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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Aus der Drei-Kaiser-Woche.


„Immer ’ran, meene Herrschaften – das Dreikaiserblatt – d’ruf zu sehen der österreichische und der russische Kaiser und unser Wilhelm, der is der scheenste von alle Drei. Nur eenen eenzigsten Jroschen und dafür drei Kaiser und dazu noch zu lesen Allens, wat Bismarck mit Jortschakoffen und Andrassyn jesprochen hat, Allens uff’s Jenaueste – immer ’ran, meene Herrschaften – eenen Jroschen und dafür drei Kaiser – so wat hat die Weltjeschichte noch nich erlebt!“

Mit derartigen Ausrufen wurde man in den Tagen vom fünften bis zum elften September in Berlin auf Tritt und Schritt empfangen. Dabei wurde Einem ein Blatt mit der Ueberschrift „Dreikaiserzeitung“ entgegengehalten; auf der ersten Seite konnte man in einem rohen Holzschnitte die drei Kaiser schauen, wie sie sich nach dem Vorbild der heiligen Allianz die Hände reichten, und die drei Gestalten waren von einem Lorbeerkranze eingefaßt. Auf den übrigen drei Seiten war über die Empfangsceremonien Alles zu lesen, was damals in allen Zeitungen stand. Ganz übergehen dürfen wir jedoch auch noch bei diesem späten Rückblick auf jene Tage nicht, daß bei dem Empfang in der Haltung des Volkes doch etwas lag, das sich wie ein mehr oder minder ausgedehntes Bewußtsein dessen anfühlte, was die intime Annäherung des deutschen Reiches an die österreichisch-ungarische Monarchie zu bedeuten hatte. Und wenn auch bei der Einholung Kaiser Wilhelm seinen österreichischen Gast durch die Königsgrätzer Straße führen mußte, so lenkte ja sehr bald der offene vierspännige Wagen, in welchem die beiden Kaiser saßen, in das Brandenburger Thor ein, das sich wie ein Schlußstein neugewonnener Freundschaft und künftiger Einigkeit über den beiden Kaisergestalten erhob. Es donnerte nicht, wie in früheren Zeiten beim Einzug eines so hohen Potentaten, von den Wällen grobes Geschütz, es wurden keine Glocken geläutet – aber ein harmonischer Ton, eine Witterung des Friedens ging durch die Gemüther und begleitete die beiden Kaiser auf ihrem Wege nach dem Schlosse.

Trotz der einflußreichen blinden Partei in der Wiener Hofburg, die in ihrem Preußenhaß fortwüthet, hegten Kaiser Franz Joseph und sein Minister die bessere Einsicht, daß Deutschland und Rußland die beiden Zielpunkte der österreichischen Politik sein müßten, und dies mochte der Schlußgedanke von Erwägungen sein, welche veranlaßten, daß eines schönen Tages, wenn dieser auch ein Wintertag war, Herr Andrassy in Wien unserm dortigen Botschafter Herrn von Schweinitz eine darauf bezügliche Aeußerung machte, worauf letzterer seinen Koffer packen ließ und rasch nach Berlin abreiste. Schweinitz ist hier! Was soll das? schrieben die Berliner Blätter. Er will sich verheirathen – mit der Tochter des amerikanischen Gesandten in Wien und holt sich vom Kaiser seinen Consens, antworteten officiöse Stimmen. Ach so! „Unser Fritz“ scheint doch zu dem neuesten Geschichtscapitel „der Habsburger beim Hohenzoller“ einen sehr namhaften Beitrag gegeben zu haben. Da fuhr während des Winterbesuchs der Herr von Schweinitz mit dem Kronprinzen zur Jagd. Unterwegs mußte der Kutscher absteigen und der frühere Jugendgenosse und nunmehrige militärische Begleiter des Kronprinzen die Zügel ergreifen, damit von unberufenen Ohren nichts vernommen wurde, was da zwischen dem Kronprinzen und dem Botschafter verhandelt wurde. Ob sie beide an jenem Tage auch gute Jagd gemacht haben? Jedenfalls haben sie keinen Bock geschossen.

Wenn die großen aus einer Scheibe bestehenden Fenster der ersten Etage des russischen Botschaftshôtels, die ersten, welche in Berlin existirten, von allen schützenden Läden und Marquisen befreit sind, wenn sie spiegelhell glänzen und die roth und himmelblau damastenen Gardinen sehen lassen, wenn der Balcon mit frischen Blumen garnirt ist und der stattliche Portier in seinem rothen mit Wappenborten chamarrirten Rock und seinem Stock mit dem silbernen Knopf erscheint, „dann ist beim Russen was los“, dann sammelt sich das liebe Berliner Publicum in der Lindenallee vor dem Hause des russischen Kaisers in hellen Haufen. So auch am Nachmittage des sechsten September. Jede Uniform, die ein- und auspassirte, wurde mit einem „Hurrah!“ begrüßt, denn in jeder wurde ein russischer Großfürst oder auch ein deutscher Großherzog oder Herzog vermuthet. Fast jedes Wagenrollen bedeutete eine Hofequipage. Es ging an jenem Nachmittage im Botschaftspalast immer ab und zu. Kaiser Wilhelm war mit dem Kaiser von Oesterreich bereits vorübergefahren dem Schlosse zu, an den Fenstern im Botschaftshôtel ließ sich kein Kaiser, nicht einmal ein Großfürst sehen. Nach einer halben Stunde kam aber eine vierspännige offene Equipage die Linden herab, darin saß der Kaiser von Oesterreich, aber diesmal „in russischer Couleur“. Der Empfang im Schlosse durch die Kaiserin Augusta, die umgeben vom ganzen Hofe im Hause der Hohenzollern dem Habsburger die Hälfte der Treppe entgegengekommen war, und dann die Umkleidung des Kaisers hatten kaum eine halbe Stunde gedauert „und nun ’rin mit Franz Josephen zu Alexandern“, wie ein richtiger Berliner bemerkte, nachdem der Wagen in das Botschaftshôtel eingefahren war.

Neben dem Kaiser von Oesterreich saß ein Officier in preußischer Dragoneruniform, ein angehender Sechsziger, schmächtig, von nicht sehr strammer Haltung, mit einem grau und weiß melirten, etwas struppigen Kinnbarte. Das war der General von Manteuffel, der eigens von Nancy her zum Ehrendienste bei Franz Joseph commandirt war, darum, weil er eine am Wiener Hofe sehr bekannte und beliebte Persönlichkeit ist. Wer weiß, vielleicht war es so eingerichtet worden, daß der Kaiser von Rußland vor dem Kaiser von Oesterreich kommen sollte, da nach der Regel auch der bürgerlichen Höflichkeit der Ankommende immer zuerst seinen Besuch macht. Jedenfalls hatte sich Graf Stillfried viel Kopfzerbrechen darüber gemacht, wer von den beiden Kaisern den Vorrang haben sollte; der ist die Autorität in diesen Dingen, aber die höchste wird wieder Kaiser Wilhelm mit seinem Herzen geübt haben, der dem Kaiser Alexander etwa in dem Sinne geschrieben haben mag: „Du bist mein lieber Neffe, an dem ich stets Wohlgefallen hatte; Du gehörst zum Hause, zur Familie, und Franz Joseph ist der Gast.“ Somit war diese allerdings heikle Frage erledigt, und nun führten beide Kaiser, der österreichische rechts, zusammen die deutsche Kaiserin.

Bis jetzt hatten sich die Monarchen nur immer zu Zwei gesehen, und war bis dato die Dreikaiserzusammenkunft noch keine vollendete Thatsache. Sie ward es erst am sechsten September, Abends sieben Uhr, im sogenannten Pfeilersaale des königlichen Schlosses. Während Franz Joseph den erwähnten Besuch machte, war Kaiser Wilhelm mit der Kaiserin und der ganzen königlichen Familie in den Gemächern des Kaisers von Oesterreich zurückgeblieben und erwartete hier die beiden anderen Träger kaiserlicher Kronen, die denn auch bald eintraten, und so wurde das denkwürdige Ereigniß denn gleich auf die leichteste und angenehmste Art eingeleitet und gefeiert, nämlich mit einem ausgezeichneten Diner.

Dieser Ort der ersten „Entrevue“, wie ein Hofmann für das gar zu simple deutsche Wort „Zusammenkunft“ sagen würde, ist ein prächtiger Saal in der ersten Etage des Schlosses, unmittelbar über dem Portale, vor dem die beiden ehernen Rossebändiger angebracht sind. Die Säulen, welche die reiche Stuccaturdecke tragen, sind von gelbem Marmor, die Wände mit weißem bekleidet; der Fußboden ist mit den seltensten Hölzern eingelegt, und achtet es Unsereiner schon für etwas Werthvolles, auf dem Schreibtische einen kleinen Nippesgegenstand von Malachit zu haben, so kann er hier eine viereckige Schale von diesem kostbaren Steine sehen, so groß wie das Becken eines großen Stadtbrunnens, aus dem die Dienstmädchen ihre Eimer vollschöpfen und sich dabei etwas erzählen. Aber ich komme dabei auf Wesen der untersten menschlichen Rangstufe, und ich wollte doch nur von solchen der höchsten berichten.

Die Gemächer, welche der Kaiser von Oesterreich bewohnte, sind in vielfacher Beziehung von historischer Bedeutung. Hier hatte die Königin Sophie Dorothea gewohnt, und hier war der Schauplatz, wo Friedrich Wilhelm der Erste sein geliebtes „Fiechen“ – Abkürzung von Sophie – und seine Kinder, den Kronprinzen Fritz und die Prinzessin Wilhelmine, später Markgräfin von Baireuth, als ein Hausvater behandelte, d. h. quälte; hier spielten alle die Scenen, die wir aus der bewegten Jugendgeschichte des spätern Heros Friedrich des Großen und aus den Memoiren seiner so klugen Schwester kennen. In dem zu diesen Appartements gehörigen Garde-du-Corps-Saale hatte Friedrich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_696.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)