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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

meiner Mutter nicht versöhnt haben! Weshalb hätte er sonst, als er mich einst voll Zorn von sich stieß, mit bleichen Lippen gemurmelt: ‚Du bist wie Deine Mutter!‘ Nein, nein, mein Freund, ich ehre Ihre Weisheit; aber ich glaube, man muß weise geboren werden – lernen läßt sich das nicht.“

„Am wenigsten in einer Lection,“ sagte Wollnow mit freundlichem Ernst, „und diese hat lange genug gedauert, zu lange, wenn ich den Zustand des Schülers bedenke.“

Gotthold protestirte dagegen; er fühle sich vollkommen wohl und ausreichend kräftig, um noch lange fortdebattiren zu können, und das Thema habe für ihn einen dämonischen Zauber.

„Und gerade deshalb lassen Sie uns davon abbrechen,“ erwiderte Wollnow, „und beantworten Sie mir lieber, wenn Sie wirklich noch die Kraft haben, ein paar Fragen, bezüglich Ihrer Unglücksfahrt. Ich will es nur gestehen, daß ich dieselben halb und halb im Auftrage der hohen Obrigkeit an Sie richte. Wenigstens behauptet Justizrath Zadenig, daß ohne Ihre Aussage kein Schritt weiter in der leidigen Angelegenheit zu thun sei, und er hat mich gebeten, sie gewissermaßen zu Protokoll zu nehmen.“

Gotthold blickte erstaunt auf. – „Um was handelt es sich?“


(Fortsetzung folgt.)




 Album der Poesien.

 Johanna Sebus.[1]

Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluthen spülen, die Fläche saust.
     „Ich trage Dich, Mutter, durch die Fluth,
     Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.“
     „Auch uns bedenke, bedrängt wir sind,
     Die Hausgenossen, drei arme Kind!
     Die schwache Frau! … Du gehst davon.“ –
     Sie trägt die Mutter durch’s Wasser schon.
     „Zum Bühle da rettet euch! harret derweil;
     Gleich kehr’ ich zurück, uns Allen ist Heil.
     Zum Bühl ist’s noch trocken und wenige Schritt;
     Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!“

Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust,
Die Fluthen wühlen, die Fläche saust.
     Sie setzt die Mutter auf sichres Land;
     Schön Suschen gleich wieder zur Fluth gewandt.
     „Wohin? Wohin? die Breite schwoll;
     Des Wassers ist hüben und drüben voll.
     Verwegen in’s Tiefe willst Du hinein!“
     „Sie sollen und müssen gerettet sein!“

Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
     Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
     Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,
     Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
     Doch der und den Kindern kein Gewinn!

Der Damm verschwand, ein Meer erbraust’s,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust’s.
     Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
     Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
     Das Horn der Ziege faßt das ein’,
     So sollten sie Alle verloren sein!
     Schön Suschen steht noch strack und gut:
     Wer rettet das junge, das edelste Blut!
     Schön Suschen steht noch, wie ein Stern;
     Doch alle Werber sind alle fern.
     Rings um sie her ist Wasserbahn,
     Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
     Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
     Da nehmen die schmeichelnden Fluthen sie auf.

Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Thurm den Ort,
     Bedeckt ist Alles mit Wasserschwall;
     Doch Suschens Bild schwebt überall. –
     Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
     Und überall wird schön Suschen beweint. –
     Und dem sei, wer’s nicht singt und sagt,
     Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

 W. v. Goethe.


  1. Goethe selbst hat es der Nachwelt verkündet, daß es am 13. Januar 1809 war, wo eine siebenzehnjährige Jungfrau, die schöne Johanna Sebus aus dem Dorfe Brienen, ein Opfer ihres Heldenmuthes und ihrer Menschenliebe geworden. Als zu den Schrecken des Eisgangs im Rhein auch noch das Verderben durch den Dammbruch bei Cleverham hinzukam riss, rettete Johanna die Unglücklichen aus der Wassersnoth, bis sie selbst darin umkam. Das ist der Gegenstand unseres Bildes, vor dem man wieder recht schmerzlich an die Verirrung so vieler unserer Maler erinnert wird, die noch heute lieber in das Nebelgebiet der Heiligenlegende, als in das lebensvolle Buch unserer Volksgeschichte greifen, um sich die Stoffe für ihre Darstellungen zu suchen. Um so mehr freuen wir uns, daß unser Künstler mit gesundem deutschen Geist seine Wahl traf und mit seinem Bilde ein Werk lieferte von ebenso vollendeter technischer Durchführung, als geistiger Bedeutsamkeit. Auch wer das Auge nur auf die beiden Gesichter der Hauptgruppe wendet, die der Mutter und der Tochter, muß in jenem den vollen Ausdruck der Angst wie in diesem die Ruhe des Gottvertrauens und des Muthes bewundern. Wir wünschen diesem Werk recht viele ebenbürtige Nachfolger.
    D. Red.




„Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!“


Von Dr. Moritz Schuster.


Mit dem Antheil an dem erhebenden Gemeingefühl des eigenen erstarkenden Volkes, womit unsere große Zeit jeden rechtschaffenen Deutschen beglückt, erwächst demselben, wie Leserin und Leser der Gartenlaube an sich selbst werden erfahren haben, ein lebhafteres Bewußtsein jener höheren Pflichten, deren allgemeine Erfüllung die einzige Bürgschaft bietet für eine dauernde Sicherung des Wohles der Einzelnen wie des Staates. Zu diesen Pflichten gehört unbestritten in erster Linie möglichste Mitwirksamkeit zur Vervollkommnung der Erziehung und Bildung der Jugend. In leider nur zu großem, aber jedenfalls sehr bequemem Vertrauen pflegten seither die meisten sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß dies das wohlbestellte Amt der öffentlichen Schulen ausmache, in denen wir ja den anderen Völkern überlegen seien. Aus drei Gründen aber kann ein zu großes Vertrauen in dieser Richtung als dem öffentlichen Wohle nur nachtheilig erscheinen. Einmal schwächt es das allgemeine Interesse und den Blick für die Verbesserung der öffentlichen Bildungsanstalten; sodann enthält und befördert es die falsche Meinung, daß die öffentlichen Schulen Lehr- und Erziehungsanstalten in gleichem Maße seien und sein könnten, so daß sie das Haus aller besonderen Verpflichtung zum Erziehen und Bilden überhöben; und endlich lenkt jenes Vertrauen die Aufmerksamkeit ab von den vorschulpflichtigen Lebensjahren der Kinder und erzeugt und begünstigt so die verkehrte Ansicht, als ob während dieser Zeit mit denselben weder hinsichtlich der Zucht noch der Lehre etwas Ersprießliches anzufangen sei.

Und doch darf die neuere deutsche Pädagogik vor allem ihren Stolz setzen gerade darein, mit dem Fröbel’schen Kindergarten für das vorschulpflichtige Alter ein Institut geschaffen zu haben, das zur Erfüllung der Vorbedingungen einer möglichst vollkommenen körperlichen und geistigen Erziehung und Bildung unserer Kinder einen höchst wichtigen, zum Theil nothwendigen Beitrag gewährt, ja sogar den Keim zu einer Reform unserer öffentlichen Schulen und ihres Bildungsideals in sich birgt. Es erscheint daher wohl an der Zeit und im öffentlichen Interesse geradezu geboten, auch durch diese weitverbreiteten Blätter die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Kindergarten ganz ausdrücklich hinzulenken und zu ernstlicher Betrachtung desselben anzuregen. Denn nachdem von den Pädagogen ein Diesterweg und Karl Schmidt, von den Aerzten ein Bock und Virchow sich wiederholt und nachdrücklich für den Fröbel’schen Kindergarten verwendet haben, kann auf Seiten unbefangener Denker füglich nicht mehr von einem Mißtrauen in Bezug auf denselben die Rede sein, sondern nur noch von Unkenntniß.

Friedrich Fröbel’s Vorgänger in der vernunftgemäßen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_738.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)