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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

befeuchtet, glaubt man die Thränen zu gewahren, die der unglückliche Poet, das Herz voll Liebe und Lieder, geweint hat, weil ihm die schönsten Früchte des Lebens und Mühens vergiftet worden. Was half dem tief Gekränkten, schwer Verwundeten, Todesmüden der verspätete Triumphzug nach dem Capitol! Was hilft es ihm, daß nun, da er im Elende verkommen, Italien seine Lieder singt und seine Gestalt als Götterbild im Pantheon der Nation aufstellt! Die nachträgliche Anbetung entschädigt nicht für all die erlittenen Verfolgungen und Qualen. Der Rückstand bleibt ungedeckt, wie viel auch gezahlt werden mag. Ungern, mühsam reißt sich der Besucher von Sorrent los, wo man dem Leben und Dichten des edeln Torquato näher zu rücken glaubt als anderwärts, obgleich die Betrachtungen, zu denen der Ort ladet, nichts weniger als heiter sind. –

Wer von Paris über Marseille nach Italien reist, nicht um Handel zu treiben, sondern um zu sehen, zu bewundern, zu genießen, macht gewiß zu Avignon, dem alten Wohnsitz der Päpste, Halt, und wäre es auch nur, um das nahegelegene Vaucluse zu besuchen. Mir erging es, wie es Anderen im gleichen Falle ergeht, als im Jahre 1854 eine erwünschte Wendung der Verhältnisse mir erlaubte, der brennenden Atmosphäre von Paris für einige Zeit Lebewohl zu sagen und den Weg nach dem gelobten Lande der Kunst und der großen Erinnerungen einzuschlagen. Zwei Tage blieb ich in Avignon und konnte eine der seltsamsten Metamorphosen wahrnehmen, die wie kaum eine andere Erscheinung das Franzosenthum kennzeichnet. Der Palast der Statthalter Christi war in eine Caserne umgewandelt. Ueberhaupt schien Alles in Verfall und Auflösung gerathen zu sein, was an die Zeiten der Wittwenschaft Roms mahnen konnte.

In Gesellschaft eines deutschen Professors, der an der Schule von Avignon deutsche Sprache und Literatur vortrug, seiner Gattin und meines Reisegefährten machte ich die Fahrt nach Vaucluse, wo Petrarca angeblich mit seiner Laura in süßer Zurückgezogenheit, fern von den Mühen und Kümmernissen der Welt, olympische Tage des Glückes und der Freude verlebte.

Unser Planet ist arg in Verruf gebracht von schwarzgalligen Weltbetrachtern, die kein Gedächtniß haben für empfundene Seligkeiten, die Finsterniß des eigenen Wesens über alle Blumen und Sterne breiten und dann klagen, daß es so glanzlos und dunkel sei auf dieser Erde. Diesen Fanatikern des Jammers erscheint der Frühling als ein Komödiant, der die Geschöpfe durch sein trügerisches Spiel berückt, zuletzt die täuschende Maske abwirft, um als Winter die Arbeit der Zerstörung zu vollbringen. Die Wiege ist ihnen ein verkappter Sarg, Jugend ein Paradies, aus dem Jeder, auch ohne daß er verbotene Frucht genossen, von bösen Geistern hinausgejagt wird, um die Mühseligkeit des Daseins um so härter zu empfinden. Die Liebe halten sie für nicht mehr als eine vorübergehende Tollheit der Begierden, die Begeisterung für eine Blase des Geistes, die in Folge eines starken Druckes platzt und als eiternde Wunde zurückbleibt. Die Glücklicheren aber, welche von jeher die Gabe besitzen, über den Werth der Dinge mit gesundem Urtheile Buch und Rechnung zu führen, sie wissen, wie reich die Erde an Herrlichkeiten jeder Art ist. Wenn sie vielleicht Gefahr laufen, von dem schwarzen Gedankenfieber angekränkelt zu werden, dann mögen sie eine Wallfahrt nach Vaucluse unternehmen, und wenn sie der Aufenthalt in der zauberhaften Stille des reizenden Thales von dem Uebel nicht befreit, dann mögen sie sich nach einem Kloster umsehen, um zu sterben.

Nach mancherlei Biegungen und Krümmungen des Weges, der sich zwischen Anhöhen hinzieht, gelangten wir in ein abschüssiges Thal, das mit seiner Ruhe und seinem Frieden sich vor den Augen der Welt zu verbergen scheint. Aus allen Richtungen, wie zu einem verabredeten Stelldichein, rieseln an die dreißig Quellen, mit sich selber plaudernd, herbei und vereinigen ohne jeden Einspruch, ohne Streit ihre Wässer zu einem Bache, der das Thal entlang wohlgemuth hinunter plätschert. Das Schauspiel dieser Eintracht, dieses gemeinschaftlichen Wandelns und Wirkens macht einen besänftigenden, rührenden Eindruck auf das Herz, und Petrarca, dem all’ die Laster und Frevel, deren Zeuge er war, nahe gingen, mochte hier Trost, Erholung und die rechte Stimmung zu den Liebesliedern finden, die noch jetzt empfindsame Seelen rühren und erquicken. –

Im Jahre 1848, nachdem Wien von den Soldaten des Fürsten Windischgräz eingenommen war, hatten sich einige österreichische Flüchtlinge, durch den Ausgang des Kampfes brod- und heimathlos, in Leipzig zusammengefunden. Der Verleger Otto Wigand erwies sich den Verbannten theilnehmend und dienstfertig. Gewiß mehr den schwer Getroffenen zu Gefallen, als von der Aussicht auf Gewinn bestimmt, ließ er sich zur Herausgabe einer Wochenschrift herbei, welche vornehmlich die österreichischen Verhältnisse in den Kreis ihrer Thätigkeit ziehen sollte und den Titel „Wiener Boten“ annahm. Als die Träger des Blattes waren angeführt: Kolisch, Gritzner, Frank, Engländer. Die Ereignisse verschlangen, wie so viele andere kaum begonnene Werke, auch diesen jugendlichen, um nicht zu sagen unreifen Versuch. Das Unternehmen glich einem Tropfen, der in’s Meer fällt.

Eines Morgens, als wir zu unserem hülfreichen Bundesgenossen kamen, um über den Inhalt der nächsten Nummer der „Wiener Boten“ die eingeführte Berathung zu halten, fanden wir ihn niedergeschlagen, sichtlich unruhig. Der sonst scharfe Ton seiner Stimme war einem gedämpften weichen Klange der Sprache gewichen. Sein Betragen, das man sonst ein ungezwungenes nennen durfte, war zurückhaltend, feierlich. Selbst im Blicke zeigte sich ein sanfter Ausdruck, der an dem energischen Manne auffallen mußte. Die seltsame Erscheinung trat uns wie ein Räthsel entgegen, wir sahen einander überrascht fragend an, die gedrückte Stimmung des Verlegers übertrug sich allmählich auf uns selbst. Nach einigen schwer gefundenen Worten der Vorbereitung, wie um unsere Gemüther zu schonen, zaudernd, mit verlegener Miene machte uns der Freund die Eröffnung, daß in Leipzig unseres Bleibens nicht mehr sei. Froh, des Zwanges ledig und von der peinlichen Zurückhaltung befreit zu sein, rief er mit der vollen Kraft seiner Stimme: „Sie müssen fort, meine Herren. Vom Polizeidirector habe ich einen Wink erhalten, der mich überzeugt, daß Ihnen hier eine ernste Gefahr droht.“

In der ersten Aufregung durch die unerwartete Neuigkeit kamen verzweifelte Vorschläge zum Ausdruck; nicht lange jedoch, so gewann die Besonnenheit die Oberhand, und wir faßten den Beschluß, daß zwei von uns nach Jena, zwei nach Frankfurt am Main sich begeben, von wo aus wir ebenso gut wie in Leipzig selbst unsere Wochenschrift mit den erforderlichen Beiträgen würden versorgen können; daß wir unter diesen Umständen mit der Abreise nicht lange gezaudert haben, läßt sich denken; unser Seelenzustand war derart, daß uns die erhitzte Phantasie die angekündigte Gefahr viel größer und näher zeigte, als sie wirklich war. Denn in der That waren nicht nur all die Schreckgestalten, die den Genossen quälten, eitel Einbildung, die Warnung selbst beruhte auf einem Mißverständniß. Der für uns besorgte Verleger hatte eine Aeußerung des Polizeileiters falsch aufgefaßt und gedeutet.

Dem getroffenen Uebereinkommen gemäß zogen Frank und ich nach Jena. Herr Otto Wigand wollte sich’s nicht nehmen lassen, uns dahin zu begleiten und mit seinen dortigen Freunden in Verbindung zu setzen. Am nächsten stand ihm Professor O. L. B. Wolf, der durch das Sammelbuch „Der deutsche Hausschatz“ den Anstoß zu den unzähligen Veröffentlichungen dieser Art gegeben, und dem Verlag unseres Freundes ein schönes Geld eingebracht hat.

Mit weltmännischer Liebenswürdigkeit zeigte sich Herr Wolf beflissen, uns nach Kräften angenehm und nützlich zu sein; der Verkehr mit den Professoren Siebert und Schleiden, welche durch politische Meinungen und Neigungen sich zu uns hingezogen fühlten, war für uns eine Quelle der Unterhaltung, der Anregung und Belehrung.

Ich brauchte diese Mittel der Zerstreuung gar nicht. Der Gedanke, daß ich auf dem Punkte mich befand, von welchem aus Friedrich Schiller auf die geistige Welt so mächtig wirkte, ersetzte mir reichlich die Vergnügungen der großen Städte. Wie bekannt, ist Jena nichts weiter, als ein Dorf mit einer Hochschule. Machten die Studenten mit ihrem Treiben und Drängen, mit ihren Trinkgelagen und jugendlichen Tollheiten nicht einigen Lärm, ich glaube, in dieser Grabesruhe entschliefen die Pulsschläge des Lebens.

Trotz der peinlichen Verhältnisse, die mich nach dem kleinen Orte verschlagen, trotz der Verhöhnung durch die Genüsse und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_770.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)