Seite:Die Gartenlaube (1872) 795.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

in die Hand geben, nur lasse man des Guten nicht zu viel werden.

An die Märchen schließen sich die Deutschen Volksbücher an, die G. Schwab für Jung und Alt in prächtiger Weise wiedererzählt hat (Bertelsmann, 31/3 Thlr.). Dieses viel zu wenig gekannte Buch enthält die Geschichten vom gehörnten Siegfried, von der schönen Magellone, dem armen Heinrich, Genovefa, Robert dem Teufel, den Schildbürgern, den Haymonskindern, der schönen Melusine, Doctor Faust, Fortunat und seinen Söhnen u. A. und ist mit 180 trefflichen Holzschnitten von O. Pletsch, W. Camphausen, Th. Grosse u. A. geziert. Wer es irgend erschwingen kann, der kaufe es; wenn es erst die Kinder haben, so werden es die Eltern selber mitlesen wollen; davon sind wir fest überzeugt. Neben den Volksbüchern ist auch der alte Raspe’sche „Münchhausen“ nicht zu verachten, wie er in der deutschen Bearbeitung von F. Hoffmann, hübsch illustrirt, vorliegt (Thienemann, 11/2 Thlr.).

Für die deutsche Heldensage verweisen wir auf die guten Bearbeitungen von Osterwald, die unter dem Titel „Erzählungen aus der alten deutschen Welt“ in der Buchhandlung des Halleschen Waisenhauses erschienen sind. Bis jetzt liegen acht Bände (à 20 bis 25 Sgr.) vor; der erste enthält die Gudrun, der zweite die Nibelungen, der fünfte und sechste den Parcival etc. Es sind schlichte, gelbcartonirte Bände ohne alles bestechende Aeußere, aber es braucht sich Niemand durch ihr einfaches Kleid abschrecken zu lassen.

Auch für die griechische Heldensage machen wir vor Allem auf die Jugendbibliothek des Halle’schen Waisenhauses aufmerksam. Dort hat erstens Masius die allbekannten Becker’schen „Erzählungen aus der alten Welt“ in drei Bänden wieder neu herausgegeben (1. Ulysses, 2. Achill, 3. Hercules und andere kleinere Erzählungen, zusammen 2 Thlr.) und sodann Osterwald den Inhalt der erhaltenen Schauspiele der drei großen griechischen Tragödiendichter Aeschylos, Sophokles und Euripides zu trefflichen Erzählungen umgestaltet. Auch von diesen liegen bis jetzt acht Bände vor (12 bis 18 Sgr.).

Außerdem aber nennen wir als gute Bearbeitungen der hellenischen Heldensage für Kleinere: Schneider’s „Heldensagen“ (Scheermesser, 20 Sgr.) und Niebuhr’s „Heroengeschichten“ (Perthes, 16 Sgr.); für Reifere: Stoll’s „Sagen des classischen Alterthums“ (Teubner, 2 Thlr. 12 Sgr.), und für fähige Köpfe, die auch größere Massen von Detail verdauen können: Schwab’s „Sagen des classischen Alterthums“ (Bertelsmann, 3 Thlr. 18 Sgr.).

Auch von orientalischen Sagen giebt es einige gute Darstellungen für die Jugend, namentlich die von L. Grimm bearbeiteten Märchen der „Tausend und einen Nacht“, vorzüglich illustrirt (Gebhardt, 23/4 Thlr.) und die „Morgenländischen Erzählungen“ von Lauckhard (Brill, 11/3 Thlr.).

Von Bearbeitungen der Thiersage endlich sei insbesondere der „Reineke Fuchs“ von Schmidt (Kastner, 1 Thlr.) und der „Froschmäusekrieg“ von Mensch (Kröner, 1 Thlr. 12 Sgr.) angelegentlichst empfohlen.

Außer diesen dem Volksepos angehörigen Stoffen ist es noch eine kleine Reihe classischer Romane und Erzählungen, deren Verwendbarkeit für die Jugend man längst erkannt hat, und die daher in guten Bearbeitungen der Jugend zugänglich gemacht worden sind. Merkwürdiger Weise gehören sie sammt und sonders nicht der deutschen, sondern der ausländischen Dichtung an. Die hervorragendste Erscheinung dieser Gruppe ist und bleibt Defoe’s „Robinson“. Ein Stück Culturgeschichte der Menschheit, welches Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende umspannt, in dem Leben eines einzelnen Menschen sich wiederholen zu lassen, den ein unseliges Geschick von allen Mitteln der Cultur entblößt den rohen, ungebändigten Naturkräften gegenüber und so noch einmal gleichsam an den Anfang aller Dinge stellt, – über die großartige pädagogische Bedeutung dieses Stoffes hat nie ein Zweifel geherrscht. Unter den neueren Bearbeitungen ist uns aus mehr als einem Grunde immer als die vorzüglichste erschienen die von Gräbner (Verlag für erziehenden Unterricht, 11/6 Thlr.). Neben dem Urrobinson verdient namentlich der alte „Schweizerische Robinson“ von J. D. Wyß Beachtung, der dadurch, daß er eine ganze Familie an Stelle des einzelnen Menschen setzt, Gelegenheit findet, wesentlich andere Motive zu entfalten, als der Urrobinson; er liegt neuerdings in einer hübschen Bearbeitung von Bonnet vor (15/6 Thlr.). Außer dem Robinson empfehlen wir noch „Gulliver’s Reisen“ von J. Swift, das Urbild aller Riesen- und Liliputergeschichten, in der gut illustrirten Bearbeitung von F. Hoffmann (Thienemann, 11/2 Thlr.), oder von Seifert (Kröner, 1 Thlr.), sodann den „Don Quixote“ des Cervantes, ebenfalls von F. Hoffmann oder von Seifert herausgegeben (Thienemann, 11/2 Thlr.; Kröner, 1 Thlr.), und endlich Cooper’s allbekannte Lederstrumpferzählungen in verschiedenen Ausgaben (Oehmigke, 1 Thlr.; Schmidt und Spring, 23/4 Thlr.; Gebhardt, 21/12 Thlr.).

So lange die Jugend nicht die genannten Erzählungsstoffe kennen gelernt hat, so lange sollte man sie mit allen künstlich gemachten und ersonnenen Kindergeschichten moderner Jugendschriftsteller verschonen. Wir sind durchaus nicht gewillt, das Kind mit dem Bade auszuschütten und alle diese erfundenen Jugenderzählungen in Bausch und Bogen zu verdammen. Es giebt schon mancherlei brauchbare darunter, um deren willen man von den oben aufgestellten Principien einmal abgeht und einen Pflock zurücksteckt; aber verhältnißmäßig ist ihre Anzahl noch immer sehr beschränkt, und daher muß man im Großen und Ganzen zur Vorsicht rathen.

Der Geschmack an der echten und wahren Poesie wird, wenn man die Kinder mit schlechten Fabrikaten füttert, unglaublich rasch ruinirt. Die naturgemäße und unausbleibliche Fortsetzung dieser schlechten Jugenderzählungen bildet dann, wenn die Kinder herangewachsen sind, die schlechte, seichte und künstlich aufregende Romanliteratur; die Fortsetzung der guten dagegen bilden ganz von selbst die Werke unserer classischen Dichter. Leider ist es eine Thatsache, daß die Popularität unserer classischen Dichter durchaus nicht mit der Wohlfeilheit ihrer Schriften gewachsen ist. Seitdem Lessing, Goethe, Schiller für wenige Groschen zu haben sind, seitdem werden sie zwar mehr gekauft, aber ganz entschieden weniger gelesen, als früher.

So viel von der Poesie. Das nächste Mal von der Wissenschaft und der bildenden Kunst und – noch von etwas ganz Anderem.




Blätter und Blüthen.


Lumpentuch. Bis vor Kurzem pflegten, nach dem Gesetze, dem alles Endliche unterworfen ist, unsere Kleider zu Lumpen zu werden, jetzt werden im Gegentheile, und zwar im buchstäblichen Sinne des Wortes, unsere Lumpen zu Kleidern. Der Gebrauch ist von England aus auch zu uns, in unsere Wollindustriegebiete, nach den Rheingegenden, nach der Niederlausitz, nach Mähren und andern Gebieten verpflanzt worden, indeß noch immer wesentlich heimisch in England. Ein großer Theil jener mannigfaltigen, zwar meist nicht sehr geschmackvollen, doch praktischen Zeuge, aus denen unsere gegenwärtig so beliebten und verbreiteten sogenannten Touristenanzüge hergestellt werden, jenes modische Grau in Grau mit allerhand unbestimmten Schattirungen in’s Blaue, Gelbe, Braune, Rothe, Grüne, welches die derzeitige männliche Menschheit wie permanente Wehklagende in Sack und Asche erscheinen läßt, besteht in allem Ernste aus den Lumpen abgetragener Röcke und Hosen, Westen und Halstücher und wird mit dem allgemein angenommenen Ausdrucke Shoddy belegt. Unter dem Worte Shoddy aber versteht der Engländer etwas Unechtes oder Nachgemachtes; so bezeichnet er unter andern mit Shoddy-Aristokratie jene nordamerikanischen Parvenus, die, im Handel mit Petroleum, mit Alteisen, Knochen und dergleichen reich geworden, in New-York, in Baltimore, in Philadelphia und andern großen Städten der Vereinigten Staaten das Leben der vornehmen Welt nachäffen, den Luxus von continentalen Feudalherren zu überbieten suchen, in Manieren und Wissen, in Denk- und Sinnesweise jedoch immer nur das gebildete Hausknechtsthum repräsentiren, wie sich der Berliner treffend ausdrückt. Shoddywolle nun ist einfach schon gebrauchte Wolle; fügt man ihr eine angemessene Portion neuer Wolle hinzu, so können aus dem Gemisch ganz dauerhafte Kleidungsstücke fabricirt werden, die manchen derben Puff vertragen, ohne ihren etwas unappetitlichen Ursprung allzu deutlich zu offenbaren.

Schon zu Anfange dieses Jahrhunderts richtete sich die Aufmerksamkeit der Yorkshirer Tuchfabrikanten in Batley, Bradford, Leeds etc. auf den Gegenstand. Wie allerwärts, so gingen auch in England alte Lumpen, alte Teppiche und Strümpfe ohne Weiteres in die Müllgrube oder in den Müllkasten, bis einige kluge Industrielle auf den Gedanken kamen, daß den Fasern der dergestalt hinweggeworfenen Kleidertrümmer noch etwas von ihrer einstigen Stärke und der eigenthümlichen Filzkraft, welche dem Wollgewebe seine Festigkeit verleiht, innewohnen möchte. Allein wie sollte man diese noch brauchbare Wolle aus den ekelhaften, schmutzigen, fettigen Fragmenten herausziehen, wie Faser von Faser sondern? Man construirte


Hierzu der „Weihnachtsanzeiger“, Extrablatt der „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Co.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_795.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)