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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Theil des Gesichtes umgab, dessen kräftige, männlich braune Farbe nicht verrieth, daß es die Luft und den Sonnenschein so oft entbehren mußte. Die Lippen waren trotzig aufgeworfen und in den blauen, ziemlich finster blickenden Augen lag jenes Etwas, das sich nicht beschreiben läßt, das aber von gewöhnlichen Naturen sofort als Ueberlegenheit herausgefühlt und respectirt wird. Die ganze Erscheinung des Mannes war die verkörperte Energie, und so wenig Sympathie sie in ihrer starren Haltung auch erwecken mochte, so entschieden erzwang sie sich Bedeutung gleich beim ersten Anblick.

Ein älterer Mann, der, obgleich auch er die Bergmannskleidung trug, doch nicht zu den Arbeitern zu gehören schien, näherte sich jetzt in Begleitung eines jungen Mädchens und blieb dicht vor der Gruppe stehen.

„Glück auf! Da wären wir jetzt auch! Wie steht’s, Ulrich, seid Ihr in Ordnung?“

Ulrich bejahte kurz, während die Uebrigen den Gruß des Alten mit einem kräftigen „Glück auf, Herr Schichtmeister!“ beantworteten und die Blicke der Meisten sich auf dessen junge Begleiterin wandten.

Das etwa zwanzigjährige Mädchen konnte nun allerdings für sehr hübsch gelten und die dort übliche festliche Landestracht stand ihr ganz reizend. Eher klein als groß, reichte ihr Scheitel kaum bis zur Schulter des riesigen Hartmann, dichte dunkle Flechten umgaben ein frisches jugendliches Gesicht, leicht gebräunt von der Sonne, mit blühenden Wangen, klaren blauen Augen und kräftigen, aber dennoch anmuthigen Formen. Sie hatte eine Bewegung gemacht, wie um dem jungen Bergmanne die Hand zu reichen, als dieser aber mit verschränkten Armen stehen blieb, sank auch der ihrige schnell wieder herab; der Schichtmeister bemerke es und heftete einen scharfen Blick auf Beide.

„Wir sind wohl übler Laune, weil wir unseren Willen diesmal nicht durchgesetzt haben?“ fragte er. „Tröste Dich, Ulrich, es kommt selten genug vor, aber wenn Du es zu arg treibst, muß der Vater auch einmal ein Machtwort sprechen.“

„Wenn ich etwas über die Martha zu sagen hätte, dann hätte ich’s gesprochen!“ erklärte Ulrich entschieden, und ein finsterer Blick glitt über den prachtvollen, jedenfalls dem Treibhause entstammenden Blumenstrauß, den das Mädchen in der Hand hielt.

„Glaube ich Dir!“ sagte der Alte gleichmüthig, „sieht Dir ganz und gar ähnlich! Vorläufig ist sie mein Schwesterkind und hat sich nach mir zu richten. Aber was ist denn das mit Eurer Ehrenpforte da oben? Die große Flaggenstange hat sich ja gesenkt! Bindet sie wieder fest oder die ganze Kranzgeschichte fällt herunter.“

Ulrich, an den diese Mahnung hauptsächlich gerichtet war, warf einen gleichgültigen Blick hinauf zu den bedrohten Kränzen, machte aber keine Anstalt, ihnen zu Hülfe zu kommen.

„Hörst Du nicht?“ wiederholte der Vater ungeduldig.

„Ich dächte, ich stände bei den Gruben in Arbeit, nicht hier bei der Ehrenpforte. Ist’s nicht genug, daß wir hier oben Wache halten müssen? Wer das Ding gebaut hat, mag es auch wieder in Ordnung bringen.“

„Kannst Du denn das alte Lied nicht einmal heute lassen?“ fuhr der Schichtmeister ärgerlich auf. „Nun, so steige einer von Euch Anderen hinauf!“

Die Bergleute blickten auf Ulrich, als erwarteten sie von diesem ein Zeichen der Zustimmung, da dies aber nicht erfolgte, so rührte sich Keiner, nur Einer machte Miene, der Aufforderung Folge zu leisten; der junge Führer wandte sich schweigend um und sah ihn an. Es war nur ein einziger Blick der herrischen blauen Augen, aber er hatte die Wirkung eines Befehls, Jener trat sofort zurück, keine Hand regte sich mehr.

„Ich wollte, sie fiele Euch auf die harten Köpfe!“ rief der Schichtmeister heftig, indem er mit jugendlicher Rüstigkeit selbst hinaufstieg und die Flaggenstange festband. „Vielleicht lerntet Ihr dann, wie man sich bei einem Feste zu benehmen hat. Den Lorenz habt Ihr auch schon verdorben, der war bisher noch der Beste unter Euch, aber der freilich thut ja nur, was sein Herr und Meister, der Ulrich, ihm befiehlt!“

„Sollen wir uns vielleicht freuen, daß nun noch ein neues vornehmes Regiment hier angeht?“ fragte Ulrich halblaut. „Ich dächte, wir hätten an dem alten genug!“

Der Schichtmeister, mit der Fahne beschäftigt, hörte zum Glück diese Aeußerung nicht, das junge Mädchen aber, das bisher stumm seitwärts gestanden hatte, wandte sich hastig um und warf einen besorgten Blick nach oben.

„Ulrich, ich bitte Dich!“

Der trotzige junge Bergmann schwieg nun zwar auf diese Mahnung, aber seine Züge wurden um keinen Schein milder und nachgiebiger dabei. Das Mädchen war vor ihm stehen geblieben, es schien ihm schwer zu werden, etwas auszusprechen, das halb wie eine Frage und doch auch halb wie eine Bitte klang, endlich sagte sie leise:

„Und Du willst heute Abend wirklich nicht zum Feste kommen?“

„Nein.“

„Ulrich –“

„Laß mich in Ruhe, Martha, Du weißt, ich mag Eure Tanzgeschichten nicht.“

Martha trat rasch zurück, ihre rothen Lippen warfen sich jetzt auch trotzig auf und der feuchte Schimmer in ihrem Auge war wohl mehr eine Thräne des Zornes als der Kränkung bei diesem unfreundlichen Bescheide. Ulrich bemerkte das nicht, oder achtete nicht darauf, wie er sich denn überhaupt nicht viel um sie zu kümmern schien. Ohne ein Wort weiter zu verlieren, wandte ihn das Mädchen den Rücken und ging hinüber nach der andern Seite. Die Augen des jungen Bergmannes, der vorhin bei der Fahne hatte helfen wollen, folgten ihr unverwandt, er hätte augenscheinlich viel darum gegeben, wenn die Aufforderung an ihn gerichtet gewesen wäre, er hätte sie sicher nicht so gleichgültig zurückgewiesen.

Der Schichtmeister war inzwischen wieder heruntergekommen und betrachtete eben mit großer Befriedigung sein Werk, als vom Hügel drüben der erste Böllerschuß krachte, dem in kurzen Zwischenräumen ein zweiter und dritter folgte. Dies Zeichen von der endlichen Ankunft der Erwarteten rief begreiflicher Weise einige Aufregung hervor. Die Herren drüben geriethen in lebhafte Bewegung. Der Director musterte in der Eile noch einmal sämmtliche Empfangsanstalten, der Ober-Ingenieur und Herr Schäffer knöpften ihre Handschuhe zu, und Wilberg eilte zu Martha hinüber, um sie vielleicht zum zwanzigsten Male zu fragen, ob sie seiner Verse auch sicher sei und nicht etwa durch unzeitige Befangenheit seinen ganzen Dichtertriumph auf’s Spiel setze. Selbst die Bergleute verriethen einiges Interesse, die, wie es hieß, junge und schöne Frau ihres künftigen Herrn kennen zu lernen. Mehr als einer zog den Ledergurt fester und drückte den Hut tiefer in die Stirn. Ulrich allein stand völlig unberührt da, ebenso starr, ebenso verächtlich wie vorhin, und warf auch nicht einmal einen Blick nach jener Seite.

Aber der mit so vieler Mühe und Sorgfalt vorbereitete Empfang sollte ganz anders ausfallen, als man erwartet und gehofft hatte. Ein Schreckensruf des Schichtmeisters, der jetzt außerhalb der Ehrenpforte stand, lenkte Aller Blicke dorthin, und was sie jetzt sahen, war allerdings entsetzlich genug.

(Fortsetzung folgt.)




Erzählung der Mutter.[1]

Ach, liebe Frau, der Augen Licht
Ist sicher hohe Himmelsgabe,
Jedoch die höchste ist es nicht;
Es sind acht Jahre, seit ich habe

5
In dieser Stube blind gesessen –

Ich hatte, daß ich blind, vergessen.
Denn seht, sobald der Abend kam,
Ich einen raschen Schritt vernahm –

Ich kannte ihn von Weitem schon –

10
Da trat mein guter, treuer Sohn

Zu mir mit liebem Gruße schnell,
Und o, dann ward es um mich hell,
Als sähe ich des Himmels Licht;
Ich fühlte meine Blindheit nicht,

15
Wie Sonnenwärme mich durchdrang

Der trauten, treuen Stimme Klang.

Ich saß und harrte Tag für Tag
Getrost auf jener Stunde Schlag
Und dachte oft an einen Baum,

20
Den ich, als ich noch sehend war,

Geschaut vor manchem langen Jahr;
Der stand in einem engen Raum,
Den man mit Häusern ganz umbaute
Daß nicht hinein die Sonne schaute,


  1. Episode aus einem noch ungedruckten größeren Gedicht: „Des Helden Weib“. D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_004.JPG&oldid=- (Version vom 12.5.2018)