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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Eingetretenen, auch Brandow nicht, der ganz im Hintergrunde sich eben von der Tafel erhoben zu haben schien und jetzt inmitten einer Gruppe stand, aus der man von allen Seiten auf ihn einsprach, während er, sein Taschenbuch in die Höhe haltend, rief: „Einer nach dem Andern, meine Herren! Einer nach dem Andern! da Sie durchaus die Güte haben wollen, mich zu einem Krösus zu machen. Trutwetter, hundertfünfzig! bitte, setzen Sie Ihren Namen darunter. Hierher, wenn’s beliebt; den Platz habe ich für Kummerrow’s zweihundert reservirt. Doch Pistolen, Baron? nein? o weh! omen in nomine! wer hätte das geglaubt! Weiter! Plüggen? auch Du, Brutus? Was giebt’s? Ein Herr – schon wieder? ich bin sehr beschäftigt! sage dem Herrn –“

Brandow brach jäh ab; er hatte jetzt erst Gotthold bemerkt, der bis jetzt hinter ihm gestanden.

„Ich habe Zeit zu warten, bis Du hier fertig bist.“

„Es dürfte Dir zu lange dauern.“

„Ich habe Zeit.“

Gotthold trat mit einer höflich kühlen Verbeugung aus dem Kreise heraus; Brandow war sehr blaß geworden; er starrte mit düstrer Miene in sein Wettbuch, und die Bleifeder in seiner Hand zitterte. Was hatte die Hartnäckigkeit, mit welcher der Mensch ihn verfolgte, zu bedeuten? Sollte er ihn vor der ganzen Gesellschaft derb abfertigen? aber ohne eine Scene war das unmöglich, und gerade heute Abend konnte eine Scene gefährlich werden.

„Nun, Brandow! ich habe keine Zeit zu warten!“ schrie eine Stimme.

„Rechnen Sie schon zusammen?“ eine zweite.

„Ich muß wirklich erst einmal zusammenrechnen,“ sagte Brandow, das Buch schließend; „Geduld, Ihr Herren, ein paar Minuten nur; es scheint, daß man mir eine Mittheilung von einiger Wichtigkeit zu machen hat. Ich bin im Augenblick wieder hier. Darf ich bitten?“

„Die Mittheilung, die ich zu machen habe, ist in der That von einiger Wichtigkeit, und dürfte sich ohne Zeugen am besten anhören. Es wäre also nur in Deinem Interesse, wenn ich Dich ersuche, dafür Sorge zu tragen, daß wir ungestört bleiben.“

„Hast Du Dir auch überlegt, daß ich jetzt mehr von Dir zu fordern habe, als Du von mir?“

„Ich glaube Alles überlegt zu haben; und das ist wohl mehr, als Du von Dir sagen kannst.“

Sie standen etwas von den Andern entfernt, leise sprechend, und blickten einander in die Augen.

„So komm’!“ sagte Brandow.

„Wer war denn das?“ fragte einer von den Herren, deren eigenhändige Namenszüge Brandow’s Wettbuch zierten.

„Famoser Kerl!“ schrie Gustav von Plüggen. „Alter Schulcamerad von mir; berühmter Maler; gestern beim Präsidenten den ganzen Abend von ihm gesprochen! Protégé vom Fürsten Prora! famoser Kerl! werde mich auch von ihm malen lassen. In England läßt sich jeder Mann von Stande mit allen Lieblingspferden und ‑Hunden und der ganzen übrigen Familie malen. In England gewesen, Kummerrow? famoses Land! Weiber, Pferde, Schafe – Alles famos!“




33.


Sie waren schweigend über den Flur gegangen und schweigend in eines der Zimmer getreten, welche im Clubhause für Privatzwecke der Mitglieder immer reservirt waren und das der Diener auf einen Wink Brandow’s den beiden Herren geöffnet hatte. Eine große Hängelampe, die über einem mit grünem Sammet bedeckten runden Tische hing, erhellte schicklich das Gemach, ein paar Sammet-Fauteuils waren an den Tisch gerückt.

„Ich nehme an, daß wir hier vollkommen ungestört sind,“ sagte Gotthold.

„Und ich, daß die Komödie nicht lange dauert; Du sahst, ich war sehr beschäftigt.“

Brandow hatte, wie mit ungeduldiger Hand, einen der Stühle vom Tische gerückt und sich hineingeworfen; aber es war kein Zufall, daß sein Gesicht dabei in den vollen Schatten gekommen war, während das Licht hell in das Gesicht Gotthold’s fiel.

„Sehr beschäftigt,“ wiederholte Brandow, mit den Fingern auf die Lehne des Stuhles klopfend, „zu beschäftigt, um die Rechenschaft, die ich von Dir – von Euch ist wohl besser gesagt – zu fordern habe, nicht bis morgen verschieben zu müssen. Und wenn Du etwa die – die Stirn haben solltest, mich einschüchtern zu wollen, indem Du das Prävenire spielst, so sage ich Dir: hüte Dich! hütet Euch! Ihr kennt mich doch nur erst halb; meine Geduld ist nicht unerschöpflich, und, wie gern ich auch einen Scandal vermeiden würde und während dieser Tage, offen gestanden, gern vermieden hätte – wenn Ihr mich drängt und es sein muß –, ich bin bereit – jeden Augenblick bereit!“

Brandow hatte in lautem, drohendem Tone gesprochen; aber seine Absicht war offenbar verfehlt. Gotthold’s Auge ruhte so groß auf ihm – mit einem Blicke der Verachtung, wie es ihm vorkam –, er konnte den Blick nicht ertragen und brach plötzlich, im Innern erschrocken, ab, als Gotthold jetzt einen Brief, den er schon vorhin aus der Tasche genommen, ruhig auseinanderschlug.

„Willst Du, bevor Du weiter sprichst, diesen Brief lesen?“

Brandow hatte nicht den Muth, Nein zu sagen.

„Von dem edlen Wollnow, wie mir scheint, an mich über Dich?“

„Von Wollnow, ja, aber an mich und über Dich.“

„Ueber mich, das ist drollig, und noch dazu passabel lang.“

Er hatte ein Gähnen zu fingiren gesucht, während er die Blätter durch die Finger laufen ließ; aber er hatte kaum einen Blick hineingeworfen und die ersten Zeilen gelesen, als er, einem Rasenden gleich, in die Höhe fuhr und, den Brief auf den Tisch schleudernd, rief:

„Das ist infam! Das fordert Blut! Ich will nichts weiter sehen, ich will nichts weiter hören! Ich will nicht das geduldige Opfer einer gemeinen Intrigue sein. Wir werden uns sprechen, mein Herr, wir werden uns sprechen.“

Er irrte rathlos durch das Zimmer, Gotthold war sitzen geblieben.

„Du hast eine Minute Zeit, Dich zu entscheiden, ob Du den Brief lesen willst, oder ob ich ihn dem Grafen Zarrentin bringen soll, ehe ich weitere Schritte thue.“

Brandow blieb stehen. „Also wirklich ein Scandal! Ich dachte mir’s ja. Nun, es verlohnt sich vielleicht der Mühe, zu sehen, wie Ihr es angefangen!“

Er hatte sich wieder in seinen Stuhl geworfen, den Brief ergriffen und weiter zu lesen begonnen mit der Miene eines Mannes, der einen lästigen Bittsteller möglichst schnell abzufertigen wünscht. Ein höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich habe mich geirrt,“ murmelte er, als ob er mit sich selbst spräche, „das ist einfach lächerlich, complet lächerlich.“

Aber seine Lippen waren blaß; das Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen, und seine Hände zitterten stärker und stärker. Er hatte im Anfange sehr schnell gelesen; aber je weiter er kam, desto länger verweilte er bei jedem einzelnen Satze, ja Worte. Manches schien er zwei- und dreimal zu wägen und zu prüfen; und er war offenbar mit der Lectüre längst zu Ende, als er noch immer zu lesen schien. Endlich hatte sich aus dem fürchterlichen Aufruhr seiner Seele ein Entschluß losgerungen:

„Du wolltest diesen – Brief unserm Vorsitzenden geben,“ sagte er, die Blätter sorgsam zusammenfaltend; „ich habe nichts dagegen; hier! aber unter einer Bedingung.“

Er zog die Hand, mit welcher er Gotthold den Brief hinhielt, wieder zurück.

„Unter der Bedingung, daß ich vorher eine Abschrift von diesem kostbaren Documente nehmen darf, um eine Unterlage für die Verleumdungsklage zu haben, die ich gegen den edlen Schreiber und den zartsinnigen Empfänger dieses Machwerkes anstrengen werde. Einem so überaus billigen Manne, wie Dir, der seine Freunde[WS 1] auf so lächerliche Indicien hin der schwersten Verbrechen zu bezichtigen sich nicht entblödet, wird das ja wohl recht sein.“

„Vollkommen recht,“ erwiderte Gotthold; „Du kannst auch das Original behalten. Der Brief sollte Dich nur mit gewissen Dingen bekannt machen, die mündlich zu referiren mich anwiderte; und so hat er seinen Zweck gethan.“

„Und diese interessante Unterredung[WS 2] wäre zu Ende,“ sagte Brandow, sich erhebend; „ich meine für heute; morgen werden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fneunde
  2. Vorlage: Unterrenung
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_817.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)