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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 43.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


Gotthold hatte die abwehrende Bewegung Cäciliens nicht mehr gesehen, ihre Worte nicht mehr gehört. Er war eilends durch die Thür, die er nur angelehnt fand, hereingetreten und lag jetzt zu ihren Füßen, ihre Hände ergreifend und mit leidenschaftlichen Küssen bedeckend.

Und Alles, was in diesen letzten wunderbaren, von Liebesleid und Liebeslust überreichen Tagen seine Brust bewegt und zum Zerspringen erfüllt hatte, was er von gestern Abend bis zu diesem Augenblicke Namenloses gelitten – es fluthete in wildbewegten Worten über seine Lippen; und wie sie sich auch sträuben mochte, sie fühlte sich fortgerissen und ließ sich dahintragen von der Fluth, bis er, aufspringend und sie mit sich emporziehend, rief: „So komm, Cäcilie! Nicht einen Augenblick länger darfst Du in diesem Hause, darfst Du unter einem Dache mit diesem Elenden sein, der sich die Schmach, sein Weib von einem Andern geliebt zu wissen und zu wissen, daß sein Weib diesen Andern liebt, abkaufen läßt mit schnödem Gelde. Ich bin heute Morgen gegangen ohne Dich – es kam das Alles so plötzlich, war so unbegreiflich; ich meinte, daß ich Deinem Befehle folgen müsse, auch wenn ich Dich nicht verstand, auch wenn Du, was Du thatest, aus Mitleid mit dem Manne thatest, den Du einst geliebt, ja aus einem Rest von Liebe für diesen Mann. Jetzt verstehe ich Dich besser; jetzt weiß ich für immer und ewig, daß Du mich liebst; jetzt habe ich mich – haben wir uns wiedergefunden; jetzt soll uns Niemand und Nichts trennen! Cäcilie! Du antwortest mir nicht!“

Sie hatte ihn mit großen Augen angeblickt, in denen sich schmerzlichste Verwunderung malte. Jetzt ergriff sie das Licht und leuchtete ihm voran in die Schlafstube, in deren Hintergrunde ihr Bett stand, dicht vor demselben das Bettchen ihres Kindes.

Die Kleine lag da, die Augen nicht ganz geschlossen, das Mündchen leise geöffnet, die Wänglein geröthet in jenem süßen Kinderschlaf, der dem Wachen folgt wie das Abendroth der untertauchenden Sonne. Cäcilie deutete nicht auf das Kind; aber ihr Blick, der Ausdruck ihrer Züge sagte: das ist meine Antwort.

Gotthold’s Blick suchte den Boden; er hatte in dem Egoismus der Leidenschaft kaum an das Kind gedacht und ganz gewiß nie, daß es ein Hinderniß sein könne. Er begriff das auch jetzt noch nicht. „Dein Kind wird mein Kind sein,“ stammelte er. „Du sollst Dich nie von dem Kinde trennen; ich will Dich nie von dem Kinde trennen.“

Sie hatte das Licht auf den Boden gestellt, damit es Gretchen nicht in die Augen schien, und war dann an dem Bettchen hingekniet, die Stirn auf den Rand des Gatters gedrückt, mit der Hand winkend, daß er gehen solle. Gotthold stand neben der Knieenden, mit der verzweiflungsvollen Empfindung Jemandes, der ahnt, daß seine Sache verloren ist, und sie doch nicht verloren geben kann und will. Plötzlich begann der Hund, welcher ihnen gefolgt war, zu knurren und brach dann in leises Bellen aus, indem er die Spitze seiner Schnauze gegen die Schwelle der Thür richtete, durch die man aus dem Schlafzimmer in das Wohnzimmer gelangte; Gotthold glaubte, dort ein Geräusch gehört zu haben; er ging nach der Thür; Cäcilie warf sich ihm in den Weg. Ihre Miene, ihre Geberde drückte die tödtlichste Angst aus; sie deutete nach der Kinderstube, durch die sie hereingekommen, und eilte, als Gotthold nicht alsbald ihrer Weisung nachkam, selbst ihm voraus, dorthin; Gotthold folgte mechanisch.

„Um Gottes willen, geh!“ rief Cäcilie.

Es waren die ersten Worte, die über ihre Lippen kamen.

„Ich fliehe nicht noch einmal!“

„Du mußt! oder es ist Alles vergebens gewesen! die Qual, der Kampf, die Schmach – Alles, Alles!“

„Cäcilie,“ rief Gotthold außer sich, „ich müßte kein Mann sein, wenn ich so noch einmal ginge. Ich will Licht; ich will wissen, was ich thue, warum ich es thue.“

„Ich darf nichts weiter sagen; Du mußt mich verstehen; ich glaubte, Du hättest es von Anfang an, ich hätte sonst nicht den Muth gehabt; ich wäre das unseligste Geschöpf auf Erden, wenn Du mich jetzt noch nicht verstündest. Aber Du wirst es; ich könnte Dich ja nicht lieben, wenn es anders wäre. Und nun, bei Deiner Liebe zu mir, Gotthold, keine Secunde darfst Du länger hier sein. Leb’ wohl und ewig wohl!“

Es war wie ein Kampf gewesen zwischen den Beiden in dem halbdunkeln Gemache; er hatte sie, sie hatte ihn gehalten, als sollte es für immer sein; sie hatte sich verzweifelt losgerissen, hatte ihn von sich gedrängt, als müßte der nächste Augenblick seiner Gegenwart Tod und Verderben bringen. Nun hielt er noch einmal die holde Gestalt in den Armen, an seinem Herzen; er fühlte ihre heißen, zuckenden Lippen auf seinen Lippen, und dann stand er draußen, und der Regen schlug ihm in’s Gesicht, und über ihm rauschte und raunte es in den sich schüttelnden Bäumen, und neben ihm aus den hohen Hecken raschelte und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_701.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)