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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

leisen Duften und Wehen dieses Frühlingsabends regte sich wieder das lang zurückgehaltene Weh des jungen Weibes, das auch seinen Antheil an Glück und Liebe vom Leben gefordert hatte und das so bitter um diesen Antheil betrogen war. Sie war jung und schön, schöner als so viele Andere, aus altem edlen Geschlecht, und die stolze Tochter der Windeg hatte von jeher den Helden ihres Jugendtraumes mit all’ der glänzenden Ritterlichkeit ihrer Vorfahren geschmückt. Daß er ihr gleich sein müsse an Rang und Namen, galt dabei als selbstverständlich, und nun –? Hätte der ihr aufgedrungene Gatte wenigstens noch Charakter und Energie besessen, die sie nun einmal bei dem Manne am höchsten schätzte, sie hätte ihm vielleicht seine bürgerliche Geburt verziehen, aber dieser Weichling, den sie verachtet hatte, noch ehe sie ihn gekannt! Hatten die Beleidigungen, die sie ihm mit vollster Absicht entgegengeschleudert, und die jeden anderen Mann außer sich gebracht haben würden, es wohl vermocht, ihn aus seiner apathischen Gleichgültigkeit zu reißen? War er dem herbsten Ausdruck ihrer Verachtung gegenüber auch nur einen Augenblick aus dieser Apathie gewichen? Und als heut’ Mittag die Gefahr über sie Beide hereinbrach, hatte er da auch nur die Hand zu seiner oder ihrer Rettung gerührt? Ein Anderer, ein Fremder mußte sich den rasenden Thieren entgegenwerfen und sie bändigen, auf die Gefahr hin, von ihnen getreten zu werden. Vor Eugeniens Augen stieg das Bild des jungen Mannes auf, mit den trotzigen blauen Augen und der blutenden Stirn. Ihr Gatte freilich wußte nicht einmal, ob die Wunde seines Retters gefährlich, ob sie vielleicht tödtlich sei, und doch wären er und sie verloren gewesen ohne jene energische blitzähnliche That.

Die junge Frau sank in einen Sessel und verbarg das Antlitz in beiden Händen, aber Alles, was sie seit Monden durchgekämpft und durchgelitten und was in dieser Stunde mit zehnfacher Gewalt auf sie eindrang, das gab sich jetzt kund in dem einen verzweiflungsvollen Aufschrei: „O mein Gott, mein Gott, wie werde ich dies Leben ertragen!“




Die sehr umfangreichen Berkow’schen Gruben und Bergwerke lagen ziemlich weit von der Residenz, in einer der entfernteren Provinzen. Die Gegend dort bot nicht viel Anziehendes dar. Waldberge und immer nur Waldberge, auf Meilen in der Runde nichts als das einförmige dunkle Grün der Tannen, das gleichmäßig Höhen und Thäler umzog, dazwischen Dörfer und Weiler und hin und wieder einmal ein Pachthof oder ein ländliches Besitzthum. Aber der Boden hier oben vermochte nicht viel zu geben; seine Schätze lagen unter der Erde verborgen, und deshalb drängte sich auch alles Leben und alle Thätigkeit der Umgegend auf den Berkow’schen Besitzungen zusammen, wo diese Schätze in wahrhaft großartigem Maßstabe zu Tage gefördert wurden.

Diese Besitzungen lagen ziemlich einsam und abgeschnitten von dem größeren Verkehre, denn selbst die nächste Stadt war einige Stunden weit entfernt; aber er bildete fast eine Stadt für sich, dieser riesige Complex von Betriebs- und Wohngebäuden, der sich da inmitten der Waldthäler mit all’ seinem bewegten Leben und Treiben erhob. Alle die Hülfsmittel, die Industrie und Wissenschaft nur zu geben vermochten, Alles, was Maschinenkraft und Menschenhände nur leisten konnten, wurde hier aufgeboten, um dem widerstrebenden Erdgeiste seine Schätze abzuringen. Ein ganzes Heer von Verwaltungsbeamten, Technikern, Inspectoren und Oberaufsehern stand unter der Leitung des Directors und bildete eine Colonie für sich, während die nach mehreren Tausenden zählenden Arbeiter, die nur zum kleinsten Theile in der Colonie selbst hatten untergebracht werden können, in den nahegelegenen Dörfern wohnten. Das Unternehmen, das erst der jetzige Besitzer aus seinen sehr unbedeutenden Anfängen zu der Höhe erhoben hatte, auf der es augenblicklich stand, schien fast zu groß für die Mittel eines Privatmannes und wurde in der That auch nur mit den riesigsten Mitteln in Betrieb erhalten. Es war weitaus das bedeutendste in der ganzen Provinz und beherrschte demgemäß auch in seinem Industriezweige die Provinz und die sämmtlichen gleichartigen Unternehmungen derselben, von denen sich keins an Großartigkeit mit ihm messen konnte. Diese Colonie mit ihrem unbegrenzten Aufwande an Maschinen- und Arbeitskräften, mit ihren Bauten und Wohnhäusern, ihren Beamten und Arbeitern war gewissermaßen ein Staat für sich, und der Herr desselben ebenso souverain wie nur irgend der Beherrscher eines kleinen Fürstenthums.

Es mußte jedenfalls befremden, daß man einem Manne, der an der Spitze eines solchen Unternehmens stand, immer noch eine Auszeichnung versagte, die er doch so sehr erstrebte und die so Manchem zu Theil wurde, der weniger für die Industrie des Landes gethan hatte; aber hier, wie überall, wo die Entscheidung direct von höchster Stelle ausging, kam der Charakter und die Persönlichkeit des Betreffenden in Frage, und Berkow erfreute sich nun einmal keiner Sympathie in den maßgebenden Kreisen. Es gab doch so manchen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit, den sein Reichthum wohl verwischen, aber nie ganz auslöschen konnte. Er war zwar noch niemals mit den Gesetzen in Conflict gekommen; aber oft genug war er bis hart an die Grenze gegangen, wo die Gesetze einzuschreiten pflegen. Auch seine Schöpfungen in der Provinz, so großartig sie waren, wollte man von vielen Seiten doch keineswegs als mustergültig anerkennen. Es wurde Manches von einem gewissenlosen Ausbeutungssysteme geredet, das, nur darauf berechnet, den Reichthum des Besitzers zu mehren, nicht die mindeste Rücksicht auf das Wohl und Wehe der Menschenkräfte nahm, die es sich dabei dienstbar machte, von willkürlichen Uebergriffen der Beamten, von gährender Unzufriedenheit der Arbeiter – indessen, das war und blieb mehr oder weniger Gerücht, da die Colonie selbst ja zu fern lag. Thatsache war und blieb dagegen, daß sie eine nahezu unerschöpfliche Quelle des Reichthums für ihren Eigenthümer bildete.

Freilich mußte ein Jeder zugestehen, daß die Ausdauer, die Zähigkeit und das industrielle Genie dieses Mannes mindestens ebenso groß waren wie seine Gewissenlosigkeit. Aus den ärmlichsten Verhältnissen hervorgegangen, von der Woge des Lebens emporgehoben und wieder herabgeschleudert, war es ihm schließlich doch gelungen, sich auf der Höhe zu behaupten, und jetzt nahm er dort schon seit Jahren die unbestrittene Stellung eines Millionärs ein. Freilich schien sich auch während dieser letzten Jahre das Glück unwandelbar an seine Ferse zu heften; so oft er es auch auf die Probe stellte, es blieb ihm treu, und wo es sich um das bedenklichste Unternehmen, um die gewagteste Speculation handelte, sie glückten, sobald seine Hand die Leitung übernahm.

Berkow war früh Wittwer geworden und zu keiner zweiten Ehe geschritten; sein rastloser, immer nur auf Speculation und Erwerb gerichteter Charakter empfand die Häuslichkeit eher als eine Fessel, denn als eine Erholung. Sein einziger Sohn und Erbe wurde in der Residenz erzogen, und es war denn auch, was Hofmeister, Lehrer in allen Fächern, Universitätsbesuch und Reisen betraf, nichts in seiner Erziehung gespart worden. Von einer eigentlichen Vorbildung für seinen Beruf als künftiger Chef und Leiter so großartiger industrieller Unternehmungen verlautete dagegen nichts. Herr Arthur zeigte eine entschiedene Unlust, irgend etwas zu lernen, was nicht zur fashionablen Ausbildung gehörte, und der Vater war viel zu schwach und viel zu eitel auf die von seinem Sohne zu spielende glänzende Rolle, zu deren Ermöglichung und Behauptung er mit Freuden Tausende hergab – um ernstlich auf eine tiefere Ausbildung desselben zu dringen. Im schlimmsten Falle gab es ja immer noch fähige Beamte genug, deren technische und mercantilische Kenntnisse man sich für hohes Gehalt dienstbar machen konnte. So kam denn der junge Erbe kaum einmal des Jahres nach den Besitzungen in der Provinz, wo er sich jedesmal tödtlich langweilte, während der Vater, der allerdings auch zeitweise in der Residenz lebte, sich doch die Oberleitung des Ganzen vorbehielt.

Das Wetter hatte den Landaufenthalt des jungen Ehepaares bisher noch nicht besonders begünstigt. Die Sonne machte sich selten in diesem Frühjahre; heute endlich schien sie nach langen Regentagen einmal wieder klar und warm herab, als wolle sie auch ihrerseits den Sonntag begrüßen. Die Schachte waren leer und die Werke feierten, aber trotz der Sonntagsruhe und trotz des lachenden Sonnenscheins schien doch etwas von dem düster einförmigen Charakter der Gegend auf der ganzen Colonie zu liegen. In all’ diesen zahlreichen, allein nach dem starren Princip der Nützlichkeit aufgeführten Bauten und Wohnhäusern gab sich auch nicht der leiseste Sinn für Verschönerung oder für Bequemlichkeit der Betheiligten kund. Daß dieser Sinn dem Besitzer nicht überhaupt mangelte, davon legte dessen eigenes Landhaus Zeugniß ab, das man absichtlich eine Strecke von den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_038.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)