Seite:Die Gartenlaube (1872) 771.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Freuden der lasterhaften Kaiserstadt an der Donau, trotz des rauhen, schmerzlichen Griffes der Wirklichkeit in die glänzenden Träume und Hoffnungen meines Herzens, war es mir ganz feierlich wohl zu Muthe in Jena, wo des Deutschen geliebtester Poet unter den kleineren Menschen gewandelt und ungestört durch Sorgen und Mühen, durch Lästerungen und Angriffe den traulichen Verkehr mit Göttern und Göttinnen unterhielt. Die Seele voll Ehrfurcht und Anbetung, suchte ich die Pfade auf, die der Hohe gegangen, die Plätzchen, welche ihn angezogen, die Stuben, welche ihn aufnahmen, die Bäume, unter deren Schatten er gesonnen und gedichtet. In diesem Geschäfte der Vertiefung in das Sein und Walten des edlen Mannes lag ein Reiz, der mir den neuen Aufenthalt verschönerte und versüßte. Noch heute, nach dreiundzwanzig Jahren ist es mir eine Wollust zu denken, wie ich in jenen Tagen schwerer Heimsuchung auf dem Wege, so zu sagen, in die Verbannung, die Fußstapfen Schiller’s aufgespürt und verfolgt habe. –

Ueber jede Schätzung werthvoll bleibt mir die Erinnerung an meinen Aufenthalt in Weimar im Jahre 1849, wo um jene Zeit der mächtige Einfluß Goethe’s an Personen und Dingen sich noch lebendig zeigte. Der herrschende Ton hatte noch etwas von der Feinheit und Bildung übrig behalten, wie sie von dem Meister ausgingen und gefördert wurden. Wenn ich Eckermann sprechen hörte, war es mir, als klänge aus den Worten eine Nachwirkung des traulichen Verkehrs mit dem Unsterblichen. Der Mann schien mir durch die Auszeichnung wirklich geadelt; aber nicht etwa wie die Industrieritter unserer Zeit, sondern im besten Sinne des Wortes. Noch andere Personen lebten um jene Zeit, die in die Nähe des hohen Dichters gekommen waren. Geh. Rath Müller, der nichts von dem frommen, milden Wesen Eckermann’s an sich hatte und in der Gesellschaft von Weimar nicht sonderlich gut gelitten war, galt mir doch als ein geweihter Mensch, weil ihn Goethe seines Wohlwollens gewürdigt. Ich konnte nicht anders, als ihn mit Theilnahme und Verehrung betrachten. Von den Bühnengestalten, die unter Goethe’s Leitung die künstlerische Laufbahn durchgemacht, war nur noch Einer in Wirksamkeit: der alte Durand. Unverbrüchlich treu den Lehren des Meisters, bewahrte sich der Schauspieler die classische Ruhe im wildesten Aufruhr der Leidenschaft, die Achtung vor dem Gesetz des Maßes und der Schönheit, neben mancherlei Verzerrungen der andersgeschulten Kunstgenossen. Ohne daß ich weiter in den Werth oder Unwerth seiner dramatischen Richtung einging, war mir Herr Durand eine kostbare Erinnerung an den unvergleichlichen Theatervorsteher. –

Vergangenes Jahr in Karlsbad, beschäftigte mich weit mehr als die Wunder der kochenden Heilquellen, als das Treiben der Gäste und die fesselnde Anmuth des Thales der Gedanke, daß Goethe vierzehnmal den Curort besucht und sich daselbst mit Vorliebe aufgehalten habe. Wie eine schöne Hoffnung schwebte mir die Möglichkeit vor, irgendwelche Personen zu entdecken, die mit dem großen Menschen in Berührung und Verkehr gestanden. Ohne mich durch die Erwägung entmuthigen zu lassen, daß gewiß schon andere Schriftsteller vor mir dieser Fährte gefolgt sein mochten, verlegte ich mich mit dem Eifer eines Schatzgräbers auf’s Nachforschen. Ich besuchte Dr. Mlawaczek, der ein werthvolles Buch über Karlsbad veröffentlicht hat und auch der wiederholten Anwesenheit des Olympiers von Frankfurt im Badeorte erwähnt, und bat den gefälligen Mann um seinen Beistand bei meinem Unternehmen. Er zuckte die Achseln und betheuerte in der aufrichtigsten Weise seines Herzens, daß ihm über Goethe’s Aufenthalt in Karlsbad nicht mehr bekannt sei, als er in der herausgegebenen Schrift mitgetheilt habe. Auch sehe er sich vergebens nach einem Anhaltspunkte um, der in dieser Beziehung zu einem erwünschten Ergebniß führen könnte. Besser erging es mir mit Dr. Bermann. Der zuvorkommende Greis wußte zwar auch nicht mehr als das Allgemeinste über den Aufenthalt Goethe’s in Karlsbad; allein er kannte die Eigenthümer des Hauses zu den „Drei Mohren“, in welchem Goethe, wenn er nach Karlsbad kam, Wohnung nahm, und erbot sich, mit mir bei den Leuten Nachfrage zu halten. Auf diesem Wege lernte ich Frau Glaser kennen, die Tochter der Heilingetters, welche das Haus zu den „Drei Mohren“ gehalten und dem Dichter die Wohnung vermiethet hatten. Die Frau treibt das Gewerbe ihrer Eltern, nur daß sie jetzt in dem Hause zum „Marktbrunnen“ Badegäste unterbringt und bewirthet. Ich fand sie vollauf beschäftigt mit Ordnen und Säubern, und ihr Anzug unterschied sie kaum von der Magd, welche ihren Befehlen gehorcht. Als Herr Dr. Bermann ihr den Zweck unseres Besuches mittheilte und einige Fragen über den hohen Inwohner ihrer Eltern an sie richtete, gab sie in der schlichtesten Weise Bescheid. Sie versicherte, daß sie sich ganz gut des stattlichen Herrn erinnere, der immer freundlich und liebevoll mit ihr und ihrer jüngeren Schwester gewesen. Sie waren damals Kinder, die Eine von neun bis zehn, die Andere von sieben bis acht Jahren. So oft der berühmte Mann eine Einladung zu Tische angenommen hatte, brachte er den beiden Kindern Gebäck oder andere Süßigkeiten in einer Düte mit. Manchmal kam er von diesen Gastereien in Gesellschaft vornehmer Herren nach Hause; doch so wie er der beiden Kinder ansichtig wurde, ging er auf sie zu, küßte sie und gab ihnen die Leckerbissen. Fast niemals sei er an den kleinen Mädchen vorübergegangen, ohne ihnen eine Zärtlichkeit zu bezeigen.

Wenn Goethe Gäste bei sich zum Essen lud, mußten die Kinder häufig dabei sein; sie saßen am Tische und er bewirthete sie mit besonderer Aufmerksamkeit. Früher hatte der Dichter drei Treppen hoch gewohnt, später jedoch ist er in den ersten Stock herunter gerückt. Einmal waren Leute bei Goethe zu Besuch, und er las ihnen etwas vor. Das klang so schön, daß die Kinder an der Thür blieben und lauschten. Nicht eher rührten sie sich weg, als bis es wieder still wurde in der Stube des Dichters, „Noch jetzt,“ sagte die gute Frau in ihrer unbefangenen Weise, „empfinde ich ein Vergnügen, wenn ich an die kräftige Stimme und den schönen Vortrag denke. Alles habe ich verstanden, so ausgezeichnet wußte unser Inwohner zu sprechen und zu betonen. Nie habe ich seitdem etwas Aehnliches gehört, auch nicht, wenn ich ab und zu einmal Zeit fand in’s Theater zu gehen.“ Bisweilen borgte sich Goethe von seinen Hausleuten die Bibel, die er mehrere Tage durch behielt.

Vierzehn Mal, wie gesagt, war der Dichter in Karlsbad, und so oft er in den Curort kam, wohnte er bei den Heilingetters, denen er bei vielen Gelegenheiten sein Wohlwollen zu erkennen gab. Nur als er zuletzt im Jahre 1823 Karlsbad besuchte, kehrte er beim „Strauß“ statt bei den „Drei Mohren“ ein. Denn diesmal war es nicht die Heilquelle, sondern das Polenfräulein Ulrike von Lebezow, die den vierundsiebenzigjährigen Dichter hierher gezogen. Natürlich quartierte der Freier sich ein, wo der Gegenstand seiner Liebe sich einquartiert hatte. Doch ermangelte Goethe nicht, die Heilingetters zu besuchen und sie wegen seiner Untreue um Entschuldigung zu bitten. Aufrichtig gestand er den Grund des Quartierwechsels und sagte ihr: „Sehen Sie, was ein Mensch mit grauen Haaren für Dummheiten machen kann. Doch an so etwas trägt Niemand Schuld.“

Noch einmal vor seiner Abreise besuchte der Dichter die Heilingetters, um Abschied von ihnen zu nehmen. Ich fragte, ob sich nicht etwa noch einige von den Gegenständen vorfänden, deren sich Goethe bedient hat, und Frau Glaser erwiderte: „Ach, Alles haben sie weggenommen, die Studenten und andere Anhänger des berühmten Mannes. Was nur irgend in Berührung gekommen war mit dem ausgezeichneten Inwohner meiner Eltern, mußte ich hergeben. Sogar eine Thür aus rohem Holze, welche zu dem geheimsten Winkel des Hauses führte. Die hat mir der Minister irgend eines Landes abgekauft, wie sehr ich mich dagegen auch sträubte. Denn sie war von der Hand des großen Mannes mit Versen und Sprüchen vollgeschrieben. Ich weiß nicht einmal, wohin sie gebracht wurde, denn ich erinnere mich weder des Mannes noch der Heimath des hochgestellten Käufers.“ Nichts als einen Spiegel, vor welchem Goethe seinen Anzug zu ordnen pflegte, hatte die Frau übrig behalten; den aber will sie um keinen Preis verkaufen, damit sie ihren Kindern und Enkeln ein Andenken an die Ehre hinterlassen kann, welche der Familie zu Theil geworden. Sie zeigte mir den Spiegel, er ist von mittlerer Größe, ganz gut erhalten, und steckt in einem Rahmen mit Spiegelglas verziert, wie er noch zu Anfang dieses Jahrhunderts in Bürgerhäusern häufig anzutreffen war.

Noch einmal besuchte ich Frau Glaser, um Abschied von ihr zu nehmen und mich für die Mittheilung zu bedanken, welche ein Stückchen des zarten Dichtergemüths enthüllte. Ich würde es für ein Verbrechen halten, den Fund der Welt vorzuenthalten.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_771.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)