Seite:Die Gartenlaube (1873) 023.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Laß nur, Martha, es ist ja nun doch einmal verdorben,“ damit schob er es ohne Weiteres in seine Blouse.

Die Hände des Mädchens, die sich eben noch so flink gerührt, sanken auf einmal nieder und unthätig sah sie zu, wie der Schichtmeister einen nothdürftigen Verband anlegte und das Tuch festband. Dabei hefteten sich ihre Augen fest auf Ulrich’s Gesicht. Weshalb beeilte er sich so das kostbare Tuch unbrauchbar zu machen, wollte er es vielleicht nicht zurückgeben?

Der junge Bergmann schien übrigens wenig Talent für die Krankenrolle zu haben. Er hatte sich schon sehr ungeduldig gezeigt bei all den reichlich angebotenen Hülfsleistungen, und es bedurfte der ganzen Autorität des Vaters, um ihn zu vermögen, daß er sie sich überhaupt gefallen ließ; jetzt aber stand er auf und erklärte entschieden, nun sei es genug, man möge ihn endlich einmal in Ruhe lassen.

„Laßt ihn, den Starrkopf!“ sagte der Schichtmeister. „Ihr wißt ja, es ist nichts mit ihm anzufangen; wir wollen hören, was der Doctor sagt. – Du bist mir der rechte Held, Ulrich! Bei der Ehrenpforte helfen, die für die neue Herrschaft gebaut wird, das geht beileibe nicht, das ist ‚entwürdigend‘, aber sich vor die Pferde werfen, die mit derselben Herrschaft durchgehen, und sich gar nicht darum kümmern, daß noch ein alter Vater da ist, der nur den einen Jungen hat auf der ganzen Welt, das kannst Du. Consequenz nennt man ja das wohl in Eurer neumodischen Sprache. Nun, Ihr Anderen, da Ihr doch einmal Euerm Herrn und Meister in allen Stücken folgt – es kann wirklich nicht schaden, wenn Ihr Euch auch diesmal ein Beispiel an ihm nehmt.“

Und mit diesen Worten, denen man trotz ihres erkünstelten Grolles nur zu deutlich den Stolz auf den Sohn und die Zärtlichkeit für ihn anhörte, ergriff er Ulrich’s Arm und zog ihn mit sich fort.




Es war gegen Abend. Die Festlichkeiten auf den Berkow’schen Gütern hatten, wenigstens soweit es die Theilnahme der Herrschaft daran betraf, ihr Ende erreicht. Man hatte, nachdem die gefährliche Katastrophe, welche beinahe das ganze Fest in Frage stellte, glücklich überwunden war, das ursprüngliche Programm gewissenhaft innegehalten. Jetzt endlich befand sich das junge Ehepaar, das den ganzen Nachmittag über von allen Seiten in Anspruch genommen worden war, allein in seiner Wohnung. Soeben hatte sich Herr Schäffer verabschiedet, der morgen nach der Residenz zu dem ältern Herrn Berkow zurückkehrte, und jetzt verließ auch der Diener, nachdem er den Theetisch in Ordnung gebracht, das Gemach.

Die auf dem Tische brennende Lampe warf ihr klares, mildes Licht auf die hellblauen Damasttapeten und die kostbar gearbeiteten Möbel des kleinen Salons, der, wie überhaupt sämmtliche Räume des Hauses, zum Empfange der jungen Frau ganz neu und höchst prachtvoll eingerichtet, zu den Zimmern der letztern gehörte. Die seidenen Vorhänge, dicht zugezogen, schienen das Gemach von der Außenwelt völlig abzuschließen; in den Vasen und Marmorschalen dufteten die Blumen, und auf dem Tische vor dem kleinen Ecksopha stand das silberne Theeservice bereit, es war mitten in all der Pracht doch ein Bild traulicher harmonischer Häuslichkeit.

Soweit es eben den Salon betraf – die Neuvermählten schienen vorläufig den Zauber dieser Häuslichkeit noch nicht zu empfinden. Die junge Frau stand, noch im vollen Gesellschaftsanzuge, auf dem Teppich inmitten des Zimmers und hielt das Bouquet in der Hand, das Wilberg an Stelle Martha’s nun selbst zu überreichen das Glück gehabt hatte. Der Duft der Orangenblüthen fesselte sie sehr, so sehr, daß sie nicht die mindeste Aufmerksamkeit für ihren Gatten übrig behielt, der eine solche Aufmerksamkeit auch in der That nicht beanspruchte, denn kaum hatte sich die Thür hinter dem Diener geschlossen, so sank er mit dem Ausdrucke der Erschöpfung in einen Fauteuil.

„Dieses ewige Repräsentirenmüssen ist wirklich tödtend! Findest Du nicht, Eugenie? Seit gestern Mittag hat man uns kaum eine Minute Erholung gegönnt! Erst die Trauung, dann das Diner, dann die höchst anstrengende Eisenbahn- und Extrapostfahrt, die ganze Nacht und den ganzen Vormittag hindurch, dann noch den tragischen Zwischenfall, hier wieder Empfang, Beamtenvorstellung, Diner – mein Papa scheint, als er das Programm dieser Festlichkeiten entwarf, gar nicht daran gedacht zu haben, daß wir so etwas wie Nerven besitzen. Die meinigen sind, ich gestehe es, völlig hin.“

Die junge Frau wendete den Kopf und ein sehr geringschätzender Blick glitt über den Mann hin, der bei diesem ersten traulichen Beisammensein ihr von seinen „Nerven“ sprach. Eugenie schien nun allerdings diesen Uebelstand nicht zu kennen; ihr schönes Gesicht verrieth auch nicht die leiseste Spur von Ermüdung.

„Hast Du Nachricht erhalten, ob die Wunde des jungen Hartmann gefährlich ist?“ fragte sie statt aller Antwort.

Arthur schien etwas befremdet, daß man von der ungewöhnlich langen Rede, zu der er sich ausnahmsweise einmal hatte fortreißen lassen, so gar keine Notiz nahm. „Schäffer sagt, es sei nicht von Bedeutung,“ entgegnete er gleichgültig. „Er hat, glaube ich, den Arzt gesprochen. Dabei fällt mir ein, man wird doch auf irgend eine Anerkennung für den jungen Menschen denken müssen. Ich werde den Director damit beauftragen.“

„Solltest Du die Sache nicht lieber persönlich in die Hand nehmen?“

„Ich? Nein, damit verschone mich! Wie ich nachträglich höre, ist es nicht einmal ein gewöhnlicher Arbeiter, der Sohn des Schichtmeisters, selbst Steiger oder so etwas; wie kann ich da wissen, ob hier Geld oder ein Geschenk oder sonst etwas am Platze ist! Der Director wird das ganz ausgezeichnet arrangiren.“

Er ließ den Kopf noch tiefer in die Polster zurücksinken. Eugenie erwiderte nichts; sie ließ sich auf das Sopha nieder und stützte das Haupt in die Hand. Nach einer Pause von etwa einer Minute schien es Herrn Arthur denn doch einzufallen, daß er seiner jungen Frau einige Aufmerksamkeit schuldig sei, und daß er füglich nicht während der ganzen Theestunde so stumm in seinem Fauteuil vergraben bleiben könne; es kostete ihn allerdings einige Anstrengung, aber er brachte das Opfer und erhob sich wirklich. An der Seite seiner Gattin Platz nehmend, erlaubte er sich, ihre Hand zu ergreifen, und ging sogar soweit, daß er versuchte, den Arm um ihre Schulter zu legen; aber es blieb bei dem Versuche. Mit einer raschen Bewegung zog Eugenie ihre Hand aus der seinigen und rückte seitwärts. Dabei traf auch ihn wieder jener Blick, der seinem Vater gestern in der Kirche die erste Umarmung der Schwiegertochter so gründlich verleidet hatte. Es war derselbe Ausdruck eisig stolzer Abwehr, der besser als Worte sagte: „Ich bin unnahbar für Dich und Deinesgleichen!“

Es schien nun freilich leichter, dem Vater mit dieser vornehmen Art zu imponiren als dem Sohne, vielleicht weil dieser sich überhaupt durch nichts mehr imponiren ließ. Er sah denn auch weder bestürzt noch eingeschüchtert aus bei dieser Bewegung eines nur zu deutlich kundgegebenen Widerwillens; nur etwas erstaunt schaute er auf.

„Ist Dir das unangenehm, Eugenie?“

„Ungewohnt zum Mindesten! Du pflegtest mich bisher damit zu verschonen.“

Der junge Mann war viel zu apathisch, um die tiefe Herbheit dieser Worte zu verstehen; er schien sie als eine Art von Vorwurf zu nehmen.

„Bisher? Ja, die Etiquette in Deinem Vaterhause wurde etwas streng gehandhabt. Während unseres zweimonatlichen Brautstandes hatte ich nicht ein einziges Mal das Glück, Dich allein zu sehen, und die stete Gegenwart Deines Vaters oder Deiner Brüder legte uns doch einen Zwang auf, der bei diesem ersten ungestörten Alleinsein ja wohl fallen darf.“

Eugenie wich noch weiter zurück. „Nun denn, so erkläre ich Dir bei diesem ersten Alleinsein, daß ich Zärtlichkeiten, mit denen man der Convenienz genügt, ohne daß das Herz Antheil daran hat, durchaus nicht liebe. Ich entbinde Dich ein für alle Male von der Verpflichtung dazu.“

Das Erstaunen von vorhin prägte sich diesmal etwas lebhafter in Arthur’s Zügen aus; bis zu einer wirklichen Erregung kam er immer noch nicht.

„Du scheinst heute in einer eigenthümlichen Laune zu sein! Convenienz! Herz! Wirklich, Eugenie, ich glaubte bei Dir gerade am wenigsten romantische Illusionen befürchten zu müssen.“

Ein Ausdruck tiefer Bitterkeit überflog die Züge der jungen Frau. „Ich habe mit meinen Illusionen vom Leben in dem Momente abgeschlossen, wo ich Dir meine Hand zusagte. Du

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_023.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)