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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gründen, die ich Dir heute Morgen bereits andeutete, und ich – aus ebendenselben Gründen – nicht weiter in ihn zu dringen wagte. Man muß solche alte Cotillonorden immer respectiren und für richtige, echte Orden zu halten scheinen.“

„Alte Cotillonorden?“ fragte Alma erstaunt.

Ottilie lachte. „Ich nenne so die Reminiscenzen unserer Männer an ihre alten Liebschaften, die sie mit so possirlicher Rührung conserviren und, so zu sagen, immer heimlich unter dem Rock tragen, um uns nicht durch den Glanz zu beschämen; denn wir sind ja gute und vortreffliche Frauen, aber wie könnten wir uns mit diesen Huldinnen messen! In diesem Falle freilich –“

„Verzeihe, liebe Ottilie, daß ich Dich unterbreche! aber Du wolltest mir erzählen, wie Gotthold zu seinem Vermögen gekommen ist.“

„Das steht ja Alles im engsten Zusammenhange,“ erwiderte Ottilie; „der Cotillonorden, ich meine die alte Flamme meines guten Emil und Gotthold’s Mutter, das ist ja eine und dieselbe Person; aber freilich, ich fange meine Geschichten immer am Ende an, behauptet Emil. Also nun, ausnahmsweise mit dem Anfang. Aber wie das?“

„Vielleicht, indem Du sagst, wer denn die genannte Dame eigentlich war.“

„Du triffst doch immer den Nagel auf den Kopf! Gewiß; wer sie war? das einzige Kind ihrer Eltern – ihr Vater ein reicher Kaufmann in Stettin, Reginald Lenz mit Namen – ihre Mutter – ich habe vergessen, wie sie hieß; aber sie muß ein herziges, liebes Geschöpf gewesen sein und ihren Mann leidenschaftlich geliebt haben, zu leidenschaftlich vielleicht. Auch mag der Mann wohl sehr liebenswürdig gewesen sein – sie haben ihn nur immer den ‚schönen Lenz‘ genannt; und wie denn solche verwöhnte Herren sind: das lustige Junggesellenleben wird in der Ehe fortgesetzt; ein paar unglückliche Speculationen mögen noch dazu gekommen sein; mit Einem Worte: Herr Lenz fallirte nach ein paar Jahren oder stand vor dem Banquerott, und die Bücher stimmten wohl nicht, wie sie sollten; er wollte die Schande nicht überleben, und – es ist schrecklich, wenn man sich das vorstellt – er nimmt ganz heiter Abschied von seiner jungen Frau, um auf die Jagd zu gehen und sich nach dem vielen Rechnen, wie er sagt, den Kopf klar zu machen, und am Abend bringen sie ihn mit zerschmettertem Schädel –; ist es nicht fürchterlich?“

„Weiter!“ sagte Alma.

„Ja, das Weitere ist fast ebenso schlimm. Die junge Frau, die keine Ahnung von der Lage ihres Mannes hatte – sie hätte ihn sonst gewiß nicht fortgelassen –, sieht ganz unvorbereitet die Leiche. Sie sehen, mit einem gräßlichen Schrei zusammenbrechen ist bei der Aermsten Eines. Eine Stunde später – die Unglückliche hat ein zweites Kind unter dem Herzen getragen – rast sie in einem hitzigen Fieber und ist nach ein paar Tagen eine Leiche.“

„Wie unvorsichtig!“ sagte Alma.

„Die kleine fünfjährige Marie –“

„Ein häßlicher Name,“ sagte Alma.

„Ich kann es nicht finden; jedenfalls ist die Trägerin desselben nichts weniger als häßlich gewesen, versichert Emil; und, offen gestanden, ich bin überzeugt, daß er in diesem Punkte nicht übertreibt und daß die kleine Dame, die natürlich im Laufe der Jahre ein große Dame wurde, in der That alle die vorzüglichen Eigenschaften hatte, die dem armen Jungen, der damals so einige Zwanzig war, den Kopf verdrehten. Und nicht blos ihm: sämmtlichen anderen jungen Leuten in dem Geschäfte ist es nicht anders gegangen. Ich vergaß nämlich zu sagen, oder wollte sagen, daß die arme kleine Waise in das Haus ihres Onkels gekommen, des Bruders ihres unglücklichen Vaters, der aber in jeder Beziehung das Gegentheil von Jenem war: häßlich, streng, ja pedantisch, freilich ein vorzüglicher Geschäftsmann, aus der alten Schule, wie Emil sagt, der in dem Geschäfte gelernt und sich zu dieser Zeit bis zum Procuristen aufgeschwungen hatte. Die Frau soll wunderbar gut zu ihm gepaßt, das heißt, ihm weder an Häßlichkeit noch an pedantischer Strenge etwas nachgegeben haben, so daß das arme Mädchen in diesem Hause gerade nicht auf Rosen gebettet gewesen ist.“

„Trotz aller Bewunderer?“

„Trotz aller Bewunderer. Sie hat es von ihrem Vater gehabt, der auch immer hoch hinaus gewollt hat.“

„Vielleicht hat sie überhaupt nicht gewußt, was sie wollte.“

„Ist auch möglich; jedenfalls hat von den jungen Leuten keiner Gnade vor ihren Augen gefunden, höchstens Emil ein wenig, aber er behauptet, nur deshalb, weil er der einzige Jude in dem christlichen Geschäfte gewesen ist und also gewissermaßen nicht mitgezählt hat – die Stellung der Juden, mußt Du wissen, war damals, vor dreißig Jahren, noch ein wenig precärer und ungemüthlicher als jetzt, trotzdem auch jetzt vielleicht noch nicht Alles ist, wie es sein sollte. Wenigstens hat sie den am schlechtesten behandelt, der, was die äußeren Verhältnisse betrifft, die größten Ansprüche machen konnte – ihren Cousin Eduard nämlich, den einzigen Sohn des Hauses, einen stillen, schüchternen jungen Menschen, der sie grenzenlos geliebt hat. Emil sagt, ihm könnten noch jetzt die Thränen in die Augen kommen, wenn er an die Zeit zurückdenkt, wo ihm Eduard, dessen bester Freund er gewesen ist, sein Herzeleid geklagt hat – nicht so pomphaft, weißt Du, mit großen Worten, die gar nicht seine Sache gewesen sind, sondern so sanft, so resignirt –“

„Ich kann diese sanften, resignirten Menschen nicht leiden,“ sagte Alma.

„Sie bringen es auch selten sehr weit, wie das Beispiel des armen Eduard zeigt. Aber freilich, sie hat noch ganz anderen Leuten Körbe gegeben, die keineswegs sanft und resignirt waren: Officieren, Baronen und Grafen – was weiß ich; sie ist ja das Wunder der Stadt und der Abgott der ganzen jungen Männerwelt gewesen, und sie hat sie nicht mehr beachtet, als wie die Sonne die Nebel.“

„Du wirst ja ganz poetisch,“ sagte Alma.

„Ein Bild von Emil, der immer poetisch wird, sobald er von ihr spricht – bis dann der Rechte kam.“

„Der Landpastor! Du lieber Himmel! Tant de bruit pour une omelette!“ sagte Alma.

„Bitte, er ist gar keine Omelette gewesen, im Gegentheil ein ganz außergewöhnlicher Mensch, der den Frauen gerade so den Kopf verdreht hat, wie sie den Männern. Und nicht blos den Frauen; viele Männer, und nicht die schlechtesten, haben auch für ihn geschwärmt, unter andern mein Emil, der, seitdem er sich zu unserer Hochzeit hat taufen lassen, keinen Fuß in eine Kirche gesetzt hat, und der damals allsonntäglich, Jude wie er war, dem Gottesdienste beiwohnte, welchen der junge Prediger-Substitut – so, glaube ich, nennt man sie – abgehalten. Die ganze Stadt, sagt er, ist dagewesen; die große Kirche hat die Leute nicht fassen können; sie haben in den Thüren, ja, vor den Thüren gestanden, ihn nur herauskommen zu sehen. Mit einem Worte: dieser junge Prediger war der Rechte. Wie sie sich kennen gelernt haben, weiß ich nicht; thut auch nichts zur Sache. Sich sehen, sich lieben, war Eines. Die Pflegeeltern, die ihres Eduard wegen froh gewesen sind, sie aus dem Hause zu haben, gaben selbstverständlich sofort ihre Einwilligung, trotzdem die kleine Pfarre hier in Rammin, aus die hin sie heiratheten, eher zum Verhungern, als zum Leben war. So sind sie denn von Stettin fort und hierher gezogen und –“

„Die Geschichte ist zu Ende,“ sagte Alma, „wie dergleichen Geschichten, die so überschwänglich anfangen, zu Ende zu gehen pflegen: in Alltagsmisère. Aber dabei weiß ich noch immer nicht, wie Gotthold zu seiner halben Million kam.“

„Keine halbe Million,“ erwiderte Ottilie, „Hunderttausend etwa, meint Emil; und von wem anders sollte er sie wohl haben, als von dem guten Eduard, der nie hat heirathen wollen, so glänzende Partien natürlich der reiche Erbe machen konnte, sondern seiner Jugendliebe treu geblieben ist bis an das Grab, und, als es zum Sterben kam, sein großes Vermögen an wohlthätige Anstalten gewandt und den Rest dem Sohne seiner Cousine als seinem nächsten Erben vermacht hat.“

„Es muß eine sehr angenehme Ueberraschung gewesen sein,“ sagte Alma.

„Ohne Zweifel, obgleich ich doch wieder sagen muß, daß kein rechter Segen bei dem Gelde ist. Nun ja, er ist jetzt ein reicher oder doch wohlhabender Mann; was hat er persönlich davon? So gut wie nichts. In Emil’s Geschäft stehen schon von der Zeit vor unserer Heirath – seitdem braucht Emil, Gott sei Dank, kein fremdes Geld mehr – zehntausend Thaler oder so – er hat sich nie darum bekümmert; das andere hat er dem Stettiner Geschäft gelassen, das von einem der Theilhaber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_719.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)