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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ich habe in der That heute viel dergleichen in den Kauf nehmen müssen, und ich bin Ihnen verbunden, Herr Assessor, daß Sie mich bis zum letzten Augenblick in Uebung erhalten.“

Der Ton, in welchem Brandow dies gesagt, und die Geberde, mit der er jetzt vor den Assessor trat, waren so auffallend, daß dieser bis zu einem gewissen Grade nüchtern wurde und mit weitaufgerissenen Augen Brandow anstarrte, der jetzt noch einen Schritt näher trat und mit leiser Stimme sagte:

„Oder wie nennen Sie es, wenn die Gäste in Gegenwart der Dienstboten das Benehmen des Herrn vom Hause einer so wenig schonungsvollen Kritik unterwerfen?“ und er deutete auf Rieke, unter deren Aufsicht eine andere Magd und der Groom Fritz die auf den Tischen herumstehenden Gläser abzuräumen und die auf der Erde umhergestreuten Scherben zusammenzukehren begannen.

Der Assessor richtete sich straff in die Höhe.

„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte er, „und Sie hatten die Freundlichkeit gehabt, Herr Brandow, mir auch für die Rückfahrt Ihren Wagen zur Disposition zu stellen. Ich bedaure, daß ich von Ihren andern Gästen eine Gefälligkeit nicht angenommen habe, um die ich Sie jetzt ersuchen muß. Ich darf doch auf Ihre Gesellschaft rechnen, Gotthold?“

„Ich denke, daß Brandow nichts dagegen haben wird.“

„Ich bitte die Herren, ganz über mich verfügen zu wollen.“

Man verbeugte sich mit höflicher Kälte gegeneinander. Wenige Minuten später rollte derselbe leichte Holsteiner Wagen, der vor einigen Stunden die Beiden gebracht, über den holprigen Damm in die finstere, sausende Nacht hinein. Hinrich Scheel lenkte die Pferde.


(Fortsetzung folgt.)




Das Conversationslexikon und seine Gründer.


Eine literar-historische Skizze.


Werfen wir einen Blick auf die wenigen Bücher, die wir im Besitze unserer minder gebildeten und weniger mit Glücksgütern gesegneten Mitbürger vorfinden, so ist es vor allen anderen ein Buch, welches wir fast in jedem Hause antreffen – und das ist die Bibel.

„Wo keine Bibel ist im Haus,
Da sieht es öd’ und traurig aus!“

Getreu diesem echt deutschen Spruche sehen wir sie in den Palästen und in den Häusern der Reichen in mehr oder weniger kostbaren Ausgaben, geschmückt mit Stahlstichen oder Holzschnitten auf dem Tische des Salons; wir finden sie aber ebenso, wenn auch in den bescheidensten Ausgaben, auf dem Eckbrette in der Stube des Bauern oder Tagelöhners. Daneben liegt das Gesangbuch, und seine abgerissenen Ecken und sein abgenutzter Einband verrathen uns bald, daß es schon manchen Gang zur Kirche mitgemacht hat und vielleicht schon vom Vater oder Großvater benutzt wurde. Sehen wir uns aber weiter in der Bibliothek um, so ist es zunächst der Kalender, der uns in die Augen fällt, auch er ist im Palast, wie in der Hütte allüberall zu finden, denn ein Jeder soll ja wissen, wie er in der Zeit lebt. Hiernach begegnet unser Blick dem unvermeidlichen Kochbuch, in welchem sich die geschäftige Hausfrau gern Raths erholt, wenn es gilt, dem lieben Mann eine Lieblingsspeise vorzusetzen, oder wenn es sich darum handelt, in die gewohnte Speisekarte einige Abwechslung zu bringen. – Mit jedem weiteren Buche, welches uns nun in die Augen fällt, wächst auch die Bildung des Bibliothekinhabers. Die wichtigste Rolle nach dem Kochbuche nimmt, bezeichnend für unseren Nationalcharakter, das Fremdwörterbuch ein. Leider können wir uns noch immer nicht daran gewöhnen, die zahllosen und ganz überflüssigen Fremdwörter, welche sich in unsere Sprache eingedrängt haben, zu verbannen, und deshalb spielt das Fremdwörterbuch bei uns eine Rolle, welche es bei anderen Nationen nie erlangen konnte. Ist nun der unvermeidliche Petri oder Heyse angeschagt, so ist das nächste Bedürfniß für Jeden, der nach Weiterbildung und Belehrung strebt, das Conversationslexikon, diese Encyklopädie des gesammten menschlichen Wissens, die ihm über alles Fremde, was bei der Lectüre oder bei der Unterhaltung vorkommt, Auskunft und Belehrung schaffen soll. Die Zahl dieser Conversationslexika ist eine ziemlich bedeutende und wir haben deren, bald von größerem, bald von kleinerem Umfange, bald von höherem, bald von geringerem Werthe, gegen dreißig zu verzeichnen, welche im Laufe dieses Jahrhunderts in Deutschland erschienen sind. Das verbreitetste von allen ist das Brockhaus’sche Conversationslexikon, welches uns in einer älteren oder neueren Ausgabe auf dem Büchertische oder in dem Bücherschrank sehr Vieler entgegentritt. Die neueste elfte Auflage desselben bildet eine stattliche Reihe von fünfzehn Bänden, die unendlich viel Wissen und Kenntnisse in ihren Spalten bergen und gewiß geeignet sind, unser Staunen hervorzurufen, wenn wir einen Blick auf ihren Ursprung, ihre Entstehung, überhaupt auf die Grundlage derselben werfen. Möge mir daher der geneigte Leser folgen, wenn ich es versuche, ein Bild von der Entstehung dieses weltbekannten Buches vor seinen Augen zu entrollen.

Es war etwa um das Jahr 1793, als Dr. Renatus Gotthelf Löbel in Leipzig mit der Idee umging, ein dem damaligen Umfange der Conversation angemessenes Wörterbuch zu schreiben. Wie er später in der Vorrede zu demselben selber sagt, „habe vor dreißig bis vierzig Jahren das Hübner’sche Zeitungs- und Conversationslexikon wohl hingereicht, das Bedürfniß nach politischer Kenntniß, die damals fast allein Gegenstand der Conversation gewesen, zu befriedigen. Jetzt aber, wo ein allgemeineres Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Schein derselben herrsche, genüge dies nicht mehr.“

Diesem Mangel abzuhelfen, war also die Aufgabe Löbel’s; daß dieselbe bei dem Fehlen aller Unterlagen und Vorarbeiten eine sehr bedeutende und die Kraft eines Mannes weit übersteigende war, bedarf wohl keiner näheren Beleuchtung. Unser Löbel empfand dies bald sehr lebhaft und sah sich deshalb nach einer tüchtigen Unterstützung, nach einem befähigten und auf seine Ideen eingehenden Manne um. Er fand denselben in dem Advocaten Christian Wilhelm Franke in Leipzig, welcher, unterstützt durch eine gründliche Bildung, Löbel’s Plan mit regem Eifer und großer Thätigkeit zu dem seinen machte. (Sein Familienname war Francke, er schrieb sich aber aus grammatischen Rücksichten stets Franke.)

Bei dem hierdurch herbeigeführten häufigen Umgange, beim Austausch ihrer Ideen und bei dem rastlosen gemeinschaftlichen Wirken fühlten beide Männer wohl bald heraus, daß ihr Unternehmen ein gesundes und eine große Zukunft in sich bergendes sei. Ob sie keinen Buchhändler fanden, der den Verlag des Conversationslexikons übernehmen wollte, oder ob sie nach einem solchen gar nicht suchten, weil sie die Früchte ihrer Arbeit möglichst selbst genießen wollten, bleibt dahingestellt. Thatsache ist, daß sie im Februar des Jahres 1796 selbst eine Buchhandlung gründeten und durch dieselbe für die Verbreitung des Werkes mit aller Kraft zu wirken suchten. Unbekannt aber mit den buchhändlerischen Geschäften und ganz mit ihren schriftstellerischen Arbeiten für das Conversationslexikon beschäftigt, waren sie genöthigt sich nach einem tüchtigen Geschäftsmann umzusehen, welchen sie in der Person des Friedrich August Leupold, der dem Vernehmen nach bis dahin in der Baumgärtner’schen Buchhandlung als Diener angestellt war, zu finden glaubten und dem sie die Führung des jungen Geschäfts übertrugen.

Interessant für die damaligen Verhältnisse ist es, einen Blick in den Contract zu werfen, der zwischen jenen drei Herren abgeschlossen wurde. Nach demselben – das vom Februar 1796 datirte Actenstück liegt dem Verfasser in der Urschrift vor – waren Löbel und Franke alleinige Besitzer der Buchhandlung; da sie jedoch „aus bewegenden Ursachen dieselbe vor der Hand noch nicht unter ihrem eigenen Namen aufzuführen gedachten“, so wurde besagter Leupold unter folgenden Bedingungen als Geschäftsführer angestellt. Derselbe erhielt zunächst einen Gehalt von hundertzwanzig Thalern jährlich, dabei unentgeltliche Wohnung in den aus einer Stube bestehenden Geschäftsräumen und außerdem für den Winter eine Klafter Holz (für etwa mehr zu verbrauchendes wurde nichts vergütet). Unter diesen nach unseren jetzigen Begriffen wenig verlockenden Bedingungen wurde also Leupold als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_706.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)