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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nachfolgenden Verhören unbeugsam bei dem Leugnen aller Mitwissenschaft Anderer beharrte? Was im gewöhnlichen Leben eine Lüge heißt, war ihm in seinem Falle eine sittliche Nothwendigkeit, mit welcher er auch vor einen höchsten Richter zu treten nicht das geringste Bedenken hatte.

Auf Follen ruhte dennoch mit Recht der größte Verdacht; denn daß mit ihm Sand vorzugsweise in der letzten Zeit Umgang gepflogen hatte, war leicht zu ermitteln. (War doch selbst das Reisegeld Sand’s aus seiner Casse geflossen.) So wurde im Mai Follen gerichtlich vorgeladen, in Weimar zu erscheinen und sich verhören zu lassen. Die Behörden hätten es sich selbst voraussagen können, daß damit einem Manne wie Follen gegenüber nichts zu erreichen war.

Um dieselbe Zeit war man dem Vorhandensein des sog. „großen Liedes“ auf die Spur gekommen; Theile davon wurden öffentlich gesungen und selbst gedruckt war es zu sehen. Follen war der Abfassung und Sand der Verbreitung[1] verdächtig, was die Vermuthung, daß Follen Sand’s Mitschuldiger war, verstärken mußte. In Folge davon wurde Follen, der seine Vorlesungen in Jena ruhig fortsetzte, im folgenden October in der Nacht von Gensd’armen überfallen. Sie sagten ihm, daß sie gekommen seien, um ihn nach Mannheim zu transportiren, woraus Follen sogleich abnahm, daß er mit Sand confrontirt werden solle. Obgleich aus tiefem Schlafe geweckt, fand Follen sogleich die vollste Besonnenheit; und als nun der Anführer der Gensd’armen vorerst seiner Papiere sich bemächtigte, nachdem Follen sich mittlerweile angekleidet hatte, galt es darum, einen Brief zu beseitigen, der ihn im höchsten Grade verdächtig machen mußte. Ruhig stellte er sich neben die Gensd’armen, that im rechten Augenblick einen Griff zwischen die Papiere, nahm den Brief weg und verbrannte ihn in dem Ofen, der zum Glück noch Feuer enthielt, bevor die Häscher nur hinlänglich von ihrem Erstaunen sich erholen konnten, um ihn darüber zur Rede zu stellen.

„Ich habe einen Brief verbrannt,“ sagte er ganz gelassen, „denn es war mein Brief, mit dem ich also thun kann, was ich will.“

Man brachte ihn vorerst nach Weimar, wo er natürlich auch wegen des verbrannten Briefes verhört wurde.

„Es betraf ein zartes Verhältniß, und es war deshalb unpassend, daß er in ungeweihte Hände kommen sollte,“ sagte Follen, und mit dieser Erklärung, unbefriedigend wie sie war, mußte man eben zufrieden sein.

Man ließ ihn auf sein Ehrenwort hin die weitere Reise nach Mannheim unbegleitet machen. Dort wurde er auf’s Neue in das schärfste Verhör genommen, doch ohne allen Erfolg. Es blieb nur übrig, ihn mit Sand selbst zu confrontiren, was aber sicher sogar in dem Falle nutzlos gewesen sein würde, wenn der Letztere irgend wankend geworden wäre; denn durch eine etwaige Gemüthserschütterung Follen auch nur für einen Augenblick der vollsten Selbstbeherrschung zu berauben, war jedenfalls eine vergebliche Hoffnung. Wir wissen aber, daß auch Sand fest blieb bis zum letzten Augenblicke. Nach dem Eintritte in Sand’s Gefängnißzimmer wollte ihm Follen die Bruderhand reichen, was aber verhindert wurde. Wie tief ihn auch der Anblick des Freundes erschüttern mußte, der in seiner Idee gehandelt hatte, bleich auf sein Lager hingestreckt, an einer schmerzhaften Wunde leidend, deren Verheilung nur abgewartet wurde, damit er dann zum Richtplatze geschleppt würde, so hinderte dies doch die beiden Freunde nicht, sich einander und ihrer Sache treu bleibend, den ergreifenden Auftritt zu bestehen ohne den geringsten Gewinn für die Untersuchungsrichter. Als man am Schlusse Follen wieder entfernen wollte, drängte er die Umstehenden zur Seite, nahte sich rasch dem Lager des Freundes, faßte ihn in seine Arme, drückte ihn an die Bruderbrust, um dann für immer von ihm zu scheiden. Es schien ihm unwürdig, der Aeußerung des natürlichen Menschengefühls in diesem Augenblicke sich berauben zu lassen. Natürlich wurde der Scene baldigst ein Ende gemacht.

Man konnte nicht anders, als Follen völlig freisprechen, die Regierung zu Weimar mußte sich jedoch dazu verstehen, die ihm ertheilte Erlaubniß zu Vorträgen zurückzunehmen, so daß er Jena zu verlassen genöthigt war.

Ich habe nicht umhin gekonnt, in Vorstehendem von der Darstellung in dem Werke der Wittwe Follen’s wesentlich abzuweichen. Es kann Dinge geben, welche der Mann auch dem geliebtesten Wesen, der eigenen Frau, doch nicht mittheilt; ich darf aber an der Untrüglichkeit meiner eigenen Quelle keinen Augenblick zweifeln.

Karl Follen’s Grundsätze lebten in einer kleinen Zahl seiner Freunde in Gießen auch nach seiner Entfernung von da noch fort. Waren die „Schwarzen“ schon früher mit älteren Männern in engerer Verbindung gewesen, so bildete deren sogenannter „unbedingter“ Theil immer mehr einen im Ganzen kleinen Verein, zu welchem jetzt nur wenige der Studirenden gehörten; sie sahen und beriethen sich gelegentlich, und Jeder agitirte und handelte zugleich in seiner eigenen Weise. Das Wort „Bund“ oder gar „Verschwörung“ würde auf diesen ganz formlosen Verein gar nicht passen, man vertraute allein auf die Macht der gleichen Gesinnung, ohne daß Alle in dem, was sie von der nächsten Zukunft erwarteten, oder was geschehen müsse, übereinstimmten. Die in Gießen Zurückgebliebenen standen besonders mit Dr. Weidig (dem Unermüdlichsten von Allen), Advocat Heinrich Hoffmann in Darmstadt und Anderen in näherem Verkehr.

War Sand’s That von Jena ausgegangen, so mußte die zweite der Ordnung gemäß von Gießen aus erfolgen. Und wem galt zunächst die Reihe? Unter den Fürsten war damals keiner, der sich durch auffallende Schlechtigkeit so sehr vor den andern hervorgethan hätte, daß ein Einzelner von ihnen ein passendes Opfer gewesen wäre; hätte man sie mit einem Schlage alle zermalmen können, dieser Schlag wäre ohne Zweifel geführt worden. Außerdem war es klar, daß nicht sowohl die Fürsten das Unglück, unter welchem Deutschland seufzte, über dasselbe absichtlich brachten, als daß deren Rathgeber ihren Verstand zur Unterdrückung des Volkes herliehen; es schien passend und recht, jetzt an diesen zuerst ein Exempel zu statuiren. Auf den „großen Schurken“ Metternich war es eigentlich abgesehen, und mehr als einmal wurde er zu dem Tode durch das „Freiheitsmesser“ verurtheilt. Aber wie schwer war ihm beizukommen! Die Sache mußte noch immer aufgeschoben werden, zumal da es auch fast ganz an den nöthigen Geldmitteln fehlte, und man mußte vorerst mit dem näher Liegenden und Erreichbaren sich begnügen.

Minister Ibell in Wiesbaden hatte sich binnen Kurzem zum Gegenstande des Fluches von Seiten der Bewohner des Ländchens gemacht; sein Tod mußte ja wohl Schrecken in das ganze Lager seiner Genossenschaft bringen, – das Weitere, dachte man, wird sich finden.

So saßen denn in dem Hinterstübchen einer Dorfschenke an der Grenze von Hessen und Nassau in nächtlicher Berathung drei Männer zusammen. Einer aus Gießen – Derjenige, welcher

  1. Robert und Richard Keil, die sehr verdienten Geschichtschreiber des „Jenaischen Studentenlebens“, der „Burschenschaft“ und der „Wartburgfeste“, Werke, welche nicht nur jeder Freund der akademischen Entwickelung unserer Jugend besitzen, sondern auch jeder Geschichtsforscher beachten sollte, theilen in dem erstgenannten Buche (Leipzig, Brockhaus, 1858) S. 445 Folgendes hierüber mit: „Von Jena, von Kahla und Apolda aus und auf einer Reise nach Berlin verbreitete Sand jenes schwülstige Gedicht, das so großes Aufsehen gemacht hat, dessen Abdruck aber früher die Censur nicht zuließ. Es lautete unter dem Titel ‚Deutsche Jugend an die deutsche Menge‘ oder ‚Dreißig oder dreiunddreißig – gleichviel‘ wörtlich so:

    ‚Menschenmenge, große Menschenwüste,
    Die umsonst der Geistesfrühling grüßte,
    Reiße, krache endlich, altes Eis!
    Stürz’ in starken, stolzen Meeresstrudeln
    Hin auf Knecht und Zwingherrn, die dich hudeln,
    Sei ein Volk, ein Freistaat, werde heiß.

    Bleibt im Freiheitskampf das Herz dir frostig,
    In der Scheide wird dein Schwert dann rostig,
    Männerwille, aller Schwerter Schwert!
    Wird es gar im Fürstenkampf geschwungen,
    Bald ist es zerschroten, bald zersprungen,
    Nur im Volkskampf blitzt es unversehrt.

    Thurmhoch auf des Bürgers und des Bauern
    Nacken mögt ihr eure Zwingburg mauern,
    Fürstenmaurer, drei und dreimal zehn,
    Babels Herrenthum und faule Weichheit
    Bricht ein Blitz und Donner, Freiheit, Gleichheit,
    Gottheit aus der Menschheit Mutterweh’n.‘“

    Diese Verse, die man sogar Sand selbst zugeschrieben, sind, nach Münch’s Mittheilung, nur Theile des sogenannten „großen Liedes“, das den „Grundsatz“ und seine Einführung in’s Leben verherrlichte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_724.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)