Seite:Die Gartenlaube (1872) 828.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf drei Wochen lang liefern. Die Wachtfeuer in den folgenden Octobernächten verkündeten ihre Ankunft. Es kamen die Têten und Avantgarden der Armee, die den Ruf ihrer Unwiderstehlichkeit wie einen Schatten des Schreckens vor sich herwarf. Endlich kam er selbst an der Spitze seiner Garden, der Gewaltige, der Alles, was sich ihm widersetzen wollte, mit eherner Faust niederschmetterte, der Mann mit dem Bronzeantlitze und dem Schlachtengenie, Kaiser Napoleon der Erste, der bewundernd zu dem Genius eines Friedrich des Großen aufsah und die Monarchie, die dieser gegründet, vor wenig Tagen zertrümmert hatte.

Es war am 24. October, Morgens ein halb Elf; der Kaiser ritt durch die Colonnaden in den Lustgarten ein, an den der Drillplatz stößt, auf welchem der Vater Friedrich’s des Großen sein Riesenregiment exercirt hatte und den man damals mit dem vollsten Recht die hohe Schule des preußischen Exercirreglements nannte, und noch heute nennt. Er ritt die Rampe, die zum Eingange des Schlosses führt, hinauf; dort erwartete ihn sein Palastgouverneur Duroc, der ihn in das Schloß einführte, in welchem von Joachim Friedrich an alle Kurfürsten und Könige gewohnt hatten, in welchem der große Kurfürst und Friedrich Wilhelm der Erste ihren letzten Seufzer ausgehaucht hatten.

Nachdem der Kaiser den Marmorsaal und die Prunkgemächer des Schlosses in Augenschein genommen, ließ er sich vom Castellan und dem fertig französisch sprechenden Kammerdiener Tamanti, der als Dolmetscher zwischen ihm und dem Castellan diente, in die Gemächer Friedrich’s des Großen führen.

Der Castellan öffnete eine Thür und führte den Kaiser durch mehrere Vorgemächer in den Marschallstafelsaal, und in das Speisezimmer Friedrich’s des Großen; von da traten sie in ein in den Ecken abgerundetes kostbar eingerichtetes Zimmer; in die Wände waren Oelbilder von Pesne und Lancret eingelassen, eines stellte die tanzende Cochois mit ihren Schwestern dar, dieselbe Cochois, die später den Marquis d’Argens heirathete. Die Möbel waren von grünlackirtem, reich vergoldetem Holz mit rosa Atlas bezogen. Am Fenster stand ein Musikpult von Schildpatt mit vergoldeten Bronzen, an der Wand ein kleiner Flügel.

„Das ist das Musikzimmer Friedrich’s des Großen,“ berichtete der Kammerdiener, „und nun werde ich Ew. Majestät in ein kleines Cederncabinet führen, durch welches der große König jeden Morgen, aus seiner Garderobe kommend, in sein Schreibzimmer ging; Ew. Majestät betreten jetzt dasselbe.“ Der Kaiser war durch das besagte kleine Gemach gegangen und sah sich in einem Zimmer, das ganz in Geschmack der Rococozeit möblirt war. Die Wände waren mit weißem Lack bekleidet, auf dem in erhabener Arbeit farbige Blumen- und Fruchtgehänge angebracht waren. Die Möbel von vergoldetem Holze hatten Bezüge von blauem Sammet; der Schreibtisch trug reiche Schildpatt-Zierrathe; in der Ecke befand sich ein kupferner vergoldeter Drachenkopf, durch dessen weitgeöffneten Rachen nach russischer Weise die erwärmende Luft in das Zimmer strömte. Tamanti machte den Kaiser auf die Spiegel aufmerksam, die überall im Zimmer angebracht waren. Vermöge derselben konnte der König Alles sehen, was auf der Straße und der Brücke vorging, auch die Leute, welche an den gegenüber an der Straße gepflanzten Linden sich aufstellten und ihre Bittschriften hoch emporhoben, um sie dann den Dienern zu übergeben, die der König auf die Straße hinabsandte.

Die meiste Aufmerksamkeit schenkte der Kaiser einem Appartement, welches durch eine Spiegelglasthür mit dem Schreibzimmer in Verbindung stand, einem großen Gemach, dessen Wände mit blauseidenen, silbern geblümten Tapeten bekleidet waren. In gleichem Geschmack waren das in dem Gemach befindliche Sopha und die Stühle gehalten. In der Mitte standen einige große Tische mit Platten von Amethyst und ein anderer, dessen Platte mit grünem Sammet überzogen war. An diesen großen Raum stieß ein kleinerer, alkovenartiger; er war von jenem durch eine Balustrade von massivem gegossenen Silber getrennt, auf der massivsilberne Kinderfiguren angebracht waren. In diesem Alkoven standen blaue, mit Silber verzierte Schränke, die eine vollständige Bibliothek enthielten.

„Das ist das Schlafzimmer des großen Königs,“ bemerkte Tamanti.

„Wo ist die Stelle, wo der König geschlafen hat?“ fragte der Kaiser.

Der Castellan bezeichnete auf die an ihn gerichtete deutsche Frage Tamanti’s eine Stelle an der Wand, wo das Bett gestanden hatte.

„Warum ist aber das Bett nicht mehr hier? Wo ist es hingekommen?“

Tamanti erwiderte, daß König Friedrich Wilhelm der Zweite es seinem Geheim-Kämmerer Rietz geschenkt habe; im Uebrigen seien alle Möbel wie zur Zeit des großen Monarchen noch vorhanden. An dem mit grünem Sammet bezogenen Tische habe der König oft bis spät Abends noch geschrieben.

Durch das silberne Brustgeländer führte eine Thür in den Alkoven und von da in ein mit Ponceausammet decorirtes Gemach mit etwas üppigen Gemälden von Vanloo und Lesueur; in der Mitte derselben stand eine runde Tafel, die sogenannte Confidenztafel, an welcher der König unbelästigt von jeder Dienerschaft speisen konnte. Die Tafel ging in die Tiefe und wurde durch Gegengewichte aus derselben wieder heraufgehoben. Hier verweilte der Kaiser jedoch nur sehr kurze Zeit. Sein Interesse wandte sich wieder dem Schlafzimmer zu.

Auf einem Tische bemerkte er einen Ringkragen, eine Schärpe, ein orange Ordensband mit einem blau emaillirten Kreuze und schwarzen Adlern zwischen dessen Balken, endlich einen Degen.

„Wem gehörten diese Gegenstände?“ richtete er von Neuem die Frage an den Kammerdiener, den wohl ein leiser Schrecken befallen hatte, als er sah, daß dem Kaiser diese Gegenstände in die Augen gefallen waren.

„Es sind Reliquien des großen Königs, sein Ringkragen, seine Schärpe, der Schwarze Adlerorden und der Degen, den er getragen.“

„Aber ich begreife nicht,“ bemerkte der Kaiser, „daß dieser Degen so klein ist.“

Vielleicht mochte schon in seiner Seele der Argwohn aufsteigen, daß man den echten weggenommen und einen falschen hierher gelegt habe, was leider nicht geschehen war. Einer aus der Umgebung bemerkte, daß er denselben Degen schon früher an derselben Stelle gesehen habe. Napoleon sah sich dann noch mehrere Sachen aus der Zeit und aus dem Gebrauche des großen Königs an und sagte beim Verlassen des Zimmers, das seine ausschließliche Aufmerksamkeit gefesselt hatte, zu Tamanti:

„Sind nach dem Tode des großen Königs in diesen Räumen Veränderungen vorgenommen worden?“

Als der Angeredete diese Frage verneinte, fügte er hinzu:

„Das ist auch recht. Diese Räume müssen zum Angedenken des großen Mannes in derselben Gestalt, in welcher er sie bewohnt hat, erhalten bleiben. Man soll die Gemächer sorgfältig verschließen!“

Als der greise Castellan auf Weisung Tamanti’s diesem Befehle nachkam, wurde der Kaiser auf ihn und seine ehrwürdige, vom Alter gebeugte Gestalt aufmerksam.

„Hat dieser Mann noch unter dem großen Könige gedient?“

„Ja, Sire,“ erwiderte der Kammerdiener, „er ist sogar vom hochseligen Könige noch zum Castellan gemacht worden.“

Wie Napoleon von jeder Erinnerung, die sich an Friedrich den Großen darbot, mit bewundernder Ehrfurcht erfüllt wurde, so stellte er in diesem Gefühle auch den Castellan – Knopf war sein Name – seiner Umgebung mit den Worten vor:

„Dieser Mann hat noch unter dem großen Könige gedient.“

Vor dem Eingange, durch den er in das Schloß getreten war, stieg der Kaiser dann zu Pferde, mit ihm eine zahlreiche aus Generalen und Officieren bestehende Suite. Ein Stallmeister aus dem königlichen Marstalle ritt voran, und dieser hatte den Befehl, den Kaiser nach dem Neuen Palais und von da zurück nach Sanssouci zu führen. Das erstere, am Ende der großen Allee von Sanssouci gelegen, bietet nicht so viele persönliche Erinnerungen an Friedrich den Großen dar, als das die Terrassen krönende kleinere Schloß von Sanssouci. Im Neuen Palais hielt sich der König nur eine kurze Zeit im Sommer auf, so lange er Brunnen trank, oder wenn er fürstliche Gäste hatte. Das neue Palais war sein Repräsentations-, Sanssouci aber sein Wohnhaus, wo er mit Ausnahme der Wintermonate, die er in Potsdam oder in Berlin residirte, die meiste Zeit zubrachte. Hier verweilte Napoleon mit nicht geringerem Interesse als im Stadtschlosse. Er selbst sagte später

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_828.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)