, nimmt diesem das Glas ab und reicht es mir.

‚Ach, das ist ja gewöhnliche Citronenlimonade,‘ sage ich enttäuscht.

‚Wünschten Sie etwas Anderes, Fräulein?‘

‚Ich trinke nur Himbeerlimonade, Herr von Löbau.‘

‚Schade, daß Sie dies nicht sofort mir sagten –‘

‚Ich sagte Himbeerlimonade, Herr von Löbau!‘

‚Wenn Sie das mit solcher Bestimmtheit versichern, so muß ich allerdings nicht gut gehört haben; ich werde gleich die gewünschte Limonade beschaffen.‘

Tantchen, ist das nicht schrecklich? Weißt Du, was ich an seiner Stelle gethan hätte?“ Emmy trat einige Schritte von dem Theetische zurück, zog ihr Gesicht in die düstersten Falten und sprach in dem tiefsten Tone, den ihre Stimme hervorzubringen vermochte: „‚Sie kleiner Naseweis,‘ hätte ich gesagt, ‚meinen Sie, ich werde Ihre Unarten so ruhig hinnehmen? Wenn Sie, anstatt für die gebotene Erfrischung zu danken, mich chicaniren wollen, so wählen Sie künftig zur Erfüllung Ihrer Wünsche einen Andern; ich fühle mich dazu viel zu schade!‘“

Bei den letzten Worten schlug die Stimme in den höchsten Discant über, und die Landräthin, in deren Mienen Aerger und Lachen miteinander kämpften, rief: „Genug von Deinen Thorheiten, Emmy! Trinke Deine Tasse Thee! Es ist Zeit, daß wir aufbrechen.“

Frau von Herbeck schellte und gab den Befehl zum Anspannen.

„Tantchen,“ sagte Emmy, als die Dienerin sich wiederum entfernt hatte, „laß mich noch vollenden, was ich aussprechen wollte. Ich finde es gar nicht so thöricht, wenn bei einigen wilden Völkerschaften die Frauen – wie man sagt – ihre Männer um so inniger lieben, je mehr Schläge sie von diesen erhalten. Nur ein Satan, ein wirklicher kleiner Satan, wird dereinst Dein Schwiegersohn,“ – hier nahm die Stimme einen wahrhaft rührenden Ton kindlicher Liebe an – „denn Du bist ja in der That meine zweite Mutter, und keine Mutter könnte gütiger sein.“

Frau von Herbeck küßte Emmy auf die Stirn und sagte: „Gott gebe, daß Alles ein gutes Ende nehme! Dein Schicksal macht mir oft genug Sorge.“

„Der Wagen ist vorgefahren!“ meldete die Dienerin, und die Reisetoilette begann. Emmy zog einen kurzen, mit Pelzwerk gefütterten Paletot an und setzte eine Capuze von weißer zarter Wolle über das prächtige blonde Haar.

„Aber Dein Paletot ist so weit, Emmy, da dringt die Kälte ja überall durch!“ warnte die Landräthin.

„So will ich den rothen Shawl um die Taille nehmen und sehe dann wie ein Russe in seinem Kaftan aus.“

„Und was ziehst Du über die Atlasschuhe, Emmy?“

„Die will ich gleich in die Stiefelchen stecken, welche Du mir zu Weihnachten gestrickt hast, Tantchen! Nicht wahr, ich bin gehorsam, ich thue Alles, was Du wünschest?“

Frau von Herbeck schüttelte leicht den Kopf.

Das Reisecostüm war angelegt; die Dienerin geleitete die Damen in den Wagen, legte noch eine tüchtige Pelzdecke über die Füße, wünschte eine glückliche Reise, und fort ging es über den knisternden Schnee.

Schnell war die Grenze von Birkenwalde überschritten, und das Herrenhaus von Charlottenhof – der Wohnsitz des Assessors von Löbau – trat als düstere, compacte Masse in dem Halbdunkel hervor. So sehr auch Emmy gegen Löbau geeifert hatte, sie bog doch das Köpfchen aus der Wagenecke bis an die Scheiben der Wagenthür und ließ prüfend den Blick über das Gebäude schweifen, in welchem nur aus zwei Fenstern des Erdgeschosses ein matter Lichtstrahl hervorschimmerte.

„Löbau ist schon nach D. gefahren; die unteren Zimmer bewohnt ja der Inspector,“ murmelte sie.

Da die Tante keine Fragen that und den Schleier noch fester über das Gesicht zog, so lehnte auch Emmy den Kopf wieder in die Kissen und träumte selig von den Freuden ohne Zahl, welche der heutige Sylvesterball ihr bringen mußte.




Assessor Otto von Löbau, an dem seine näheren Freunde mit einer fast verehrenden Zuneigung hingen, konnte bei Fernstehenden leicht für einen schwachen, lenksamen Mann gelten. Er maß die Dinge mit ernstem großem Blicke; was ihm als Recht und Pflicht erschien, davon hätte ihn nichts abzubringen vermocht; wie Unbedeutendes sich abspielte, dünkte ihn gleichgültig, und er stellte zuvorkommend den Wünschen seiner Freunde und Bekannten die eigenen nach. In den gewöhnlichen gesellschaftlichen Beziehungen gab es daher keinen freundlicheren, liebenswürdigeren Mann, als Löbau es war. Wehe Dem jedoch, welcher die Milde und Höflichkeit seines Auftretens mißverstehen und Ungebührliches wagen sollte! Einer der größten Raufbolde der Universität – als ausgezeichneter Schläger bekannt und gefürchtet – trug noch jetzt die tiefe Narbe, mit welcher Löbau’s kraftvoller Arm für eine versuchte Rohheit ihn im Duell gezeichnet hatte. –

Vor drei Jahren, als Löbau sich soeben zu einem zweiten juristischen Examen vorbereitete, fiel ihm unerwartet das schöne Majoratsgut Charlottenhof zu. Jedermann glaubte nun, er werde mit Studiren sich nicht weiter plagen und als hochangesehener Mann auf der Besitzung seiner Vorfahren sich niederlassen. Man hatte falsch gerechnet!

Das Studium, welches er begonnen, meinte Löbau auch in Ehren zu vollenden. Erst wenn er sein Staatsexamen gemacht, wollte er auf einige Monate Urlaub nehmen, um zu prüfen, wie ihm das Leben auf dem Lande und die damit verbundenen Pflichten zusagen würden. Löbau setzte einen tüchtigen Landwirth als Oberinspector in Charlottenhof ein und fixirte dessen Einkommen in der großmüthigsten Weise. Auch die Lage seiner Gutsleute stellte er so günstig für sie, als es nur geschehen konnte, ohne seinen minder gut situirten Nachbarn dadurch Verlegenheiten zu schaffen. Nach einem glänzend bestandenen Assessor-Examen war Löbau gegen das Ende des Sommers zu einem längeren Aufenthalte in Charlottenhof eingetroffen.

Emmy hatte gleich bei dem ersten Zusammentreffen den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht. Ihre Schönheit und Anmuth entzückten ihn, und selbst der Muthwille und die kleinen Unarten standen ihr so allerliebst an, daß man wohl ein wenig zürnen, jedoch nicht ernstlich böse werden konnte. Auch leuchtete – wenn sie zu der Tante sprach – ein Strahl so innigen Empfindens aus den herrlichen blauen Augen, daß kein Zweifel an ihrer Herzensgüte haften blieb. Je mächtiger das Gefühl wurde, welches Löbau erfüllte, um so schwerer ward ihm der leichte, neckende Ton der Unterhaltung dem geliebten Mädchen gegenüber.

Wenige Tage vor dem Sylvesterball beschloß er Klarheit in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_650.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)