Seite:Die Gartenlaube (1872) 748.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

entzog er sich zuletzt selbst Denen, die ihm die Liebsten waren, und fing an, gleich der ihre Wandlung vorausfühlenden Nymphe, in seinem kleinen engen Zimmerchen sich förmlich einzuspinnen. Wir kamen in dieser Zeit öfter hinaus, ohne ihn zu sehen oder zu sprechen, und mußten uns begnügen mit den Mittheilungen, welche uns die Seinen über sein Befinden gaben. Aber wenn wir dann wieder einmal ihn selbst sahen, dann sahen wir ihm auch die innige Freude an darüber, daß wir Antheil nahmen an seinem Schicksale, wenn er auch gar nichts oder höchstens einzelne oft ganz unverständliche Worte, ja blos Laute hervorbrachte.

Daß in diesem schmerzlichen Zustande es den Seinen eine unendliche Erhebung gewährte, als sie zu ihrer ungeahnten Ueberraschung sahen, wie der Aufruf an die Nation nicht nur, vielmehr der Aufruf an alle seine Freunde und Verehrer in allen Landen, zumal auch jenseits des Meeres, von Tag zu Tag mehr Wiederhall fand, ist so selbstverständlich wie das halbabweisende Gefühl im Anfange. Als er selbst zum ersten Male davon hörte, war seine Geisteslähmung schon so vorgeschritten, daß er nur wenige Worte dafür fand. Er that eine Aeußerung, aus welcher einestheils seine Freude herausblickte, daß er sich doch getäuscht, wenn er oft glaubte, er gehöre zu den ganz Vergessenen, anderntheils aber doch auch wieder der Zweifel, ob er selbst den Erfolg eines solchen Aufrufes noch erleben werde. Und wer kann einen solchen Zweifel ihm verargen, wer, sage ich, der sein entsagungsvolles Leben im Dienste der Wahrheit und der Menschheit kennt und aus der Geschichte weiß, wie zu allen Zeiten dieser schwerste Dienst den Lebenden wenigstens am schlechtesten immer gelohnt wurde!

War doch, wie oben bereits angedeutet, vor neun Jahren schon von Freunden und Verehrern des Schwerbedrängten ein erster Versuch gemacht worden, um den Mann, wie es im gedruckten Aufruf hieß, „dessen materielle Lage in einem höchst peinlichen und ungünstigen Verhältniß zu der Bewunderung stehe, welche selbst seine erbittertsten Feinde seinem Stoicismus und seiner Ehrenhaftigkeit zu zollen bereit sind“, um ihn „aus seinen bedrängten Verhältnissen zu befreien, um ihm die Sorgen eines bekümmerten Familienvaters zu erleichtern, um von seinen Schultern eine Last zu nehmen, deren Wucht die gewaltigen Schwingen seines reichen Geistes hemmt, in vorderster Reihe fortan zu kämpfen für die höchsten Güter eines menschenwürdigen Daseins“! Dieser Aufruf vom Jahre 1863, ausgehend von zweien seiner Freunde im Verein mit fünf anderen Männern Nürnbergs, ist nur als Manuscript im Stillen verbreitet worden und konnte freilich schon aus diesem Grunde, weil er sich nicht wagte an die große Oeffentlichkeit zu gehen, unmöglich seinen edlen Zweck erreichen, wenn auch, namentlich aus Amerika, damals schon nicht unbedeutende Ehrengaben eingesandt wurden. Wer aber möchte bestreiten, daß es überhaupt sehr schwer ist, für Männer der Wissenschaft, die nicht, wie der Dichter, das Verständniß der Massen für sich haben, zu einem solchen Zweck die Massen zu gewinnen? Um so mehr wollen wir uns freuen, daß der letzte Aufruf gezündet und daß dieses hauptsächlich auch dem Umstand zu danken ist, daß er gerade in der Zeit erschien, wo nach dem riesigen Aufgebot der in blutigen Schlachten und Siegen sich bethätigenden Männerkraft man anfing sich zu erinnern, daß die Menschheit ihre größten Siege doch Denen verdankt, welche das Schwert des Geistes zu führen verstanden haben. Wir wollen uns freuen, daß die Früchte dieses Aufrufs, wenn auch spät, sehr spät, dem Leidenden noch zugutkamen; daß sie den Seinen es ermöglichten, ihm diejenigen Bedürfnisse zu befriedigen und die Erholungen zu gewähren, deren er in seinem traurigen Zustande bedurfte, und daß sie wenigstens für die letzten Tage seines Lebens die Last der Sorgen, zumal auch im Hinblick auf die Zukunft der Seinen, ihm von der Seele nahmen.

Dieser Aufruf, diese Sympathieen, welche ihm in Folge desselben aus allen Ländern, aus Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, England und Amerika ausgesprochen wurden, sie waren der letzte freundliche Sonnenstrahl, der ihm den Abend verklärte; mit diesem Sonnenstrahl im Herzen ist er eingeschlafen, – schmerzlos, lautlos, still und sanft wie ein Kind.

Mit ihm selber aber ist eine Sonne untergegangen! Und wie hat sie gestrahlt, wie geleuchtet! Mögen die Eulengeschlechter unserer und der nächsten Zeit in dem Licht, das er angezündet, nur die wilde, tempelverzehrende Brandfackel eines neuen Herostratus erblicken, die Tieferblickenden der Gegenwart und noch mehr die der Nachwelt werden ihm das dankbare Zeugniß nicht versagen, daß er, wenn sie auch nicht in Allem, was er gedacht und geschrieben, die unfehlbare Wahrheit zu erkennen vermögen, der Erforschung und Erkenntniß der Wahrheit einen ungeheuer großen, ganz unberechenbaren Dienst geleistet hat. Und worin dieser besteht, das haben wir in der ersten Gartenlaube dieses Jahres (S. 18) ihn in seinem eigenen Bekenntniß aussprechen lassen.

Eines nur möchte ich selbst hier noch aussprechen: das ist die feste Ueberzeugung, daß die ganz eigenthümliche Art und Weise, wie Feuerbach seine Lebensaufgabe zu verwirklichen suchte, die Thatsache, daß in ihm der Schriftsteller nicht vom Menschen getrennt war, daß er nicht anders konnte, als in seinen Schriften sich selbst, sein tiefstes, innerstes Wesen ausströmen und ausgeben, daß dieser uns die psychologische und histologische Erklärung seines tragischen Schicksals an die Hand giebt. Er hat Diejenigen für „ganz klägliche, matte und seichte Brüder, für Memmen“ erklärt, welche „die Schriftstellerei als einen außerwesentlichen Actus fassen und betreiben, und denen daher auch wirklich ihre Schriften nur wie faule Zähne ausfallen, ohne daß ihre inneren Lebenskräfte dabei afficirt und consumirt werden“; er hat vom wahren Schriftsteller, vom Dichter wie vom Philosophen, nichts Geringeres verlangt, als daß er mit seiner ganzen Seele, mit seiner ganzen Persönlichkeit dabei sei; er hat deswegen, als ahnte er die ihm bevorstehende Katastrophe, nicht nur die Schriftstellerei überhaupt einen „wahren Kraftaufwand und Lebensverlust“, er hat „jeden wahren Gedanken einen Stich in’s Herz, eine Erschütterung unseres ganzen Seins, – ein Opfer unserer Existenz“ genannt. Feuerbach hat als Denker und Schriftsteller – sich selbst geopfert, er hat es gethan für die Menschheit, – das ist das Tragische und zugleich Versöhnende seines prometheischen Schicksals!

Karl Scholl.




 Ich hatte Dich lieb!

Ich hatte dich lieb, mein Töchterlein!
Und nun ich dich habe begraben,
Mach’ ich mir Vorwürf’, ich hätte fein
Noch lieber dich können haben.

Ich habe dich lieber, viel lieber gehabt,
Als ich dir’s mochte zeigen;
Zu selten mit Liebeszeichen begabt
Hat dich mein ernstes Schweigen.

Ich habe dich lieb gehabt, so lieb,
Auch wenn ich dich streng gescholten;
Was ich von Liebe dir schuldig blieb,
Sei zwiefach dir jetzt vergolten!

Zu oft verbarg sich hinter der Zucht
Die Vaterlieb’ im Gemüthe;
Ich hatte schon im Auge die Frucht,
Anstatt mich zu freun an der Blüthe.

O hätt’ ich gewußt, wie bald der Wind
Die Blüth’ entblättern sollte!
Thun hätt’ ich sollen meinem Kind,
Was alles sein Herzchen wollte.

Da solltest du, was ich wollte, thun,
Und thatst es auf meine Winke.
Du trankst das Bittre, wie reut mich’s nun,
Weil ich dir sagte: trinke!

Dein Mund, geschlossen von Todeskrampf,
Hat meinem Gebot sich erschlossen;
Ach! nur zu verlängern den Todeskampf,
Hat man dir’s eingegossen.

Du aber hast, vom Tod umstrickt,
Noch deinem Vater geschmeichelt,
Mit brechenden Augen ihn angeblickt,
Mit sterbenden Händchen gestreichelt.

Was hat mir gesagt die streichelnde Hand,
Da schon die Rede dir fehlte?
Daß du verziehest den Unverstand,
Der dich gutmeinend quälte.

Nun bitt’ ich dir ab jedes harte Wort,
Die Worte, die dich bedräuten,
Du wirst sie haben vergessen dort
Oder weißt sie zu deuten.

 Fr. Rückert.

* Aus den soeben erschienenen „Kindertodtenliedern von Fr. Rückert“, dem Ergreifendsten, was überhaupt seit Langem gedichtet wurde. Allen Eltern, die ein liebes Kind unter grünem Rasen gebettet, wird diese Sammlung neue Thränen wecken, aber auch mildernden Trost bringen.

Die Redaction.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_748.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2020)