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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

blauen Augen. Nach kurzer Begrüßung und einer Schilderung des Unglücksfalles fuhren wir zum Schooner. Das Resultat der Untersuchung war ein günstiges: wenn kein Sturm ausbräche, würden wir spätestens bei der nächsten Springfluth loskommen, er (der Capitain) wolle uns mit seiner Mannschaft helfen; wir hatten dafür zweitausend Dollars Gold zu zahlen.

Da der beste Weg vom Riff herunter nach der Lagune führte, war es zunächst geboten, unser Fahrzeug umzudrehen, da wir es rückwärts nicht wohl bewegen konnten. Es begann nun eine emsige Thätigkeit: Anker und Kabel wurden ausgebracht, mächtige Flaschenzüge herbeigeschafft und daran verankert, Stützen und Böcke zum Schieben und Heben an der einen Schiffsseite befestigt und endlich der gesammte Apparat bei günstigem Wasserstande in Thätigkeit gesetzt. Leider stieg die Fluth noch nicht hoch genug und wir konnten mit äußerster Anstrengung vorläufig nur sehr geringe Erfolge erzielen. Doch sollte uns bald ausreichende Hülfe werden. Von Westen näherten sich drei Segel, welche das erfahrene Auge des Capitains der „Evelina“ sogleich als Wreckers erkannte, bald tauchte auch im Süden ein viertes auf und am nächsten Morgen fanden sich noch zwei weitere Fahrzeuge ein. Die kleine Flotte ankerte dicht an der Insel; die Führer derselben einigten sich schnell über ihren Antheil am Rettungsgelde und waren nun mit ihrer ganzen zweckentsprechenden Ausrüstung und ungefähr sechszig Leuten bereit, das Werk zu fördern.

Während die Schaar unserer Hülfstruppen ihre umsichtigen Vorbereitungen traf, segelten wir in unserem Boote am Riffe entlang, um uns diesen wunderbaren Korallenbau näher anzusehen. Die Nachkommen der kleinen Baumeister, die vor Jahrtausenden schon ihr Werk begonnen hatten, waren namentlich an der Außenseite des Riffes noch in voller Thätigkeit. Es war ein seltener Genuß, in das krystallklare Wasser wie in einen Zaubergarten hinabzuschauen, während wir langsam dahinglitten: die vieltheiligen Korallenzweige schimmerten in wunderbar duftiger Farbenpracht, Seeanemonen leuchteten wie einzelne Blüthen herauf, große und kleine Fische, mit den lebhaftesten Farben gezeichnet und oft höchst seltsam geformt, schlüpften zwischen dem Gestein hin und her. Seefedern, Sterne, Igel, Walzen von allen Größen und Formen und viele andere unnennbare Gestalten, welche man kaum für Thiere halten konnte, trieben dort ihr Wesen; häßliche nackende Polypen hingen in Spalten und Löchern und ließen ihre langen Fangarme spielen, unzählige Muschelthiere bis zur Größe eines Kopfes klebten am Gestein, aber der schmutzige Ueberzug ihrer Gehäuse ließ die Schönheit derselben, wie wir sie in Sammlungen bewundern, kaum ahnen. Die meisten derselben ließen sich in der Tiefe schwer vom Felsen unterscheiden; nur den wohlgeübten Tauchern, welche wir von den Wreckers requirirten, hatten wir es zu danken, daß wir eine reiche Auswahl prächtiger und tadelloser Muscheln zum Andenken mit uns nehmen konnten.

Bei den umsichtig getroffenen Vorkehrungen und den vielen Kräften, die uns zu Gebote standen, wurde es uns nicht mehr schwer, den Schooner während der nächsten hohen Fluth vorsichtig in die richtige Lage zu bringen und Alles zum Ablauf vorzubereiten. Die Anker und Kabel waren von Neuem ausgelegt worden, und da am folgenden Tage sich auch noch eine frische Ostbrise erhob, rückten wir nun mit jeder Welle erfreulich vorwärts, obgleich das Fahrzeug zuweilen recht unsanft aufsetzte und bedenklich arbeitete. Nach einigen Stunden schon erreichte der Bug das genügend tiefe Wasser der Lagune, und jede herankommende Welle schob den Kiel weiter vom Riff herunter. Kühn geworden, setzten wir endlich das Vordersegel; wuchtig legte sich der Wind gegen die Fläche desselben, uns mit ganzer Kraft helfend, und plötzlich, als wieder eine neue große Welle über das Riff rollte, da dröhnte wieder das dumpfe Rumpeln, das uns vor neun Tagen so ominös in die Ohren geklungen war, von unten herauf, und unter Jubelgeschrei glitt der Schooner wie vom Stapel in’s tiefe Wasser und schaukelte sich bald ruhig vor seinem Anker.

Allerdings war das Gebäude ziemlich gelockert und wir mußten eifrig pumpen, um das eindringende Wasser zu bewältigen, bald aber schlossen sich die Fugen wieder zum größten Theil, und am nächsten Tage konnten wir uns wohlgemuth einschiffen. Die Wreckers brachten uns die noch vorhandene Ladung wieder im Raume unter und schafften uns sogar die in seichtem oder tiefem Wasser verstreut umherliegenden schweren Stücke wieder herbei, so daß wir schließlich fast die Hälfte unseres Cargos noch retteten.

Wir nahmen nun Abschied von unserer Insel. Auf der Höhe des Thurmes befestigten wir in toller Laune ein weithin sichtbares Brett, auf welchem mit Oelfarbe kurz und bündig die Umstände unseres Verweilens verzeichnet waren, und auf die Rückseite dieser Votivtafel schrieben wir, auf Mary’s besonderen Wunsch, mit riesengroßen Buchstaben: „Beware of crabs!“ (Hütet Euch vor Krabben!) Das gutherzige Mädchen hatte nämlich den Gedanken nicht ertragen können, daß die armen Krabben, die uns doch nicht mehr schaden konnten, wie die bekannten beiden Löwen, im Zwinger einander bis auf die erborgten und gestohlenen Muscheln auffressen sollten; sie hatte deshalb ein paar lange Bretter schräg in die Cisterne geschoben, an welchen die Gefangenen schon lustig emporkletterten und bald, wenn sie nämlich Erinnerungsvermögen besaßen, vergeblich nach unserer Fleisch- und Kartoffelschüssel suchen konnten.

Am nächsten Tage segelte unsere kleine Flotte nach der Insel Inagua, wo wir beim Consul im Hafenstädtchen Mathewtown unsere Geschäfte abwickelten und von den Wreckers im besten Einvernehmen schieden. Dann nahmen wir mit Hülfe einiger Handwerker die nothwendigsten Reparaturen vor und lagen endlich nach wenigen Tagen wohlbehalten im kleinen, aber wunderschönen Hafen von Baracoa, unserem Bestimmungsorte.




Der Commerzienrath von Jena.


Charakterbild aus der Zeitepoche des Herzogs Karl August von Weimar.


Als die deutschen Fürsten auf dem Wiener Congresse saßen und gelegentlich die Rede auf die Merkwürdigkeiten ihrer Länder kam, soll Herzog Karl August von Weimar behauptet haben, er habe in seinem Lande nicht blos den gescheidtesten, sondern auch den närrischsten Mann.

Daß er mit dem Ersteren keinen Andern meine, als seinen Geheimrath, Johann Wolfgang von Goethe, wußten Alle gleich zu errathen. Wer aber war dessen närrisches Gegenstück? Bis gen Wien war freilich der Name des Mannes noch nicht gedrungen, aber in des Herzogs eigenem Lande und noch eine gute Strecke darüber hinaus kannte man den Mann, den Karl August meinte, den alten Wilhelmi in Jena, recht wohl, wenn auch nicht nach seiner Person, so doch nach seinen Reden und Werken.

Das Leben dieses Mannes ist, wenigstens in seiner Vaterstadt Jena, fast zur Legende geworden. Und wenn die Legende sich wesentlich auf dem Wege der mündlichen Ueberlieferung bildet, so waren hier die Grundlagen für dieselbe in der That gegeben. Denn die derben Schlag- und Stichwörter, in welchen die Eigenart des Mannes sich darstellte, eignen sich weit mehr zu einer mündlichen Fortpflanzung in geschlossenen Cirkeln als zu einer schriftlichen Wiedergabe. Die letztere würde, wenn sie streng sich an die Wahrheit halten wollte, wesentlich in Gedankenstrichen aufgehen müssen. Indeß ist die Totalerscheinung des Mannes eine höchst charakteristische, das Gepräge der ganzen Zeit wiedergebende. Es ist eins der vielen jetzt fast ausgestorbenen Originale, welche unsere alle scharf individuelle Entwicklung verwischende Zeit zu erzeugen nicht mehr im Stande ist. Rechnet man dazu die eigenthümlichen Beziehungen dieses Originals zu Karl August, welche uns das gleichfalls originelle Wesen dieses bedeutungsvollen, der Geschichte angehörigen Fürsten reflectirt, so erscheint eine kurze Reproduction dieser Erscheinung aus Weimars classischer Zeitepoche nach verschiedenen Richtungen gerechtfertigt. Wer war also Wilhelmi?

Es kann uns diese Frage Niemand kürzer und drastischer beantworten, als Wilhelmi’s Grabstein, der noch wohlerhalten auf dem unteren älteren Theile des Jenaischen Friedhofs steht. Es ist dieses Grabmonument gleichsam eine steinerne Visitenkarte, welche der Todte der lebenden Nachwelt in folgenden Worten vorhält:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_838.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)