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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Art und Weise, sein Behagen, denn das war es doch offenbar, kundzugeben, aber die Scene wiederholte sich oft genug, um keinen Zweifel über diesen sonderbaren Ausdruck des Wohlgefallens übrig zu lassen. Warum auch nicht? So gut wie schon unter den Menschen manche Völker ganz sonderbare Manieren haben, sich ihr Wohlgefallen gegenseitig kundzugeben, ebenso gut muß das Recht, seine Freude und Zufriedenheit anders zu äußern als wir, einem Tiger oder Löwen zustehen. Uebrigens vergißt der Tiger bei diesem Hochgenuß keineswegs sich selbst, denn sowie der Wärter aus Versehen ihm einmal weh thut, schnauzt er denselben mit grimmigem Aufbrüllen an, als wollte er ihn schleunigst fressen, was natürlich auf einen Augenblick, aber auch nicht länger, die Toilette unterbricht.

Als ich diesen Tiger vor mehreren Jahren, noch vor der Wiedergeburt des Berliner Zoologischen Gartens, zuerst dort sah, mußte er schon auffallen durch den besonders kräftigen Bau seiner Glieder und durch seinen schönen Kopf; aber dieser letztere wurde im Laufe der Jahre immer schöner durch eine ganz außergewöhnliche Entwickelung seines prächtigen lockigen Backenbartes, wie man dies selten wieder bei einem derartigen Thiere finden wird. Es ist überhaupt – doch halt! erst möge ein- für allemal gesagt sein, daß hier bei Leibe niemals naturwissenschaftliche Bemerkungen aufgestellt werden sollen; denn das ist erstens gefährlich, und zweitens muß Folgendes erwogen werden: so wie es von einem Stern geradezu eine unbegreifliche Dreistigkeit ist zu existiren, so lange er, von einem Laien zuerst entdeckt, von Fach-Astronomen noch nicht festgestellt ist, so haben auch alle naturwissenschaftliche Bemerkungen aus Laienmunde einen Werth gleich Null. Ich wollte also sagen: es ist eine bei manchen Säugethieren eigenthümliche Erscheinung, daß einzelne, welche wenig behaart sind, diese wenigen Haare mit der Zeit auch noch lassen müssen, während andere mit dichterem Haarwuchs begabte mit steigendem Alter immer haariger werden. „Wer da hat, dem wird gegeben, wer da nicht hat, dem wird auch genommen, was er hat,“ das gilt auch hier. Solche Thiere sehen sich in der Jugend und im Alter oft so unähnlich, daß man sie für zweierlei Thiere halten möchte. Die Zoologischen Gärten bieten eben den schönen Vortheil, daß sie reichen Stoff auch zu derartigen Beobachtungen gewähren.

Unser Tiger – denn so kann ich ja wohl nach der nun vermittelten Bekanntschaft sagen – wurde vor ungefähr sechs Jahren vom Thierhändler Hagenbeck in Hamburg an den Berliner Zoologischen Garen verkauft. Hagenbeck hatte ihn ganz jung bekommen, und bei ihm machte das Thier auch den gefährlichen Zahnwechsel durch. Hierbei ist der Tiger damals fast erblindet und ganz hinfällig geworden, so daß Hagenbeck täglich zu ihm in den Käfig gehen und ihm die Milch, welche er bekam, selbst einflößen mußte. War es zu verwundern, wenn der Mann sich jedes Mal bei der Hinkunft nach Berlin freute über die herrliche Entwickelung seines früheren Pfleglings? In den betreffenden Kreisen sagt man den Thierhändlern nach, daß, wenn sie einmal ein Thier verkauft haben, ihnen an dessen Fortexistenz nichts mehr liegt, aber der vorliegende Fall beweist das Gegentheil und straft diesen schnöden Leumund Lügen.

Die Gefährtin unseres Tigers ist schon längst verendet. Dafür kaufte ein Berliner Maler – man sieht, Maler können auch Geld übrig haben und nobel sein – eine andere Tigerin. Aber sonderbarer Weise verzichtete das Tigerpaar, so lange es in dem alten Raubthierhaus der früheren Aera sich befand, auf Nachkommenschaft. Sowie aber unter Bodinus’ Direction das neue prachtvolle Raubthierhaus fertig und die Uebersiedelung der Tiger dahin geschehen war, beglückten sie die Theilnehmenden mit zwei kleinen Tigern. Ein besseres Vertrauensvotum hätte sich der bereits berühmt gewordene Reorganisator des dortigen Zoologischen Gartens gar nicht wünschen können. Es war ein reizender Anblick, die Tigermutter mit ihren Kindern zu sehen; besonders als dieselben schon etwas herangewachsen, boten sie einen höchst interessanten Vergleich mit jungen Löwen; denn die viel größere Sprungkraft und Beweglichkeit des Tigers im Vergleich zum Löwen trat schon in diesen jungen Tigern auf eine auffallende Weise zu Tage. Der Papa war natürlich abgesperrt – in den naturgeschichtlichen Büchern steht es ja schon längst, daß der Tigervater immer Sehnsucht hat, seine Jungen aufzufressen.

In dieser und auch der folgenden Zeit kam mir unser Tiger stets höchst aufgeregt vor. Der Geifer stand ihm oft vor dem Maul, und mit Wucht schleuderte er denselben von sich ab. Dieses Geifern sollte nach des Wärters Ansicht davon herrühren, daß der Tiger die Halme einer Grasart, welche in seinem Lagerstroh sich fanden, fraß; ob dies wirklich der Fall, mag dahingestellt sein. Aber auch abgesehen von diesem Geifern, lief er oft knurrend und mit gewaltigen Schritten in seinem Käfig auf und ab. Standen dann Beschauer vor demselben, so schnauzte er dieselben wohl plötzlich mit einem so jähen Aufbrüll an, daß selbst ganz „unverfrorne“ Berliner, in deren Wörterbuch das Wort Verlegenheit sonst nicht zu finden war, doch auf kurze Zeit ganz stumm und betroffen wurden und ihre unvermeidlichen Kalauer vergaßen.

Manchmal habe ich mich gefragt: was in aller Welt macht den Tiger so aufgeregt? Er ist glücklicher Gatte und Familienvater, ohne doch Nahrungssorge zu haben; er braucht kein Schulgeld zu bezahlen, ist keiner Beamtenflegelei ausgesetzt, und für das Fortkommen oder Dableiben seiner Kinder sorgt Bodinus. Der bis jetzt noch nicht aufgeklärte Fall, daß in Baiern kürzlich ein Minister gestorben mit nur einem Orden, macht ihm doch gewiß auch keine Schmerzen, und wenn nach Bebel’s Ansicht die Dogmen den Reichstagsmitgliedern „wurst“ sind, so sind sie unserem Tiger gewiß noch „wurster“. Woher also seine Aufregung? – Da, endlich löste sich das Räthsel. Als die jungen Tiger bereits von der Mutter getrennt und Tiger und Tigerin wieder vereinigt, aber keineswegs einig waren, erfuhr ich durch den Wärter Peens im vertraulichen Gespräch, daß Alle, Löwe, Tiger und Leopard, mit ihren Frauen in Uneinigkeit leben und sich vor ihnen fürchten. Dies mußte also aufregend selbst für ein Tigerherz sein. Aber es ist eben die alte Geschichte, daß, wenn der Mann im Bewußtsein seiner Ueberlegenheit sich scheut, der Frau gegenüber davon Gebrauch zu machen, diese solche Schonung für Schwäche hält und den Mann tyrannisirt. Es ist hier blos von Löwen, Tigern und Leoparden die Rede.

Um diesem Artikel nach einer anderen Seite hin ein größeres Interesse zu gewähren, habe ich schon vorher einen mir durch Herrn Hagenbeck bekannt gewordenen Thierhändler aus London, den jüngeren Herrn Jamrach,[WS 1] welcher selbst viele Tiger aus Ostindien geholt hat, gebeten, mir, wenn es sein geschäftliches Interesse erlaube, Einiges für die Gartenlaube über den Fang der Tiger und das damit Zusammenhängende mitzutheilen. Mit einer höchst dankenswerthen Gefälligkeit hat derselbe meine Bitte erfüllt, und ich kann nichts Besseres thun, als die ganze mir zugekommene Mittheilung wörtlich abdrucken zu lassen, blos mit der vorausgeschickten Bitte um Entschuldigung, wenn etwa einzelne indische oder englische Wörter durch meine Schuld nicht ganz richtig übersetzt sein sollten. Herr Jamrach schreibt:

„Ueber den Tigerfang in Ostindien kann ich Folgendes erzählen. Ausgewachsene Tiger werden höchst selten gefangen, hauptsächlich weil der Transport eines solchen Thieres sehr kostspielig ist und die respectiven Liebhaber in Europa solche wilde Thiere nicht gern kaufen. Große Tiger, frisch vom ‚jungle‘ (Wildniß) sind nicht zu zähmen, sie zerbeißen die hölzernen Theile ihrer Käfige, sitzen immer in der Ecke und schnauben und zeigen sich wenig am Licht. Durch das viele Liegen und Kauern entstehen gewöhnlich Geschwüre an ihren Hinterbeinen; auch der Rücken verkrümmt sich, und das Thier verliert sein gutes Aussehen. Ich gebe meinen Shikarees strengen Auftrag, Tiger im Alter von vier bis sechs Monaten zu fangen. Hat ein Tigerpaar sein Lager aufgeschlagen, so weiß der Shikaree beim ersten Anblick des Weibchens ungefähr, wann die Jungen zu erwarten sind. Er wartet seine Zeit ab und wird zuletzt gewahr, daß das Männchen allein ausgeht. In diesem Fall stellt er sich auf die Lauer, und ehe der Vater Zeit hat, seinen Kindern guten Morgen zu sagen, ist er gewöhnlich getödtet, sein Kopf vom Rumpfe gehauen und nach der Kutcherree gebracht, wo ein Beamter vom Gouvernement dem Shikaree fünfzig Rupees auszahlt. Das Weibchen wird dann sorgfältig mit ihren Jungen bewacht, die nach und nach weiter vom Nest abgehen. Weiß der Shikaree, daß dieselben die Mutter nicht mehr brauchen, was er an der Gleichgültigkeit derselben sehen kann, so wird die Alte getödtet, und die Jungen lassen sich leicht fangen, da sie gewöhnlich beim todten Körper der Mutter bleiben und schreien. Der Kopf der Alten kommt, wie der ihres Herrn Gemahls, nach

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vermutlich der Tierhändler William Jamrach, Sohn von Charles Jamrach (1815–1891)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_786.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)