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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 50.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„Das dürfte Euch mindestens ebenso theuer zu stehen kommen, wie ihm,“ erwiderte Gotthold, „oder glaubt Ihr, die Gerichte werden Euch frei lassen, weil Ihr Alles nur für Euren Herrn gethan habt?“

„Die Gerichte, Herr! Sie wollen mich doch nicht vor’s Gericht bringen?“ rief Hinrich.

„Und wenn ich es thäte, könntet Ihr mir’s verdenken?“

Hinrich war stehen geblieben; aber es gab keine Möglichkeit des Entkommens. Jochen Prebrow’s schwere Hand lag auf seiner Schulter; der Andere hatte vorhin schon die Pistole gespannt, und der lange Lauf derselben blinkte jetzt in dem Licht der ersten Feuerbake, welcher sie sich bereits bis auf eine kurze Entfernung genähert hatten. Ein Ruf mußte die Wächter herbeiziehen, wenn er es auf’s Aeußerste ankommen lassen wollte.

„Ich bin in Ihrer Gewalt, Herr,“ sagte er, „und ich bin es auch nicht. Sie und kein Mensch sollen mich zwingen, vor Gericht zu wiederholen, was ich Ihnen eben erzählt. Ich kann Ihnen ja ein Märchen aufgebunden haben.“

„Die Ausrede würde Euch nicht viel helfen, Hinrich; wir haben die Beweise, daß das Geld nicht verloren, sondern geraubt und in Eures Herrn Hände gekommen ist.“

Und er gab mit wenigen Worten den Inhalt von Wollnow’s Brief, fügte auch hinzu, was er auch jetzt vom alten Boslaf erfahren, daß sie bei dem Suchen auf dem Moor – zur größten Verwunderung der Männer – die Spuren eines flüchtigen Pferdes hunderte von Schritten verfolgt hätten; und wie Hinrich’s Leugnen, gegenüber diesen und den andern bereits feststehenden Thatsachen, wenig verfangen würde.

Hinrich hatte aufmerksam zugehört.

„Ich denke immer noch, Ihr laßt das Gericht bei Seite, Herr,“ sagte er, „es ist eine böse Geschichte, und je weniger davon gesprochen wird, desto besser ist es für – für Alle, die es angeht; aber, wenn es sein muß, nun, Herr, wir armen Menschen haben’s ja nie viel besser als die Hunde, und diese letzten Tage hab’ ich’s noch schlechter gehabt – mir ist es an ein paar Jahren Zuchthaus oder so nichts gelegen, wenn er nur neben mir zu sitzen kommt.“

Es war zu dunkel, als daß Gotthold das grausame Lächeln hätte sehen können, welches bei diesen letzten Worten um die breiten Lippen des Mannes spielte.

„Ich denke, ich kann Euch das Zuchthaus ersparen,“ erwiderte er, „wenn Ihr mir versprechen wollt, keinen Fluchtversuch zu machen und Euch allen meinen Befehlen unbedingt zu fügen. Ich werde Euch nichts Unbilliges ansinnen.“

„Ich weiß es, Herr,“ sagte Hinrich, „und da habt Ihr meine Hand.“

Es war eine eisenharte Hand, die sich in Gotthold’s Hand legte; aber er glaubte an dem nervigen Druck zu fühlen, daß der Mann halten werde, was er versprach.

„So kommt denn,“ sagte er, „und Du, Jochen, führe uns einen Weg, auf dem wir, womöglich von Niemand gesehen, in Dein Haus gelangen.“




32.


„Mein armer lieber Freund! daß uns auch dies noch treffen mußte; es ist wirklich hart. Aber nur nicht verzagen! Gretchen wird wieder gesund und Alles gut werden.“

So sprach Ottilie Wollnow in dem Vorgemach ihrer Sundiner Wohnung leise zu Gotthold, mit dem sie so eben aus dem Zimmer getreten war, in welchem Cäcilie und der alte Boslaf den Fieberschlaf Gretchens bewachten.

„Alles!“ wiederholte Ottilie, als sie bemerkte, daß die tiefe Trauer auf Gotthold’s ausdrucksvollem Gesicht sich nicht erhellen wollte.

„Sie glauben ja selbst nicht daran,“ erwiderte er, Ottiliens Hände dankbar drückend; „wenn das Kind stirbt, so wird Cäcilie, fürchte ich, es nie verwinden, wie sehr, wie ganz auch die Schuld den Elenden trifft; jedenfalls wird es eine jener trauer- und qualvollen Erinnerungen mehr sein, die sie, nach ihrer eigenen Aussage Ihnen gegenüber, auf immer von mir trennen.“

Herr Wollnow trat aus einem Seitengemache, zum Fortgehen bereit, Ottilie begleitete die beiden Freunde bis auf den Hausflur. „Ich wollte, ich könnte mit Euch gehen,“ sagte sie.

„Und das wäre so übel nicht,“ sagte Wollnow, als die beiden Freunde durch die abendlichen Gassen, in welchen heute ein ungewöhnlich reges Leben herrschte, dahinschritten; „haben die Frauen doch, was in solchen Lagen über Berge hilft: die souveräne Leidenschaft, die wir Männer uns glücklich wegraisonnirt haben, ohne uns dafür die souveräne Ruhe zu gewinnen, mit welcher heute Morgen der wunderbare alte Mann dem Brandow

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_815.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)