Seite:Die Gartenlaube (1872) 677.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ja Muth! „Haben Sie Muth, Madame?“ Sofort hatte ich mich an Schönlein’s Frage erinnert, und unumstößlich klar war mir geworden, daß die Professoren deshalb in Frankfurt anwesend, Gott weiß wie in die Sache verwickelt waren. Ich erschrak tief um ihretwillen, und es stand sogleich fest in mir, daß ich von Schönlein’s höchst unvernünftiger Aeußerung, mir, der ihm fast fremden Frau gegenüber, zu schweigen habe, selbst gegen meinen Mann, denn daß die Sache der Aufrührer bei ihm keine Sympathie finden würde, dessen war ich gewiß.

Um mich blieb es indeß vollkommen still und friedlich, wie vorher, nur daß das Geläute allerdings noch fortdauerte; aber für Den, der nicht wußte weshalb, klang das mehr friedlich als sturmbedeutend. Die Dienerschaft ahnte nichts, und das war mir lieb, denn Kutscher und Gärtner wären ohne Zweifel zur Stadt gelaufen, und die Mägde würden unnöthiger Weise in Alarm gebracht worden sein.

Aber mir war es unheimlich, so einsam in den weiten Räumen zu sein, und ruhelos wanderte ich hin und her. Bald war ich an den Bettchen meiner Kinder, bald suchte ich Schmuck und Juwelen zusammen – auch Mäntel und andere Kleidungsstücke. Es war bereits ein ansehnlicher Haufen geworden, der mich bedenklich machte, weil nicht Alles fortzuschleppen war, und möglich doch immerhin, daß wir flüchten mußten. Und all’ mein kostbares Silberzeug – sollte es zurückbleiben? Die schönen Möbel, die Teppiche, Bilder und allerlei Kunstwerke? Es schien mir entsetzlich, wenn ich mir dachte: das Alles wird nun vielleicht zerstört, und daran sind die Bundesbeschlüsse schuld. Freudig – ich gestehe es – hätte ich das Opfer nicht gebracht.

Indeß läutete es nicht mehr; zuweilen bildete ich mir ein, Gewehre knattern zu hören, obwohl es kaum möglich war, daß der Wind mir zutrug, was auf der Zeil passirte.

Als mein Mann und van Oeren gegen elf Uhr nach Hause kamen, war Alles vorbei – sie hatten nur Spott für die Attentäter. Schweigend packte ich meine Juwelen wieder aus und hing Kleider und Mäntel an ihren Platz.

Es war, wie leicht begreiflich, von nichts Anderem die Rede, als von dem Krawalle. Unsere Mittagsgäste schienen vergessen; ich aber gedachte ihrer im Stillen mit banger Theilnahme, denn wer konnte wissen, ob sie nicht unter die Zahl der Verhafteten gehörten?

Wie groß war daher meine Freude und meine Ueberraschung, als mir am andern Morgen schon um neun Uhr Professor Schönlein gemeldet wurde. Ich empfing ihn sogleich und hörte seine Entschuldigung wegen des ungewöhnlich frühen Besuches kaum an.

„Ich bin doppelt erfreut, Sie zu sehen, Herr Professor,“ sagte ich, „nach den Ereignissen von gestern Abend –“

„Ja, denken Sie,“ unterbrach er mich, „man bringt meine und N.’s Anwesenheit hier in Frankfurt mit dem Attentat in Verbindung, das heißt, es ist mir gesteckt worden, daß man uns in Verdacht hat, um die Sache gewußt zu haben – wie lächerlich! Aber wir sind deshalb nicht abgereist, wir wollen zeigen, daß wir keine Ursache haben, Reißaus zu nehmen. Statt dessen bleiben wir noch einige Tage, und unwiderstehlich zog es mich zu meiner liebenswürdigen Wirthin von gestern, um zu hören, wie sie sich nach dem Schrecken des gestrigen Abends befindet.“

„Ich verstehe,“ konnte ich nicht umhin lächelnd zu erwidern, denn es war mir natürlich sofort klar, daß Schönlein seine unvorsichtigen Worte ignorirt wissen wollte, und daß dies der einzige Grund seines frühen Besuches war. „Aber,“ fuhr ich fort, „von dem Aufstande habe ich hier gar nichts gehört, und ich hätte erst nachträglich davon erfahren, wenn van Oeren mich nicht unnöthiger Weise benachrichtigt hätte. Hier herrschte tiefer Frieden und Todtenstille.“

„Was Sie sagen! So klein war der Stein, der in’s Wasser fiel, daß er nicht einmal bis hierher seine Kreise zog? Und er sollte einen Sturm aus der Tiefe beschwören! Jetzt sind einige dreißig junge Männer das Opfer; sie hofften Helden zu sein, Leonidas, Tell oder Winkelried, nun sitzen sie auf der Hauptwache in Frankfurt hinter Eisengittern und müssen eines Urtheils harren, das Gott weiß wann gefällt wird und wie! – Es ist entsetzlich!“ rief er aufspringend und unruhig auf- und abgehend.

„Sind Ihnen Einige von den Theilnehmern zufällig bekannt, Herr Professor?“ fragte ich.

„Nein – ja – das heißt – man weiß ja die Namen noch nicht alle. Aber ein junger Brausekopf, den ich liebe, als ob er mein Bruder wäre, dessen Hirn voller Posagedanken steckt – ach! ach! mir sagt eine Ahnung, daß er bei diesem Unternehmen nicht gefehlt hat!“

„Die armen jungen Leute! denn jung sind sie gewiß,“ sagte ich. „Haben sie Schlimmes zu gewärtigen?“

„Gewiß haben sie das. Mit den Waffen in der Hand ergriffen – bedenken Sie! es steht der Tod darauf.“

„O, unmöglich! es muß doch darauf ankommen, was die Empörer gewollt haben; die Absicht war vielleicht nicht so schlimm.“

Schönlein lächelte eigenthümlich. „Kindliche Anschauung!“ rief er aus, und obwohl das nichts Anderes hieß als sancta simplicitas! so beleidigte es mich doch keineswegs, denn damals war es auch nicht wie achtundvierzig und nachher. Seit die Freiheitskriege vorbei waren, kümmerte kein Frauenzimmer sich mehr um Politik, und ich bin überzeugt, daß es zur Zeit des deutschen Parlamentes hier in der Paulskirche Anderen grade so ging wie mir: ich wußte nicht einmal, was rechts und links bedeuten sollte, wovon man immer redete.

„Es gilt Alles für schlimm,“ fuhr Schönlein fort, „was an dem Bestehenden zu rütteln sucht. Man hat dafür ein böses Wort erfunden. ‚Verrath‘ genügt nicht, so nennt man es ‚Hochverrath‘, um den Culminationspunkt aller Verbrechen zu bezeichnen. Eigentlich aber ist es nichts als Hochpatriotismus, Hochbegeisterung oder auch Hochirrthum – meinetwegen! Verrath ist eine Schande, Hochverrath eine Ehre. Verrath ist feige und niedrig, Hochverrath begeisterte, selbstlose Hingebung. Der Verräther ist gebrandmarkt, den Hochverräther feiert die Geschichte. Judas war Verräther, – Brutus Hochverräther – verstehen Sie mich, Madame?“

„Vollkommen, Herr Professor,“ erwiderte ich, mit einer gewissen ehrerbietigen Befremdung den mir bis dahin so jovial erscheinenden Lebemann betrachtend. Er war offenbar überaus aufgeregt und mochte entweder nicht im Stande sein, sich zu beherrschen, oder es für unnöthig halten.

„Also die jungen Leute sind Hochverräther,“ nahm er wieder das Wort, „für solche gab es ehemals Rad und Strang, heute das Schaffot oder lebenslängliche Festungshaft, ach! und mein armer, armer Brutus Wolle spinnen, Matten flechten: der Gedanke läßt mich nicht schlafen.“

„Ist denn gar Nichts zu thun, Herr Professor?“ fragte ich voller Theilnahme.

„Nichts! Nichts! gar Nichts! dies Gefühl vollendeter Ohnmacht ist ja grade das Entsetzliche. Was sollte man thun können?“

„Nun – wer weiß?“ entgegnete ich. „Mein Mann ist reich, und wir haben weitverzweigte Verbindungen.“

„O! – Ich habe an Derartiges noch gar nicht gedacht, wie Sie begreifen werden. In meinem Kopfe ist ein Chaos und es läßt sich ja auch noch nicht absehen, wie die Sache läuft. Aber ich will auf keinen Fall von der Hand weisen, was Sie mir da sagen. – Sie sind gut und theilnehmend, das wußte ich gestern gleich – ich danke Ihnen von Herzen!“ rief er aus, indem er dabei meine Hand faßte.

„Aber wofür danken Sie, Herr Professor?“

„Für Ihren guten Willen. Wer kann wissen, ob ich nicht eines Tages darauf zurückkomme, denn ich werde den Lauf dieser Sache verfolgen, als ob es meine eigene wäre. Und kann ich den Armen – sagen wir Verirrten – nützen, so geschieht es ohne Hehl; möglich, daß ich mich dabei an den Beistand edler Frauen wende, ja, ja! es ist sehr möglich. Die Frauen sind hochherzig und sie sind unverdächtig. Sie haben mir doch ein kleines Licht gezeigt in dieser jammervollen Geschichte, eine Dämmerung, auf welche ich meine Blicke hin richten kann. Ich gehe etwas ruhiger von Ihnen fort, als ich hergekommen.“

Ruhig schien mir der Herr Professor nun keineswegs zu sein, obwohl er sich sichtlich Mühe gab, ein äußerlich gefaßtes Wesen zu behaupten. Er blieb noch eine Weile, und wir sprachen sogar von Allerlei, aber nachdenklich flog oft sein Auge über den Strom und den jenseits liegenden Wald hinüber oder mainabwärts, wo ein Holzfloß von den treibenden Fluthen getragen wurde.

„Ihr Haus liegt ausgezeichnet,“ sagte er ganz plötzlich. „Den Main so dicht vor Augen, fast vor der Thür. Man fragt sich unwillkürlich, wohin die Wellen eilen.“

„Nun, von hier nach Mainz,“ entgegnete ich lachend, „das können Sie auf jeder Landkarte sehen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_677.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)