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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

welches die Lehren Darwin’s in gewissen Kreisen hervorgerufen haben, wie der geradezu kindischen Furcht vor dem sogenannten „Materialismus“ und seinen Anhängern. Mit Ergötzen habe ich oft schon erfahren müssen, daß anscheinend vernünftige Leute in wahren Feuereifer geriethen, wenn Darwin’s Name genannt wurde, und daß sie mit verschwenderischem Aufwande von Gründen und Scheingründen sich bemühten, jede Gemeinschaft mit dem weltberühmten Forscher und seinen Jüngern auf das Bestimmteste von sich zu weisen, oder daß man bei Erwähnung Moleschott’s, Vogt’s und Büchner’s wenigstens mit Worten ein Kreuz schlug; mit Behagen habe ich die ängstliche Abwehr wahrgenommen, welche meine eigenen Worte hier und da hervorriefen, mit absonderlichem Vergnügen die tadelnden Beurtheilungen meines „Thierlebens“ in pfäffischen Zeitschriften jedes Schlages oder die meist namenlosen Briefe gelesen, in denen ich zur Umkehr, Buße und Besserung ermahnt wurde.

Und dies Alles weshalb? Weil wir „Darwinisten“ und „Materialisten“ gemäß unserer Ueberzeugung uns dahin aussprechen müssen, daß der Mensch nichts weniger als ein Halbgott, sondern eben nur ein Säugethier ist, welches nach dem heutigen Stande der Wissenschaft, nach den eingehendsten und gewissenhaftesten Untersuchungen, größere Verwandtschaft mit den höchststehenden Affen bekundet als diese mit einigen, denen wir die niedrigste Stellung anweisen, daß folglich zwischen Mensch und Affe nicht einmal die Grenze einer Thierordnung, sondern höchstens die einer Thierfamilie aufrecht erhalten werden darf. In solcher Erkenntniß erblickt man eine mindestens ebenso ruchlose Ketzerei wie in der, welche das Unfehlbarkeitsdogma in Frage stellt, und gebehrdet sich, als ob Darwinismus und Materialismus jede sittliche Anschauung vernichten, jedes edlere Streben der Menschheit in den Staub herabziehen müßten. Gründe für derartige Vorurtheile weiß man allerdings nicht vorzubringen, scheut sich jedoch nicht, die überzeugende Kraft und den tiefernsten Gehalt der Darwin’schen Lehren zu verlästern oder durch plumpe Späße in das Lächerliche zu ziehen, auch wenn man vielleicht niemals in der Lage gewesen ist, Menschen und Affen in allen Abstufungen, Arten und Spielarten zu vergleichen.

Solche Vergleichung ergiebt zwar keineswegs die Gewißheit einer unmittelbaren Abstammung des Menschen von einem uns bekannten Affen, wohl aber verleiht sie dem Naturforscher unbestreitbar die Berechtigung, dem Menschen seinen ihm in der Thierreihe gebührende Platz anzuweisen. „Wenn auch“, sagt Victor Carus klar, kurz und bündig, „die geistige Entwickelung des Menschen denselben hoch über alle Affen erhebt, so wäre diese doch nicht möglich ohne eine besondere Organisation. Diese aber weist ihn unwiderleglich in die Nähe der übrigen Primaten oder Affen. Statt sich daher ausschließlich mit der geistigen Fortbildung des Menschen zu beschäftigen, hat die Naturgeschichte schön längst begonnen, bei Beurtheilung der körperlichen Grundlage jener denselben Maßstab anzulegen wie bei Erforschung anderer Wesen der belebten Natur. Die von allen Gegnern Darwin’s absichtlich verzerrte, um nicht zu sagen verfälschte Annahme einer möglichen Abstammung des Menschen von einem affenähnlichen Thiere oder richtiger seiner allmählichen Entwickelung und Fortbildung aus einem affenähnlichen Zustande zu dem, was er gegenwärtig ist, kommt bei Bestimmung seiner Stellung in der Thierwelt erst in zweiter Reihe in Betracht; denn in Bezug auf den Anschluß des Menschen an das Thierreich läßt sich weder irgend eine bestimmte, jetzt lebende Thierform als diejenige bezeichnen, aus welcher der Mensch hervorgegangen ist, noch ist die Frage überhaupt der Entscheidung nahe.“ Sie deshalb als unlösbar zu betrachten und abzustehen von Versuchen, der Lösung sie näher zu bringen, würde von jedem Forscher als eine Sünde gegen die Wissenschaft angesehen werden. Etwas Entsittlichendes, Zersetzendes und wie man sich sonst ausgedrückt hat, kann kein Vernünftiger in solchen Bestrebungen finden; denn ebenso berechtigt, wie die Beklemmungen der Menschen bezüglich ihres endlichen und unendlichen Seins, ist das Suchen nach Erkenntniß ihres Ursprunges jedenfalls. Und was den sittlichen Gehalt des Darwinismus anlangt, so meinen wir, daß es keine mehr erhabene und veredelnde Anschauung geben kann als diejenige, welche im Sein und Walten der Natur nur eine ununterbrochene, unaufhaltsame Entwickelung und Weiterbildung vom Niedrigen zum Höheren sieht, eine Fortentwickelung, welcher sich der Mensch ebenso wenig entziehen kann wie jedes andere lebende oder belebte Wesen. Wir Materialisten blicken trostvoll auf unsere Zukunft, weil wir nicht vom Halbgott zum Vieh hernieder, sondern vom Affen zum Menschen emporsehen.

„Was in aller Welt aber,“ ruft der mir wohlgeneigte Leser aus, „hat eine derartige Auseinandersetzung von Mensch und Affe, Darwinismus und Materialismus, Moral, Weiterentwickelung und Fortschritt mit dem prächtigen Bilde zu thun, welches ich vor mir habe? Ich will über die dargestellten Thiere, nicht aber über Darwin und seine Anhänger sowie deren Anschauungen und Ziele unterrichtet sein!“

Bitte, Verehrtester, erwidere ich, legen Sie das Blatt noch nicht unwillig aus der Hand. Die auf Mützel’s Bilde trefflich und lebenstreu wiedergegebenen, gegenwärtig im Berliner Aquarium lebenden Löwenäffchen (Hapale Rosalia) haben allerdings mit all dem zu thun. Gerade sie gehören zu einer Gruppe der Handthiere, für welche das oben Gesagte Gültigkeit hat; denn sie unterscheiden sich leiblich und geistig mehr von den „Menschenaffen“, zu denen wir Gorilla, Schimpanse, Orangutan und die mehrere Arten umfassenden Gibbons oder Langarmaffen rechnen, als diese sich von den Menschen, dienen also zum Maßstabe für die Bestimmung der Zusammengehörigkeit von Mensch und Affe, da sie erkennen lassen, wie erheblich die Verschiedenheit der einzelnen Familien und Sippen innerhalb der einen Ordnung sein kann.

Die Krallenaffen, zu deren ausgezeichneten Vertretern unsere Löwenäffchen gehören, bilden eine besondere Familie der Affen. Ausnahmslos klein und schwächlich gebaut, unterscheiden sie sich von ihren Ordnungsverwandten wesentlich durch ihr Gebiß und die Beschaffenheit ihrer Nägel. Ersteres besteht zwar aus ebensoviel Zähnen wie das des Menschen und der Altweltsaffen: die Zähne sind jedoch anders geordnet und auch anders gestaltet, nämlich spitzig und die Backenzähne spitzhöckerig, woraus man schon im Voraus auf eine andere Nahrung, als die Mehrzahl der Affen sie zu wählen pflegt, schließen darf; die Nägel sind mit Ausnahme des einen, welcher die Daumenzehen bekleidet, Krallen-, nicht aber Plattnägel, welche weniger zum Ergreifen als zum Einhäkeln beim Klettern dienen. Mit der Benagelung der Finger steht die verhältnißmäßige Unbeweglichkeit der Hand im Einklange: der Daumen kann den übrigen Fingern nur in beschränktem Maße gegenübergestellt werden, und die Hand sinkt dadurch fast zur Pfote herab. Sieht man vom Gebiß ab und behält man zunächst Gestalt und Bewegung im Auge, so kann man sich zu der Meinung hinneigen, daß sie Mittelglieder zwischen Affen und Eichhorn bilden, und wenn man sonst seiner Einbildungskraft nicht Zügel anlegen will, mag man sie als Thiere bezeichnen, welche aus Eichhörnchen zu Affen geworden sind. Einen solchen Aufschwung darf man ihnen nun wohl nicht zusprechen, jedenfalls aber sagen, daß sie die am wenigsten entwickelten Affen und somit unsere entferntesten Verwandten, nicht unsere Vettern, sondern höchstens unsere Andergeschwisterkinder darstellen.

Um zunächst einige Worte über ihr Freileben zu sagen, will ich bemerken, daß sie sammt und sonders in Süd- und Mittelamerika heimisch sind, in den Urwaldungen der Ost- und Westhälfte des Festlandes sich finden, bis Mexico nach Norden herab vorkommen, in sehr vielen Arten auftreten, welche meist einen beschränkten, nicht selten durch einen Fluß begrenzten Verbreitungskreis bewohnen, und in allen wesentlichen Eigenthümlichkeiten ihres Gebahrens, ihrer Sitten und Gewohnheiten unter einander übereinstimmen. Sie leben stets in Gesellschaften, halten sich ausschließlich auf Bäumen auf, klettern behend in deren Gezweige umher, ziehen gesellschaftlich von einem Orte zum anderen, des Nachts wahrscheinlich in Höhlungen sich verbergend, bei Tage unter oft wiederholtem, gemeinschaftlich ausgestoßenem Geschrei ihrer Nahrung nachgehend, nähren sich von allerlei Früchten, Baumknospen, Blättern und Kerbthieren, plündern wie unsere mit Unrecht verhätschelten Eichhörnchen unbarmherzig Nester aus, sind überhaupt verhältnißmäßig tüchtigere Räuber als alle übrigen Affen. Wie ihre Verwandten nicht eigentlich an eine bestimmte Zeit gebunden, bringen sie in jedem Monate des Jahres Junge zur Welt, gewöhnlich nur eins, manchmal zwei oder selbst drei, tragen diese mehrere Wochen lang mit sich umher und behandeln sie zärtlich, obschon bei weitem nicht mit solcher Innigkeit und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_852.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)