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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Kutcherree, wo noch einmal fünfzig Rupees bezahlt werden, und die Jungen bringt man dann nach Calcutta. Da eine solche Reise zu Fuß aus dem Innern zwei bis drei Monate dauert, so bekommen wir die Tiger gewöhnlich im Alter von vier bis sechs Monaten. Der Shikaree legt sich nun auf die faule Haut, bis sein Verdienst aufgezehrt ist; deshalb muß man viele solcher Leute halten, die eine eigene Kaste in Indien bilden und ausgezeichnete Schützen sind, obgleich man noch das alte Feuerzeug bei ihnen findet. Das Zahnwechseln ist die schlimmste Periode bei Tigern, wie bei allen Katzenarten, weshalb ich dieselben gewöhnlich vorläufig in Calcutta behalte und einer besonderen Pflege unterwerfe; später werden dieselben in Käfige gesperrt und so nach Europa transportirt. Auf diese Art habe ich fünfundsiebenzig Tiger von hundertzweiundzwanzig gefangenen nach Europa gebracht. Mein größter Abnehmer war der Sultan, der augenblicklich die schönsten Exemplare besitzt. Tiger fängt man vielfach in Gruben. Hat man den Pfad des Tigers gefunden (sie gehen alle Abende denselben Weg zum Wassertrinken), so wird ein tiefes Loch gegraben, gehörig mit leichtem Stoff zugedeckt und eine lebende Ziege daraufgebunden. Von Weitem steht der Jäger mit einem Faden in der Hand, der mit den Beinen der Ziege in Verbindung steht. Dieser wird zu wiederholten Malen stark angezogen, um die Ziege zum Schreien zu veranlassen, welches man in der Wildniß weit hören kann. Der Tiger hat scharfe Ohren und auch einen scharfen Geruch; im Nu ist er da, springt zu, fällt durch und auf einen sehr spitzen, aus Teakholz gemachten, vier Fuß langen hervorstehenden Pfahl. Man läuft hinzu und giebt ihm mit der Kugel den Rest.

Vor zwei Jahren erhielt ich in Calcutta eine Depesche von einem Bekannten, der neunzig (englische) Meilen von dort entfernt wohnte, des Inhalts: ich solle sofort kommen, da er eine Tigerspur unweit seiner Wohnung gefunden habe. Ich machte mich Nachts auf, ging über Burdwan, und befand mich nach einer zweistündigen Fahrt vom Bahnhof in seinem Hause. Er zeigte mir die Grube, und Alles war bereit für den Abend. Um acht Uhr Abends setzten wir uns auf zwei hohe Bäume, Jeder gut versehen mit einer Spencer-Flinte und Patronen, um ihm, im Fall er uns bemerken und das Weite suchen sollte, eine tüchtige Ladung nachzusenden. (Tiger, wenn sie nicht hungrig sind, fürchten sich vor dem kleinsten Geräusch.) Die Ziege schrie unaufhörlich, und bald stellte sich auch Madame Tigerin ein, und zwar mit drei Jungen, jedes nicht größer als ein Hase. Wir verhielten uns ganz ruhig, aber nach einigen Minuten hörten wir ein furchtbares Geräusch, und Pern, mein Junge, kam angelaufen, schreiend: ‚Sahib, Sahib, Bagh Pinjura se bheeta lai, margeer!‘ Das sollte heißen, die Tigerin sei in der Grube, sterbend! Wir eilten an die Grube. Wirklich! sie war so genau auf den Pfahl gefallen, dessen Spitze ein scharfgeschliffenes Bajonnet war, daß all ihr Wühlen und Wälzen sie nur noch fester darauf spießte. Sie tobte sich aus und starb nach zwanzig Minuten. Die Jungen nahmen wir mit nach Hause, wo ich die Nacht verblieb. Am nächsten Morgen wurden sie in ein leeres Branntweinfaß gesteckt; ich setzte mich auf dasselbe, fuhr damit nach dem Bahnhof, kam spät Abends in Calcutta an, fand alle meine Freunde beim Diner und wurde nun herzlich ausgelacht, da ich so früh wiederkam. ‚Das Abendessen ist zu Ende,‘ sagten sie; da kam aber der Diener mit einer schweren Schüssel angelaufen und setzte dieselbe auf den Tisch. Man nahm den Deckel ab, und zur Verwunderung aller Herren und Damen sprangen die kleinen Tiger aus derselben heraus und auf dem Tische herum; sie hörten nicht auf zu schreien. Diese drei habe ich mit vieler Mühe groß gefüttert und glücklich nach Europa gebracht.

Im vorigen Jahr erhielt ich einen großen Tiger von Assam, ein Prachtthier. Wie derselbe in Calcutta vom Wagen genommen wird, bricht der Boden los; die Wärter lassen den Käfig fallen und zwar auf die Seite; das Thier springt heraus, läuft im vollsten Galopp Jann Bazar hinunter bis an Circular Road, wo ihm eine Dampfwalze entgegenkommt. Dies erschreckt das Thier dermaßen, daß es mit einem Male umkehrt, denselben Weg zurückläuft und, die Pforte von Nr. 33 Jann Bazar offen findend, in’s Haus läuft. Hier springt es im Nu über den Tisch, an dem vier Personen beim Frühstück sitzen, aus der Hinterthür hinaus und in die Küche hinein, wo es sich in den Winkel setzt. Der Koch lief heraus und hatte noch die Vernunft, die Thür hinter sich zuzuziehen. Nach zwei Stunden hatten wir das Thier mittelst einer lebenden jungen Ziege wieder in den Kasten gelockt.

Wenn man die jungen Tiger an den Umgang mit Menschen gewöhnt, so bleiben dieselben immer zahm, doch muß man denselben zur Fütterungszeit niemals nahe kommen. Mein Gehülfe August Engelke brachte auf einem Segelschiff einen großen, zwei Jahre alten Tiger von Calcutta bis London. Er spielte mit Jedem auf dem Schiff und wurde nur Nachts in seinen Käfig gesetzt. Sein bester Freund war ein Hund, ein Rattenfänger, und Beide sind zusammen in einem Käfig nach Amerika gebracht worden. Oft habe ich versucht, Tiger mit anderen Thieren zusammen groß zu ziehen. Am besten gelang mir dies mit dem gemeinen indischen Schakal. Der Geruch dieses Thieres, glaube ich, hält den Tiger vom Streit ab. Außer dem Menschen giebt es keinen größeren Feind für den Tiger als den Affen. Es ist interessant, die Courage und Gewandtheit eines Affen zu sehen, wenn er sieht, daß kein Ausweg für ihn ist. Einen großen Hamadryas (Mantelpavian) setzte ich mit einem beinahe ausgewachsenen und jung eingefangenen Tiger zusammen. Der Hamadryas stürzte sich mit furchtbarer Macht auf den Rücken des Tigers und biß sich fest; dieser konnte ihn nicht abschütteln, und mit großer Anstrengung nahmen wir den Hamadryas heraus. Da greift er von außen durch das Gitter, hat seinen Feind beim Kragen und rächt sich mit seinen Zähnen am eisernen Gitter. Diesen Versuch machte ich nie wieder. Auch habe ich es sehr schwierig gefunden, mehrere Tiger verschiedenen Alters zusammenzusetzen; es gelang zwar verschiedene Male, aber wir mußten die Thiere bei der Fütterung von einander trennen. Vier von einer Brut gingen im letzten Jahr zusammen nach Amerika. Später hörte ich, man habe ihnen noch vier zugesellt; ich glaube, dieses ist das erste Beispiel von acht abgerichteten Tigern in einem Käfig. Im Jahre 1866 schenkte mir eine große Dame Calcuttas zwei kleine Tiger; diese Thiere waren neun Monate alt und nur neun Zoll hoch; sie kamen nach einer viermonatlichen Reise glücklich nach London, wobei sie nicht wuchsen. Keiner wollte diese Monstrositäten ansehen, und nachdem ich dieselben bis zum Winter am Leben erhalten, starben sie kurz nacheinander.

Große Schwierigkeiten hatte ich während der Jahre 1865 bis 1867 zu überwinden, um lebende Tiger zu erhalten, da die indischen Juweliere fünf und sechs Rupees pro Stück für Klauen zahlten, welche zum Schmuck gebraucht wurden. Die Shikarees fanden es daher besser, die Tiger zu schießen, als sie lebend zu fangen. Jetzt ist eine gute Haut in Indien auch zwei- bis dreimal soviel werth, als in Europa. Man zahlt zum Beispiel hundertzwanzig bis hundertfünfzig Rupees für eine gut gezeichnete Haut. Da die Nachfrage nach lebenden Tigern beinahe nicht mehr vorhanden ist, so legen die Shikarees sich hauptsächlich auf’s Tödten dieser Thiere. Obgleich Hunderte alle Jahre getödtet werden, giebt es noch eine Unmenge. Man lese nur die englischen Zeitungen Indiens; es ist kaum glaublich, wie viele Menschen jährlich von Tigern zerrissen werden. Ein Tiger wird gewöhnlich Menschenfresser, wenn es ihm an anderer Nahrung fehlt, und hat er erst einen Menschen erlegt, so bleibt er dabei. Ich glaube mit Sicherheit, daß alle Tiger auf der Insel Singapore Menschenfresser sind; denn andere Nahrung giebt es da nicht viel für diese Bestien; daß im Durchschnitt täglich ein chinesischer Holzhauer verschwindet, ist bewiesen worden. Ich habe viele Tiger von Singapore gesehen, junge und alte, niemals aber einen zahmen. In Madras auf einem Steamer der P.- u. O.-Comp. wurde mein Gehülfe Nachts aus dem Bette aufgeschreckt, da ein Tiger sich durch das Dach seiner Cajüte durchgefressen hatte. Es war einer aus Singapore,

Ehe der Suez-Canal eröffnet wurde, waren große Schwierigkeiten mit dem Herbringen der Tiger verbunden; so hatte ich zum Beispiel sieben Tiger in einem Schiffe und als Futter zweiundzwanzig Ochsen, wovon siebenzehn in acht Tagen an einer Seuche starben. Da Fleisch jetzt knapp war, so mußte jeder Tiger sich mit zwei Pfund pro Tag begnügen, bis in der Capstadt mehr angeschafft wurde.

Bastarde von Löwe und Tiger hat man vielfach in englischen Menagerien gehabt, sie werden aber nie groß.“

So weit Herr Jamrach, dessen Mittheilungen gewiß jeden Leser höchlich interessirt haben werden. Auf meine nachträgliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_787.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)