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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gespannt vernahm er die Mittheilung; das ganze Antlitz des Mannes schien um die Spitze der kräftigen Nase sich zu concentriren. Als ich hinzufügte, ich begriffe nicht, wie die beiden Schälke in Banz den Erfolg zu Wege gebracht, brach er in helles Gelächter aus und sagte:

„Daß Du die Sache nicht begreifst, finde ich sehr begreiflich, ich aber begreife sie, denn Du mußt wissen, ich und Salmann, der in der oberen Gasse wohnt, waren im Kloster die Kunstarbeiter! Es ist eine alte Geschichte, mir jedoch in gutem Andenken geblieben. Du sollst sie wissen; Banz hat längst aufgehört, Mönche zu beherbergen, und Die, welche den verstorbenen Abt citiren ließen, sind ihm wohl Alle nachgefolgt. So höre.“

Er nahm eine gewaltige Prise, nachdem er wiederholt den Duft der geöffneten Dose gesogen, und begann:

„Wir wurden vom Kloster aus ersucht, uns in dasselbe zu begeben, wenn wir uns getrauten, einen Todten zur Auskunftertheilung über sein jenseitiges Loos zu bestimmen. An Reisekosten würden dreißig Ducaten vergütet. Wir erklärten uns zur Uebernahme der Commission bereit und empfingen das Reisegeld. Ein Certificat stellten wir nicht aus; ich gebe nichts Schriftliches.

In Coburg, wo wir einige Tage weilten und wo man mich in meiner schwarzen Kleidung mit weißem Halstuch für einen Geistlichen hielt, zogen wir in unserem bescheidenen Gasthause Erkundigungen über Banz ein. Nur ein bedeutender Mann, benachrichtigte man uns, sei neuerlich dort gestorben, der Klosterabt. Er mußte, so schlossen wir aus den Vorlagen, die Person sein, welcher unsere Berufung galt. Wir hatten nicht fehlgegriffen. Im Kloster, wohin wir uns nun begaben, bedeuteten uns die Herren, welche uns eine erwünschte Aufnahme angedeihen ließen, dem verewigten Abt zu Liebe hätten sie uns zum Anherkommen geladen.

Mit ihren Dispüten über seine Seligkeit hielten sie nicht hinter’m Berge; alle weitere Auskunft über den Mann blieb uns versagt, so unentbehrlich sie uns immer war. Keine vorsichtige Versuchung, kein bedächtiges oder schlaues Anklopfen förderte uns im Geringsten. Die Herren Mönche hatten sich das Wort gegeben, uns jeden ferneren Aufschluß zu versagen. Sie schwiegen wie auf Commando.

Kommt Zeit, kommt Rath, dachten wir; das Glück wird uns ja auch diesmal begünstigen. Wir nahmen unterdessen die Localität, die Kirche, in Augenschein, in welcher wir täglich einige Stunden ungestört uns zu unserem daselbst auszuführenden Werke vorbereiten zu dürfen ausbedungen hatten. Daß man uns dort unbeobachtet lassen werde, worauf wir gedrungen, fiel uns im Ernste nicht ein.

Auf Stühlen im Chore sitzend, scheinbar in Sinnen und Denken versunken, gewahrten wir am Fußboden links vor dem Hochaltar eine Stelle, welche Spuren neuerer Arbeit verrieth. Unter ihr mochte der Abt ruhen; dort empfahl sich’s wenigstens, die Erscheinung seines Bildes hervortreten zu lassen.

Ja wenn wir nur ein Bild von ihm gehabt, nur gewußt hätten, wie er im Leben aussah, ob er eine lange oder kurze, beleibte oder hagere, gerade oder gebückte Figur war. ‚Ein Bild!‘ seufzte ich manchmal meinem Gehülfen auf unserem einsamen Nachmittagsspaziergange vor. Und ‚ein Bild!‘ gegenseufzte er, ‚Glück! thue für uns ein Uebriges,‘ hinzufügend.

Du kannst glauben, unsere Lage war nichts weniger als eine günstige. Von Seiten der Mönche die Erwartung auf unser baldiges Vorgehen mit unserer Sache, auf unserer Seite die gleich unruhige Erwartung, das ersehnte Conterfei werde uns in die Hände fallen.

Endlich begegnete uns das Glück. Es trat uns in der Gestalt eines armen greisen Mütterchens auf unserer Wanderung unfern dem Kloster entgegen. Von dieser Alten erfuhren wir weitläufig, was wir brauchten. Sie kannte uns nicht. Den Abt kannte sie desto besser; ihn schilderte sie vom Scheitel bis zur Zehe. Auch über sein Stimmorgan ließ sie sich aus.

Das Abtsbild in der Blendlaterne ward alsbald gefertigt. Eine halbzerbrochene Fensterscheibe im Chore der Kirche bot den geeigneten Weg, Salmann’s Todtenworte mittelst eines draußen angelegten, zum Langausziehen und Wiederzusammenfalten eingerichteten Sprachrohrs in den Raum zu befördern. So ward der Tag und die Stunde der That festgesetzt und den Herren verkündet.

Nach einer Menge ceremonieller Vorbereitungen begaben wir uns mit den Mönchen zur bestimmten Zeit nach der Kirche. Es war Nachts elf Uhr. Salmann schlich – man achtete auf meinen Steffen überhaupt weniger –, in seinen Mantel gehüllt, der äußeren Kirchmauer entlang nach seinem Platze vor der am Fuße des Fensters im Chore befindlichen Scheibe. Der brausende Sturm mehrte seine Sicherheit. Meine Mönche zogen mir in Procession nach. Mancher sah bleich aus; Einige schienen zu zittern. Mit einem weiten Talar angethan, schritt ich ihnen bis vor den Altar voran. Hier zeichnete ich einen Kreis, innerhalb dessen sie mit mir nach bereits getroffener Verabredung stehen sollten. Weihrauch wurde in reicher Quantität angezündet, das mitgebrachte Licht ausgelöscht. Lautloses Schweigen, wie ausbedungen worden, rings umher, nur unterbrochen durch die am Gebäude sich brechenden Windstöße. Qualm erfüllte den Raum. Von dicker Finsterniß umgeben, sprach ich langsam in tiefen Lauten meine Beschwörung. Nach Verlaufe einiger Minuten zeigte sich auf der Stelle, wo nach unserem Dafürhalten der Verstorbene ruhte, ein schwacher Lichtschimmer. Dieser nahm nach und nach zu. Ein blasses Haupt tauchte aus der Tiefe auf. Hals und Oberkörper folgten nach. Die Gestalt bewegte sich nicht weiter, weil ich sie in der Blendlaterne nur bis an das Ende der Brust abgearbeitet hatte. Während sie noch, durch den Weihrauchdampf wie mit Nebel umflossen, ruhig verharrte, hob ich an, den verewigten Abt demüthig um Verzeihung zu bitten, daß ich gewagt, seine Todesruhe zu stören, es sei dies nur auf inständiges Drängen seiner Verehrer geschehen, welche auch durch sein Wort die Ueberzeugung noch bekräftiget zu sehen wünschten, er sei zu Gnaden gekommen.

Ich hatte nach dem Minutenzeiger meiner Uhr gezählt. Es war fünfundfünfzig Minuten nach elf Uhr. Eine Minute vor zwölf Uhr war Salmann beauftragt, die Antwort des Abtes zu geben. Sie erfolgte genau nach der Bestimmung. Eine kleine Weile, nachdem ich meine Bitte, der Todte möge den Herzenswunsch der Seinen erfüllen und noch einmal sein Wort ergehen lassen, ihm zugerufen, erklang es dumpf und hohl durch den Chor:

‚Ich bin begnadigt!‘

Langsam sank die Erscheinung, wie sie emporgestiegen, wieder in die Tiefe. Als der letzte Glockenschlag der Mitternacht verhallte, war sie verschwunden.

Wir durften unsere Leistung als eine gelungene ansehen. Die Herren in Banz waren mit uns, wir waren mit ihnen, namentlich mit dem uns von ihnen gereichten Ehrensolde zufrieden.

Hier hast Du die ganze Geschichte. Die Herren in Banz begehrten unsere Dienste. Wir leisteten sie ihnen nach unserm besten Vermögen. Wundere Dich aber nicht darüber, daß ich den todten Abt nicht verdammen ließ. Ich kann Dir hoch und theuer versichern, das Männchen hatte mich in seinem Leben mit keiner Miene beleidigt.“

Ein frevler Mensch, dieser Ledermann, ein Alles verachtender, auf Verspottung und Beraubung Anderer versessener Egoist vom reinsten Wasser! Von dem bedeutenden Gute, was er, wie er sagte, verdient, das heißt, erlogen und ertrogen hatte, hieß es „wie gewonnen so zerronnen“. Er endete von Mangel gedrückt, von den Leuten gemieden, ein alter Lump. Sein Sohn Louis ward erschlagen. Man fand denselben eines Morgens in einem zwischen Gärten hinlaufenden Gäßchen, den von heute noch unbekannter Hand empfangenen Wunden erlegen. War er vielleicht im Begriffe gewesen, die Feinheit des Vaters beim Erwerbe in’s Grobe zu übersetzen?

Der arme brave Schad sank früher in Vergessenheit als in das Grab. Bis zum letzten Augenblick stand er treu und unerschüttert, ein Märtyrer seiner heiligen Ueberzeugung, der, wie die Gartenlaube Jahrgang 1869, S. 7 erzählt hat, sein ganzes Leben gewidmet war. Sein ganzes Leben! Sollen wir noch einmal erzählen, wie er nach seiner Flucht aus dem Kloster zu Banz als Privatdocent zu Jena seine religionsphilosophischen Ideen verfocht, später einem Rufe als Professor nach Charkow folgte, aber wegen seiner liberalen Gesinnungen Rußland verlassen mußte und sich wiederum nach Jena wandte? Dort war er längere Zeit akademisch thätig und starb nach dreizehnjährigen Leiden am 13. Januar 1834. Armuth und Elend standen bis zuletzt an seinem Lager. Ehre dem Andenken dieses gesinnungstüchtigen Mannes!

J.




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