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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Nun, Herr Weber, wollen Sie hier draußen bleiben?“ fragte Rieke, die auf dem Flur gestanden hatte und jetzt an ihn herantrat.

Sie sah ihn freundlich genug aus ihren grauen Augen an; es schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß es wohl nur an ihm gelegen, wenn er sich das begehrliche Geschöpf nicht geneigt gemacht, und daß er noch jetzt das Versäumte nachholen könne, ja nachholen müsse, wollte er anders den Zweck erreichen, um dessen willen er nach Dollan zurückgekommen war. Er hatte sie heute Morgen bei der Abreise überreichlich beschenkt; vielleicht brauchte er nur das Angefangene fortzusetzen.

„Wir dachten nicht, Sie so bald wiederzusehen,“ fuhr das Mädchen fort; „und die Abreise kam so schnell; es ist auch Manches liegen geblieben; ein wunderschönes rothseidenes Tuch – soll ich es holen?“

Sie hatte sich jetzt ganz nahe zu ihm gestellt und dabei, wie zufällig, seinen Arm berührt.

„Ich glaube, es wird Ihnen recht gut stehen,“ sagte Gotthold.

„Glauben Sie? ich dachte, Sie wüßten viel, was mir stünde oder nicht. Sie hatten ja nur Augen für – wen anders.“

„Wo ist die Frau heute? weshalb läßt sie sich gar nicht sehen?“ fragte Gotthold, und setzte dann hinzu, da er zu sehen meinte, daß ein Schatten über das Gesicht des Mädchens flog: „ich gäbe viel darum, wenn ich es wüßte.“

„Wieviel denn wohl?“ sagte das Mädchen mit schelmischem Lachen.

„Rieke! wo steckst Du denn?“ ertönte Brandow’s Stimme aus dem Spielzimmer. „Es fehlen noch ein paar Gläser, wo steckt denn die Dirne?“ und er warf die Thür wieder ärgerlich hinter sich zu.

„Er hat uns nicht gesehen,“ flüsterte Rieke, „ich muß jetzt hinein, komme aber gleich wieder.“

Sie schlüpfte fort; Gotthold blieb noch ein paar Momente stehen, unschlüssig, ob er auf eigene Hand den Versuch, Cäcilien zu sehen, machen solle. Ohne Frage konnte ihm das Mädchen behilflich sein, wenn sie wollte; aber würde sie wollen? Sie schien ernstlich erschrocken, als Brandow rief; aber an der leichten Gunst der Leichtfertigen war ihm wahrlich nicht gelegen, und vielleicht war das Ganze nur ein abgekartetes Spiel zwischen Brandow und dem Mädchen, um ihn sicher zu machen, um ihn desto sicherer in’s Garn zu locken. Besser, vertrauend auf die eigene Gewandtheit, die Gelegenheit benutzen.

Und die Gelegenheit war günstig, wie sie es mehr wohl nicht sein konnte. Ein zweiter verstohlener Blick durch das Fenster in das bereits erleuchtete Zimmer zeigte ihm die Gesellschaft eifrig beim Spiel – Pharao, wie es schien – und Brandow hielt Bank – so konnte er jetzt nicht abkommen. Rieke stand im Hintergrunde des ziemlich großen Gemaches mit einem Präsentirbrett voll Gläser, welche der Pastor aus einer großen Bowle füllte – so war auch sie für die nächste Zeit beschäftigt. Auf dem Hausflur regte sich nichts; in dem Speisesaale stand noch der Tisch, wie ihn die Gäste verlassen – das einzelne Licht, an welchem sie ihre Cigarren angezündet, flackerte in dem lebhaften Luftzuge, dem Erlöschen nahe. Auch hier war Niemand; so gelangte er ungesehen in den abendlichen Garten.

Es war, obgleich die Sonne eben erst untergegangen sein konnte, beinahe dunkel. Die Wolken, die sich am Nachmittage etwas gelichtet, hatten sich wieder zu großen dunklen Massen zusammengezogen, die ein heftiger, in unregelmäßigen Stößen daherfahrender Wind in wildem Spiel durcheinander- und übereinanderschob. Die Wipfel der alten Bäume schüttelten sich; in den hohen Hecken raschelte und zischelte es wie von tausend spitzen Zungen.

So schien es Gotthold. Ein paar Mal blieb er tiefaufathmend stehen; er war es so gar nicht gewohnt, sich auf seinen Wegen zu verstecken. Und doch mußte es sein; er konnte so nicht von ihr auf immer sich trennen.

Den Giebel des Hauses, in welchem unten ihre Zimmer lagen und oben die Stube, die er bewohnt, begrenzte ein kleinerer Garten, der nach dem Hofe zu von einer Mauer, gegenüber von der Wand einer Scheune und nach dem größeren an der Hinterseite des Hauses gelegenen Garten von einer sehr hohen und dichten Hecke eingeschlossen wurde. Es war ursprünglich ein Obst- und Gemüsegarten gewesen, und es standen noch ein paar sehr alte mächtige Aepfel- und Birnbäume darin; später hatte man ihn als Tummelplatz für die Kinder des Hauses benutzt, denen zu Liebe man die Spargel- und Gurkenbeete in einen Grasplatz verwandelt und auch eine schmale Thür aus der Kinderstube durch die dicke Mauer gebrochen hatte.

Gotthold hatte Cäcilien, die sich des Abends immer früh zurückzog, wiederholt in diesem Garten gesehen, mit dem Kinde oder – in den späteren Stunden – allein. Seine Hoffnung war, sie hier zu finden, andernfalls ihr seine Gegenwart, von der man sie schwerlich unterrichtet hatte, kund zu thun, und – er wußte selbst nicht, was dann geschehen würde, geschehen müsse; er sagte sich nur, daß es so, wie es war, nicht bleiben dürfe, nicht bleiben könne.

Der Platz, soweit sich derselbe von der Pforte aus übersehen ließ, war leer, aber an den Fenstern bewegte sich ein Licht hin und her. So vorsichtig er die Pforte aufdrückte, konnte er doch nicht verhindern, daß die selten benutzte laut in den verrosteten Angeln kreischte; in demselben Augenblick sprang auch ein Wachtelhündchen, mit dem Gretchen zu spielen pflegte, dem Eindringling mit heftigem Gebell entgegen, beruhigte sich aber, sobald es Gotthold erkannt hatte. Er nahm die Liebkosungen des Thierchens für ein gutes Zeichen und schritt vorsichtig weiter, dem Lichte zu, das jetzt stetig aus dem einen Fenster schien. Es war das Fenster der neben Cäciliens Schlafzimmer gelegenen Kinderstube. Gotthold trat mit klopfendem Herzen heran und sah sie.

Sie hatte eben, wie es schien, die Spielsachen des Kindes zusammengesucht und sich dann neben dem Tische in einen Stuhl sinken lassen, die Stirn in die linke Hand gestützt, das Bild in sich versunkenen Leides. Der Schein des hinter ihr stehenden Lichtes ließ die wunderschöne Form ihres Kopfes, die zarten Linien des schlanken Halses, des sanft gewölbten Nackens und lieblichen Busens klar und rein hervortreten, während der tiefe Schatten den Ausdruck der Trauer auf ihrem holden Gesichte noch zu vermehren schien. Gotthold’s Herz floß über von Liebe und Mitleid. „Cäcilie, liebe Geliebte!“ murmelte er.

Sie konnte es nicht vernommen haben; aber sie hatte in diesem Moment den Kopf emporgerichtet und, den Blick nach dem Fenster wendend, die dunkle Gestalt vor demselben bemerkt. Sie stieß, sich vom Stuhle hebend, einen leisen Freudenschrei aus, öffnete ihre Arme und wehrte dann mit beiden Händen ab, in angstvollen Tönen rufend: „Nein, nein, um Gotteswillen nicht!“


(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 36. An den Wassern der Haide.
Von Guido Hammer.


Tiefe Finsterniß deckte bereits die weite Natur, als ich eines rauhen Herbstabends an einem dürftigen Haltepunkte der oberschlesischen Eisenbahn, nahe der polnischen Grenze, ausstieg, um hier ein für mich bereitgehaltenes Geschirr zu besteigen. Ich wollte mit diesem noch über eine Meile Weges hinein in das mir noch gänzlich unbekannte Land fahren, wo ich auf Anordnung des betreffenden Domänenbesitzers in einer Försterei Unterkommen zu nehmen hatte, um von hier aus eine in der Nähe liegende, mir besonders bezeichnete Waldpartie behufs eines Jagdbildes aufzunehmen. Freundlich wurde ich von dem mich schon erwartenden Waidmann willkommen geheißen und echt gastlich aufgenommen, als ich mit den dampfenden Pferden – sie waren gelaufen, als gälte es einer Hatze – vor dem einsamen, inmitten alter Föhren und Erlen gelegenen Forsthause ankam. Nach einem für mich bereitgehaltenen schmackhaften Nachtimbiß, wobei ich in kürzester Frist und angenehmster Weise die ganze Liebenswürdigkeit meines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_688.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)