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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gotthold war davongeeilt; Cäcilie schaute starren Blickes, von seltsamer Ahnung durchschauert, auf die Thür, durch die er verschwunden. Die Thür öffnete sich wieder, die hohe Gestalt, die hereintrat, mußte das Haupt senken. Und so, das Haupt und den Blick zu ihr gesenkt, kam er auf sie zu. Es durchrieselte sie: so hatte ihr Vater ausgesehen, als er eine Stunde vor seinem Tode sie an sein Lager rief; und da hatte der Vater so dem Bilde des Großvaters geglichen, das in der Wohnstube neben der alten Wanduhr hing – ihre Kniee zitterten, bogen sich, als er jetzt die Hand nach ihr ausstreckte.

Gotthold schloß die Thür. Was zwischen den Beiden gesprochen wurde, mußte für das Ohr eines Dritten Geheimniß sein und bleiben.




30.


Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zitterten über die erregten Wasser in purpurnen Lichtern, und Purpurlicht zitterte auf den nickenden Gräsern der weiten Marschen, die sich vom westlichen Strand bis zu den Dünen zogen, und flammte an den weißen Dünen empor und umfloß die Gestalten Gotthold’s und Jochen Prebrow’s, welche eben, vom östlichen schmaleren Ufer heraufsteigend, die höchste Höhe erreicht hatten. Gotthold spähte bereits, die Augen mit der Hand schützend, in das Feuermeer, während Jochen noch immer an dem Teleskop hin- und herschob. Endlich hatte er auf dem glitzernden Messing den feinen Strich gefunden. „Hier!“ sagte er, das Instrument dem Gefährten reichend, und fügte dann, wie entschuldigend, hinzu: „Man kann höllisch weit damit sehen.“

„Du guter Kerl!“ erwiderte Gotthold lächelnd.

Jochen zeigte seine weißen Zähne, und dann wurden Beide plötzlich wieder sehr ernst. Gotthold blickte so eifrig durch das Fernrohr, als suchte er wirklich noch nach dem Boot, das bereits vor vier Stunden mit dem günstigsten Winde abgesegelt und jetzt sicher auf der Höhe von Sundin, wenn nicht schon im Hafen war; und Jochen schaute so düster drein, als ob er heute Nachmittag die runden Wangen seiner Stine, welche die Frau durchaus begleiten wollte, zum letzten Mal gesehen habe.

Aber der brave Mensch dachte gar nicht an sich. Er konnte seine Stine schon ein paar Tage und ein paar Wochen, wenn es sein mußte, entbehren; und es ging ihm ja sonst so gut, daß ihm schon mehr als ein Zweifel gekommen war, ob es ihm nicht zu gut gehe; aber sein armer, armer Herr Gotthold! Ach, du lieber Himmel, wie hatten sie sich angesehen, als sie in das Boot steigen wollte, und sie sich auf der Brücke noch einmal die Hände gaben: mit so großen, starren Augen, in denen die hellen Thränen standen! und dann im Boot war sie gleich in die Kajüte gestürzt, in die Stine die Kleine unterdessen gebracht, und war dann – wie nun der Wind in die Segel faßte und das Boot sich neigte – wieder herausgekommen und hatte dagestanden, auf des alten Herrn Arm gelehnt, und hatte mit dem Tuche gewinkt und immerfort mit den großen starren Augen herübergeblickt, obgleich sie gewiß vor allen Thränen nichts sehen konnte!

„Aber das Boot ist so gut, daß es nicht besser sein kann,“ sagte Jochen; „und was mein Schwiegervater ist, der war glücklich, daß es ’mal wieder was für ihn zu thun gab, und„mein Clas-Bruder ist ein höllisch fixer Kerl und so oft in Sundin gewesen! der kann Ihnen Alles gut besorgen: den Wagen an die Brücke, und wo Wollnow wohnt, hat er gesagt, das weiß er auch, und mit dem alten Herrn soll ’mal Einer anbinden, und der Mensch kann doch nicht mehr thun, als er thun kann, und wenn Einer Alles gethan hat, was menschenmöglich ist, dann hat er Alles gethan.“

Jochen holte tief Athem: es war ihm selbst ganz verwunderlich, wie er heute sprechen konnte – seine Stine hätte es nicht besser gekonnt – und Herr Gotthold nickte und sagte gar nichts – was hätte er auch dagegen sagen sollen? – Jochen fuhr in eindringlicherem Tone fort: „Und deshalb müssen Sie auch nicht so traurig sein, Herr Gotthold; denn es ist noch nicht aller Tage Abend und Unverhofft kommt oft, und wenn ein Gaul erst das Gebiß zwischen den Zähnen hat, kann man sich die Arme ausreißen, er geht doch durch, und was so ein Pferd kann, kann ein Mensch auch.“

„Es soll an mir nicht fehlen, Jochen,“ erwiderte Gotthold, „und ich bin auch nicht weiter traurig, denn ich weiß, daß ich es durchfechten werde, wenn es auch, so lange wir den Scheel nicht haben, eine schwierige Sache ist. Aber ich denke, wir bekommen den Burschen noch; wenigstens ist er nicht todt und das ist doch die Hauptsache.“

Jochen Prebrow schüttelte den dicken Kopf. „Eine verdammte Geschichte ist und bleibt es, Herr Gotthold,“ sagte er. „Der alte Schäfer Arent in Goritz will ihn noch vor acht Tagen gesehen haben; – na, kennen kann er ihn ja, denn der Alte ist so lange in Dahlitz gewesen, bis ihn der Hinrich Scheel weggebissen hat, der ja keinem Menschen nichts Gutes gönnt; aber bei Nacht sind alle Katzen grau, und wenn auch – hier herum giebt es gar viele Gelegenheit, in See und über die See zu kommen, nach Schweden oder Mecklenburg und sonst. Deshalb ist es ja gar wohl möglich, daß er sich hierher gewandt hat; aber, daß er noch hier sein sollte, – nein, das glaub’ ich nicht.“

Die Purpurgluthen, die den westlichen Horizont umflammten, waren erloschen, und als sie sich, von dem Kamm der Düne herabsteigend, nach Osten wandten, lag das hier ganz nahe herantretende Meer bis in die weiteste Ferne in schwärzlicher Bläue da, gegen welche der weiße Sand des Ufersaumes seltsam scharf abstach. Nach Norden liefen die Dünenketten, auf deren höchster Höhe sie sich noch befanden, in phantastisch wirrem Durcheinander unabsehbar in die Dämmerung hinaus, hier von Strandhafer und Ginster überwuchert, dort in öder Kahlheit, gerundet, langgestreckt, abgeplattet, in scharfen überhangenden Rändern, einem vom Sturm zerwühlten Meere zu vergleichen, das plötzlich zu Sand erstarrt wäre. Da, wo das Westufer am weitesten vorsprang – Wiessower Ort nannten sie die kurze Landzunge – ragte, dem Auge eben noch sichtbar, ein Dach aus den Dünen hervor, und Jochen Prebrow deutete mit dem Teleskop in diese Richtung.

„Sehen Sie das Haus?“

„Ein Stück davon.“

„Das ist Rahnkes; ich möchte heute nicht in ihrer Haut stecken.“

„Was ist’s damit?“ fragte Gotthold.

„Auch so eine von den guten Gelegenheiten,“ fuhr Jochen fort, unwillkürlich seine Stimme senkend, trotzdem außer den Möven, die unten auf der Brandung flatterten, so weit das Auge reichte, kein lebendes Wesen zu sehen war. „Eigentlich sind sie Fischer, und in der Schwedenzeit hatten sie auch noch Schankgerechtigkeit und sagen, sie hätten sie noch, denn, was unsere Regierung ist, hätte sie ablösen müssen, und das sei nie geschehen. Aber das ist wohl nur so ein Gerede, um einen Grund zu haben, weshalb alle Augenblicke Boote anlaufen von Leuten, die sich auch Fischer nennen, wie die Rahnkes, und ebenso wenig Fischer sind. Es sollen manchmal ein halbes Dutzend auf einmal da sein, sagen die Steuerbeamten, und wenn sie kommen – zu Lande oder zu Wasser –, ist Alles weg, eben ausgelaufen und in die See hinein, hast du nicht gesehen. Sie haben schon Wache gehalten hier in den Dünen, und auf der Höhe gekreuzt Tage lang; aber dann ist nie ein Boot gekommen, außer ein ganz unschuldiges Fischerboot, und die Rahnkes haben dagestanden und gelacht, wenn die Steuerbeamten mit langen Nasen wieder abgezogen sind. Heute Abend sollen sie’s aber ausbaden.“

„Wie so, heute Abend?“

„Ich soll es eigentlich nicht sagen, aber mit Ihnen ist das ja etwas Anderes, und da sind sie ja auch schon. Sehen Sie die drei Segel, die sich da nach Norden herauf kreuzen? Es sind Useliner Fischerboote, und es ist die richtige Zeit und der richtige Cours; aber es sind man keine Fischer drin, sondern Steuerbeamte, die Fischerjacken anhaben und Südwester auf, und wenn sie nahe genug sind, werden sie umlegen und gerade auf den Wiessower Ort zu halten; und im Augenblick, wo sie umlegen, kommen sie Marsch! Marsch! von der Landseite her – ein ganzes Dutzend von der Steuer und Gensd’armen. Ich habe es Alles von dem Herrn Inspector aus Sundin, der schon seit zwei Tagen bei uns in Wiessow ist, und ich bin ein alter Bekannter von ihm, weil ich ihn früher oft gefahren habe, und da hat er es mir gesagt. Sehen Sie, Herr Gotthold, sehen Sie! da geht es los!“

Jochen deutete mit einem bei ihm höchst ungewöhnlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_798.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)