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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Patrizierfamilie von Behaim, bildet es mit zwei kleineren Gebäuden, einer großen Scheune, geräumiger Stallung, Garten und Berg ein zusammenhängendes größeres, von zwei Pächtern übernommenes Bauerngut, dessen einer den unteren Stock bewohnt, während Feuerbach in den oberen Räumlichkeiten sich eingerichtet hatte. Von der Straße aus, rechts von unserem Bilde, führt jetzt ein großes steinernes Thor mit eisernem Gitter in den sehr geräumigen Hof, und auf einem bequemen Gartenwege mit einzelnen Stufen, zwischen einem hohen Doppelzaun von beschnittenen Buchenhecken hindurch gelangt man zur Anhöhe, welche mit einer Anzahl hoher Pappelbäume geschmückt ist. An einem derselben ist eine Ruhebank angebracht, nach Osten zu; dort hat der große Einsiedler vom Rechenberg oft gesessen und hat im Anblick seiner geliebten Berge Vergessen gesucht für sein eigenes Vergessensein, wenn’s ihm im Hause da unten zu eng geworden. Und daß es ihm oft zu eng wurde, daß er sich fort und hinaussehnte, hinaus zu Menschen, die ihn verstehen, hinaus in andere kommende Jahrhunderte, als deren vorzeitiger Bürger er sich fühlte, wer könnte darüber sich wundern!

Es hat lange gedauert, bis Feuerbach überhaupt in dieser Wohnung sich zurechtfand, bis sie ihm heimisch wurde. Die vierundzwanzig Jahre, die er ununterbrochen von 1836 bis 1860 in seinem geliebten Bruckberg bei Ansbach zugebracht, sie galten ihm, trotz der auch dort ihm auferlegten Einsamkeit, als die schönsten seines Lebens. Dort hatte er seine ersten, seine meisten, seine epochemachendsten Werke geschaffen. Das letzte, mit dem sein nicht rastender Geist sich trug, „Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit“, das hat er hier am Rechenberg vollendet, aber Niemand weiß, mit welch unsäglichen Geburtswehen, unter welchen Schmerzen des Heimwehs und des Gefühls seiner Armuth!

Es war im September des Jahres 1860, als er mit den Seinen, Frau und Tochter und einer nahen Verwandten, von Bruckberg vertrieben – weil das ganze Vermögen seiner Frau im Betrieb der dortigen Porcellanfabrik verloren gegangen – die neue Wohnung am Rechenberg bezog. Der Winter stand vor der Thür, aber die Wohnung war so wenig für einen Winteraufenthalt hergerichtet, daß er nur mit Mühe und großer Selbstbeschränkung eine winzig kleine Kammer ausfindig machte, in welcher er glaubte sein Werk vollenden zu können. Er ließ sich einen Ofen setzen und machte sich an die Arbeit, aber er sah sich getäuscht. Nicht nur daß der zu beengte Raum der Kammer, welche nur ein einziges Fenster hatte, seine geistige Arbeit an sich schon erschwerte – unmittelbar unter ihm befand sich die Küche des Pachtbauern und der Boden, der ihn trennte, war so dünn, daß er den ganzen Tag über den unendlich prosaischen Lärm, der von Löffeln und Messern, Häfen, Tellern und Pfannen und dem gesammten Kochgeschirr herrührte, in seinen Ohren hatte. Dazu kam das beständige Bellen des im Hof an der Kette liegenden Hundes, das Knarren und Rasseln der Wagen und Wagenketten des Pachtbauern, das Zuschlagen der Thüren – es war, als müßte er verzweifeln. Die Seinen litten mit ihm; denn soweit sie sich auch Mühe gaben, wenigstens im oberen Geschoß größtmögliche Stille zu halten, es war schon deswegen nicht durchzuführen, weil die Treppe vom unteren Stock herauf unmittelbar auf die Thür dieses erbärmlichen Studirzimmers ausmündete. So mußte der in seiner ohnedies aufreibenden Geistesarbeit ewig Gestörte sich zuletzt entschließen, auf dem Speicherboden unmittelbar unter dem Dache in allernothdürftigster Weise sich ein Dachkämmerchen herzurichten, und hier war es, wo er sein letztes Werk wenigstens dem Abschluß näher brachte, bis ihm die wärmere Jahreszeit gestattete, sein sehr geräumiges, aber im Winter nie benutzbares Studirzimmer zu beziehen. Wie sehr er sich seit seinem Wegzug von Bruckberg durch diese Wohnungsnoth in seinem Arbeiten gestört fühlte, das beweist wohl am besten die Thatsache, daß sein letztes Geisteswerk „Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit“, obwohl in Bruckberg vor 1860 schon begonnen, erst 1866 zu Ende gedieh.

Es waren freilich noch andere Gründe, welche auf seine Arbeitslust schwerhemmend und seine Gemüthsstimmung niederdrückend einwirkten, vor Allem, daß er sich an seinem neuen Wohnort so viel einsamer und verlassener fühlte, und zwar verlassen nicht nur von lange gewohntem täglichem Umgange, sondern auch weniger mehr aufgesucht von Freunden aus der Ferne. Wohl finden sich in seinem Tagebuche von Männern, die ihn auch am Rechenberg noch besuchten, Namen aufgezeichnet wie Venedey, Karl Vogt, Genée, Herwegh, Vaillant aus Paris, Rüstow, Löwe von Calbe, A. Meißner, C. Blind, Prutz, Pfau, Schweden und Russen, unter Letzteren namentlich Bolyn, Professor aus Helsingfors, und von Khanikoff, der ihn mit seiner ganzen Familie wiederholt aufsuchte, etc.; aber diese Besuche vertheilen sich auf eine Reihe von Jahren, und die längste Zeit war er allein mit den Seinigen.

Um Menschen zu suchen, wenigstens unter Menschen zu sein, ward es ihm daher Bedürfniß, öfter allein oder mit seiner Familie nach Nürnberg hineinzugehen, meist des Abends, und die Besitzer des „Frühlingsgartens“, des „Hirschen“, des „Grauen Katers“, des „Goldenen Rosses“, wo er dann sein gutes bairisches Bier trank und manchmal auch sein einfaches Abendbrod zu sich nahm, sie wissen zu erzählen, daß, wenn es ihm glückte, zusagende Gesellschaft zu finden, auch dieser sonst so ernste und schweigsame Denker nicht nur sehr lebendigen Antheil an politischen und religiösen Debatten nahm, sondern auch sehr heiter und aufgeräumt sein konnte und seine große Freude an harmlosem Scherz wie an derbem Witz gehabt hat. Aber nur zu oft kam er recht traurig und enttäuscht nach Hause, – er hatte Niemanden gefunden! Da überkam ihn dann mit ganzer Macht das Gefühl des Alleinseins, er sehnte sich zurück nach seinem unvergeßlichen Bruckberg; er beklagte, daß er nicht dieses oder jenes Handwerk gelernt, um seine trüben Gedanken durch mechanische Arbeit sich zu vertreiben; er verwünschte sein Schicksal, das ihn zum Gelehrten, zum Schriftsteller gemacht, und in seiner höchsten Verstimmung rief er nicht selten aus: „Ich wollte, ich wäre ein Holzhacker!“

Was ihn in dieser trüben Stimmung noch mehr bestärkte, das war seine ökonomische Lage. Das Vermögen seiner Frau war verloren, auf sein eigenes väterliches hatte er freiwillig verzichtet; seine Pension, die er nach bairischem Gesetze als Sohn seines Vaters, des Criminalisten Anselm von Feuerbach, bezog, reichte für die bescheidensten Bedürfnisse nicht hin, und die Honorare für seine Werke deckten oft kaum die Ausgaben, welche er für Anschaffung von Büchern, die er zu seinen Studien bedurfte, vorher schon gemacht hatte. Er sah sich daher schon damals in die peinliche Nothwendigkeit versetzt, Gaben der Verehrung und Liebe, welche Freunde in zartester Weise ihm zufließen ließen, annehmen zu müssen. Es wird später aus Anlaß des Nationaldankes, der in seinem letzten Lebensjahre ihm gewidmet wurde, noch einmal von diesen früheren Hülfeversuchen seiner Freunde die Rede sein; aber hier schon muß es gesagt werden, mit welch widerstrebenden Gefühlen, getheilt zwischen herzlichem Danke und Vorwürfen gegen sich selbst und sein Schicksal, er sich zur Annahme solcher Freundesgaben verstanden hat.

Seine letzte Trösterin, zu der er immer seine Zuflucht nahm, war die Natur. Konnte ihm auch die nächste Umgebung Nürnbergs das nicht bieten, was ihm in seinem Bruckberg so lieb geworden war, wo er nach allen Seiten hin botanische und mineralogische Excursionen gemacht, und bei den letzteren immer seinen Steinhammer mitgenommen hatte, so wußte er doch auch hier mit der Zeit seine Lieblingspartien zu finden, die er entweder allein, oder mit seiner Familie, seinem Bruder Friedrich, am meisten mit seiner Tochter Leonore, wiederholt aufsuchte. Ein Gang nach dem ganz nahe gelegenen „Plattners-Schlößchen“ mit seiner reizenden Parkanlage, auf die „Alte Veste“ bei Fürth, oder ein weiterer Ausflug auf den „Morizberg“ und die hinter Hersbruck sich erhebenden höheren Berge, wo er Versteinerungen suchte, in die „fränkische Schweiz“ mit ihren berühmten Höhlen u. a., das war ihm ein Hochgenuß, erhöht durch die Zwiegespräche, in die er sich in schlichtester, leutseligster Weise am liebsten mit den einfachen, ungekünstelten Söhnen der Natur einließ.

Allmählich hatte er sich mit seinem neuen Wohnorte ausgesöhnt, das heißt in’s Unabänderliche sich ergeben, aber eine stille, unbefriedigte Sehnsucht ist ihm immer geblieben.

In seinem Hause hielt er sich am liebsten während der wärmeren Jahreszeit in seinem großen, mit Solenhofer Kalkplatten belegten Studirzimmer auf, dessen Fenster auf drei Seiten in’s Freie gehen, nach dem Garten, der Straße und dem Hofe, wie es unser Bild dem Leser in anschaulicher Weise zeigt. Von diesem Studirzimmer führte eine Thür auf den ebenfalls rechts, der Straße zu, angebrachten kleinen Altan, von wo er einen freundlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_744.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)