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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 42.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


Eine wunderliche Empfindung bemächtigte sich des Halbberauschten. Die Befreiung von der Angst der Erwartung, die Gewißheit der entschiedenen Rettung aus seiner verzweifelten Lage, die Aussicht dazu, jetzt mit Hülfe seines wiedergewonnenen Brownlock in Kurzem als Sieger aus dem Sundiner Rennen und Gewinner einer unberechenbar großen Summe hervorzugehen – das Alles kam über ihn wie ein Freudenrausch und eine Art von Nöthigung, den Mann, der ihm dazu verholfen, als seinen Retter und einzigen wahrhaften Freund in die Arme zu schließen; und in demselben Momente sagte er sich, daß der Mann, Träumer und Phantast, wie er war, unmöglich ihm eine Summe, die ein kleines Vermögen repräsentirte, anvertrauen würde, wenn nicht alles Schlimmste, was seine unkeusche eifersüchtige Phantasie sich ausgemalt, bereits geschehen – und der Blick seiner stieren Augen, mit denen er jetzt Gotthold ansah, sagte: könnte ich dich zertreten, wie eine Schlange, die mir über den Weg kriecht!

„Ich glaube nicht, daß Du jemals in die Lage kommen wirst, mir dies Geld zurückzustellen,“ sagte Gotthold; „vielleicht ist es Dir nicht unangenehm zu hören, daß ich von vornherein auf Wiederbezahlung und deshalb auf einen Schuldschein, der ja doch nur ein Stück Papier bleiben würde, verzichte.“

Er hatte das Zimmer verlassen; Brandow brach in ein heiseres Gelächter aus.

„Auch das!“ murmelte er; „als ob es noch eines Beweises bedürfte! Aber Ihr sollt es mir bezahlen, alle Beide, so theuer, daß dies hier im Vergleich dazu ein Tropfen auf einen heißen Stein ist.“

„Durch die Thür, welche Gotthold halb offen gelassen, schaute der Assessor herein. Er habe von Gotthold gehört, daß Brandow hier sei, und er beeile sich, die günstige Gelegenheit zu benutzen, um den Freund unter vier Augen zu begrüßen und ihm sein Bedauern darüber auszusprechen, daß Gotthold’s Geschäfte sie so lange in Prora festgehalten, sodann, daß er seine Frau, die an einer schrecklichen Migräne leide, nicht habe mitbringen können. Brandow erklärte es als einen Beweis der Sympathie schöner Seelen, daß seine Frau heute an demselben Uebel darniederliege; und der sarkastische, ja höhnische Ton, in welchem er es sagte, veranlaßte den Assessor, sich im Stillen wegen seiner Vorsicht ein schmeichelhaftes Compliment zu machen, daß er dies zerrüttete Haus allein betreten habe. Um so größer aber war nun sein Erstaunen, als Brandow mit scheinbar vollkommener Gelassenheit fortfuhr:

„Und da wir doch nun einmal unter vier Augen sind, lieber Sellien, wollen wir die Zeit benutzen, unser kleines Geschäft in Ordnung zu bringen. Hier sind die bewußten Zehntausend. Ich habe sie von Wollnow – nebenbei für meinen vorjährigen Raps und einige kleinere Getreidelieferungen. Das Paket liegt noch, wie ich’s bekommen, mit Wollnow’s Siegel verschlossen. Wollen Sie sich die, wie ich glaube, überflüssige, aber doch wohl nothwendige Mühe nehmen, nachzuzählen, so geniren Sie sich nicht. Wenn Sie fertig sind, kommen Sie mir wohl nach. Ich mache Ihnen nur noch eine Quittung zurecht, die Sie gütigst unterschreiben und in dies Schubfach legen wollen.“

Der Assessor war so erstaunt, daß er wirklich kaum wußte, was er erwidern solle; auf jeden Fall war er entschlossen, den Inhalt des Pakets trotz des Wollnow’schen Siegels einer genauen Prüfung zu unterziehen. Brandow schrieb mit fliegender Feder die Quittung und verließ dann mit einem ironischen „Verzählen Sie sich nicht, lieber Assessor!“ das Zimmer.

Er hatte es so eilig gehabt, um endlich mit seinem Vertrauten sprechen zu können. Hinrich Scheel hielt noch mit dem Wagen vor der Thür; aber er wußte wenig zu erzählen und konnte nicht sagen, weshalb sich die Abfahrt von Prora so lange hingezögert. Er glaube, daß es mit dem Gelde gehapert, und daß man auf die Rückkehr des Loitz, der ausgefahren gewesen sei, habe warten müssen. Die Frau Assessor sei nicht krank gewesen, habe im Gegentheil, als sie abgefahren, neben der Frau Wollnow auf dem Balcon gestanden und den Herren im Wagen Küsse zugeworfen. Was die Herren unterwegs gesprochen, wisse er ebenfalls nicht; sie hätten die meiste Zeit in einer fremden Sprache gekauderwälscht. Er habe dafür jedes Loch auf dem Wege mitgenommen, es seien heute nach dem Regen viel Löcher im Wege gewesen – dem Herrn Assessor habe die Fahrt so wenig behagt, daß er zuletzt auf gut deutsch laut geflucht und geschworen habe, heute den Weg nicht noch einmal zu machen, und wenn man ihm eine Tonne Gold dafür gebe. Und darauf habe der Andere gesagt: dann werde er allein zurückkehren müssen, denn er bliebe auf keinen Fall die Nacht in Dollan.

„Es ist ein böser Weg in der Nacht,“ sagte Brandow.

„Besonders wenn es so dunkel ist, wie heute,“ erwiderte Hinrich Scheel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_685.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)