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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 49.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„Und habe ich nun nicht Recht, daß ein Mann und auch der feinfühlendste, beste uns nicht verstehen kann?“ erwiderte Cäcilie, sich zu Gotthold beugend und ihm das Haar aus der heißen Stirn streichend. Für einen Moment spielte um ihre feinen Lippen, in ihren dunklen Augen das holdselige Lächeln, von dem Gotthold manchmal träumte, um dann den ganzen Tag, wie von einem Zauber umfangen, weiter zu träumen. Aber nur für einen Moment; dann schwand es und der schwermüthige Ernst von vorhin blickte wieder aus jedem Zuge des schönen Gesichtes und klang wieder aus dem Ton ihrer Stimme.

„Wahre Liebe! Darf eine Frau, die das erlebt, was ich erlebt habe, auch nur die Worte auf ihre Lippen nehmen? Wahre Liebe! Hättest Du es so genannt, wenn ich –“

Sie brach plötzlich ab, stand auf, trat an das Fenster, kam wieder zurück und sagte, vor Gotthold stehen bleibend und die Arme über dem Busen verschränkend: „Wenn ich seiner Habgier noch weiteren Vorschub geleistet, wenn ich mich und mein Kind weiter hätte verkaufen lassen, wenn Du Dein ganzes Vermögen bei Heller und Pfennig hättest hingeben müssen, um uns frei zu kaufen –“

„Das konntest Du und hast es nicht gethan!“ rief Gotthold in schmerzlichster Erregung.

„Ich konnte es und habe es nicht gethan,“ erwiderte Cäcilie; „aber wahrlich nicht, als hätte ich nur für einen Moment gezweifelt, daß Du ohne Zaudern Alles, Alles hergeben würdest; – ein solcher Zweifel ist einer Frau, die sich geliebt weiß, undenkbar, sie würde ja in gleichem Falle für den Geliebten betteln gehen; aber – es ist vergeblich, Gotthold! ich finde die Worte nimmermehr. Ach, des Elendes, das selbst der Wohlthat, sich aussprechen zu dürfen, entbehren, das sich in stummer Qual verzehren muß!“

Sie irrte durch das Gemach, die Hände ringend; Gotthold’s düsterer Blick folgte ihr, wie sie so vor ihm auf- und niederschritt, und ein Gefühl der Bitterkeit stieg in seinem Herzen auf. Es war eine Möglichkeit gewesen, und sie hatte sie nicht ergriffen, und nun war es zu spät!

Er sagte es ihr, und warum es nun zu spät sei, und wie der kleine Rest, der ihm noch von seinem Vermögen blieb, auch wenn er die Ansprüche, die bereits Andere daran hätten, durch den Ertrag seiner Arbeit befriedigen könne, für die Habgier jenes Mannes ein Nichts sei, das er, böte man es ihm, dem Bieter hohnlachend vor die Füße schleudern würde.

Cäcilie hatte, mitten in dem Zimmer stehend, tiefathmend zugehört. „Armer Gotthold!“ sagte sie. „aber für mich – es ist besser so – auch nicht einmal die Versuchung kann jetzt an mich herantreten! und es ist entschieden! Ja, Gotthold, es ist entschieden; es war auch bei ihm vielleicht nur ein Moment der Geldgier, den der tödtliche Haß, mit dem er Dich haßte, längst verschlungen hat. Er läßt mich nicht los; den Tod habe ich nicht gewählt, nicht wählen wollen, so lange nicht die letzte Möglichkeit der Rettung erschöpft war, die Flucht. Laß mich fliehen, Gotthold, bevor auch das zu spät ist; halte mich nicht! Du willst mich retten und treibst mich nur dem Tode in die Arme.“

„Ich halte Dich und will Dich retten, und Dich aus des Todes Armen reißen,“ rief Gotthold, indem er Cäciliens beide Hände ergriff, „Dich und Dein Kind, das Du tödten würdest, wolltest Du es, krank, fiebernd, den Gefahren einer Reise aussetzen, die auch ohne das eine Unmöglichkeit wäre, und eine nutzlose Grausamkeit, denn er würde Dich auch dort und überall zu finden wissen – wenn er will. Dort so gut wie hier, und so darfst Du auch hier nicht bleiben. Du kannst nirgend bleiben, als in meinem Schutz; ich wiederhole es: ich werde Dich schützen. Cäcilie, hast Du denn so gar keinen Glauben an mich, meinen Muth, meine Kraft, meine Einsicht? Und kann ich Dir auch nicht Alles sagen, wie ich Dich zu retten gedenke, retten werde; muß ich Dich bitten, mich schweigend gewähren zu lassen: ist uns Männern denn nicht recht, was euch Frauen billig ist? Giebt es nicht auch für uns Fälle, wo wir handeln, wie es uns die Pflicht und die Ehre gebieten, und wo wir uns doch nur einem Manne anvertrauen können? Und, Cäcilie, wenn ich Dir sage, daß ich mich einem Manne anvertraut habe, zu dem Du von Kindesbeinen an mit tiefer Ehrfurcht hinaufgeschaut hast, ohne zu ahnen, wie Du ihm auch sonst noch die frei gezollte Ehrfurcht schuldig warst, – und dieser Mann meinen Plan, meinen Entschluß billigt und selbst thun wird, was er kann, daß der Plan nicht Plan bleibt, daß der Entschluß zur Ausführung gelangt; – und dieser Mann Dich das mit eigenem Munde versichern wird – Cäcilie, ich hole ihn Dir, den Alten, den Ahnen, und wenn Du vor ihm auf den Knieen liegst und seine Hand auf Deinem Scheitel ruht, und Dir die Vergangenheit, die ehern, unabänderlich scheint wie das Schicksal, wankt und schwankt, so wirst Du vielleicht glauben, daß die Gegenwart nicht unabänderlich ist für den, der lebt und liebt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_797.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)