Seite:Die Gartenlaube (1873) 052.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

als wären wir im marmornen Saale. Bei Nacht fallen die Wasser stärker, und die nächtliche Stunde im Donner der unsichtbaren Wellen, die in’s Meer wallen, im Irren der Mondlichter und im Auf- und Abblinken des ruhigen Eises, diese Stunde vergißt Niemand, der sie auch nur einmal durchlebt hat. – Zuletzt im Frühjahre, im Hornung, im März, ja sogar im Mai – je nachdem der laue Wind Herr geworden ist in der Welt. Die Schlucht starrt noch von Eis, wenn draußen die Buchenknospen aufspringen. Da muß man Glück haben und einmal hineinkommen, wenn so ein breiter Wasserfall von Eis, unten durch laue Tropfen längst morsch gemacht, urplötzlich krachend abfällt. Der Alte vom Berge spricht auch hier seine klangvolle Sprache: wie Schlachtendonner dröhnt es aus dem Abgrunde, in welchem die Eisorgel, die mit einem Gewicht von Tausenden von Centnern am Felsen klebte, zu zahllosen glasigen Splittern zerschlagen wird. Bald stäubt wieder der sanfte Frühlingsbach über die Furche hinab, die jene im Fallen gerissen hat. Das Tönen ihres Sturzes aber gehört zur Symphonie des Lenzes in dieser großen Welt.

Am 12. December 1870 stand ich bei dem erwähnten Landschaftsphotographen Johannes auf der Brücke und unterstützte ihn in seiner Hantierung, ein Bild vom vereisten Abgrund zu schaffen. Wer es weiß, was derlei sagen will, wenn der Wärmemesser fünfzehn Grade unter dem Eispunkte zeigt, der wundert sich über das Gelingen. Auf Knieen und Händen rutschend mußten die Werkzeuge an den Brückengeländern so gehalten werden, daß ihnen der einzige Sonnenstrahl des Wintertages, der die Eiswölbungen traf, nicht entging. Froh und stolz über das gelungene Kunststück, ist er aus der Kluft heimgegangen; nicht minder froh war ich, daß wieder einmal etwas aus verborgener Werkstätte für die Augen aller Menschen an’s Licht gezogen und der große Proteus in einer seiner Launen festgehalten worden war.

Manche Klammen sind der Hel geweiht, zum Beispiel die ganz in der Nähe befindliche Seins-Klamm bei Mittenwald. Dort hinein warf man im Mittelalter alle diejenigen Menschen und Thiere, die keines natürlichen Todes gestorben waren, und es ist kaum hundert Jahre her, daß der Leichnam eines armen Weibes, das als Hexe gestorben war, vom Abdecker in jenen Schlund gestürzt wurde. Ob die Partnach-Klamm jemals von den Werdenfelsern als ein solch unheimlicher Ort betrachtet wurde, weiß ich nicht – die Schauer ihrer finsteren Wassergänge würden dadurch nicht vermehrt, wohl aber durch einen Geländersteig, der es dem aufregungslustigen Fremdling möglich machte, in der hallenden, dunkeln Tiefe selbst dahinzugehen, während er dermalen den Schlund meist nur aus der Vogelschau zu übersehen vermag.

Damit genug von der Partnach-Klamm. Denn mit der Schilderung sommerlicher Pracht der Blumen am feuchten Fels, ihrer Kühlung und anderer Annehmlichkeiten, die Tausende gesehen und empfunden haben, soll an diesem Orte der bemessene Raum nicht vergeudet werden.




Blätter und Blüthen.


Noch einmal eine sprachliche Unart. Der in Nummer 1 der Gartenlaube gerügte Gebrauch des am Berg, am See etc. ist wohl nur ein dem österreichischen Dialekt eigenthümlicher Fehler, der sehr selten in der Schriftsprache erscheint. Ich möchte dies „am“ nicht für eine Zusammenziehung von „auf dem“ halten, sondern glauben, daß es durch eine Auffassungsverschiedenheit, durch eine in unbestimmter Allgemeinheit erweiterte Anwendung der Präposition an entstanden sei. So sagt der Oesterreicher ja auch – und dieser Fehler ist oft auch in der Schriftsprache zu finden – „sie hielten ihre Versammlung beim Adler“, „der Kaiser ist beim Erzherzog Karl abgestiegen“. Der dialektische Gebrauch der Präpositionen ist ein interessantes Stück lebendiger Sprachbildung; so sagt der gemeine Mann hier in Mainz (wie auch in Thüringen und Meißen), um nur dies Eine anzuführen: „er ist bei mich gekommen“.

Verdienstlich ist aber immer ein aufmerksames Controlieren und strenges Rügen von grammatischen Sprachwidrigkeiten, die hie und da selbst in den angesehensten und sonst in jeder Hinsicht mustergültigen Zeitschriften uns begegnen.

Die strenge Kritik, welche der Franzose über Stil und grammatische Handhabung seiner Sprache ausübt, hat denn doch auch ihr Gutes. Komische Dinge sind freilich französischen Autoren durch ihre Unwissenheit in fremden Sprachen passirt: ich erwähne nur die bekannte Uebersetzung von Philarète Chasles: Je suis ici sur le Meinigen („Hier steh’ ich auf dem Meinigen“ in Schiller’s Tell), den der gute Mann für einen Schweizer Berg hielt, und die bekannten Doctoren „Schinkengift“ etc., sowie den verrätherischen General „Staff“. Vereinzelt kommen derartige Mißverständnisse auch in deutschen Schriften vor; bekannt ist ja, wie seiner Zeit in einer hochangesehenen deutschen geographischen Zeitschrift die Rede war von Turteltauben, welche die Eingeborenen fangen, indem sie dieselben auf den Rücken legen und an den Hinterbeinen fortschleppen!! (Das englische turtle welches Schildkröte und Turteltaube bedeutet, gab zu dieser unbegreiflichen Gedankenlosigkeit Anlaß.) Nicht unbemerkt ist auch die Übersetzung der Stelle aus der Proclamation Napoleon’s im Jahr 1859 geblieben: les paroles d’un heureux augure, welche eine der ersten deutschen Zeitungen mit: „Die Worte eines glücklichen Auguren“ (statt „einer glücklichen Wahrsagung“) wiedergab. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf einen Uebersetzungsfehler in dem wahrhaft classischen Werke des Großen Generalstabs über den französischen Krieg hinweisen, in welchem die Worte der Proclamation Napoleon’s: Nous formons le voeu ect. lauten. „Wir thun das Gelübde, daß die Völker, aus denen sich die große germanische Nation zusammensetzt, frei über ihre Geschicke bestimmen sollen,“ statt: „Wir hegen den Wunsch etc.“. Ein Werk, das nach Inhalt und Form bestimmt ist, ein köstlicher Besitz der jetzt lebenden und aller kommenden Generationen zu sein, sollte auch von derartigen kleinen Unrichtigkeiten frei sein.

Dr. Noiré.


Zwei Ritter des eisernen Kreuzes. (Mit Abbildung, S. 41.) Bei G. Grote in Berlin ist ein Prachtwerk erschienen, „Aus großer Zeit, Erinnerungen an 1870 und 1871 von Alexander Baron von Roberts und Alexander Zick“. Dasselbe hat es sich zur Aufgabe gestellt, einen Cyclus bewegender Hauptmomente jenes Krieges in Wort und Bild zur Anschauung zu bringen. Es galt hierbei, das Bleibende, auch für spätere Zeiten Gültige aus einer Fülle von Erinnerungen und zufälligen Erlebnissen auszuwählen. Die bildliche Ausstattung besteht aus achtzehn, bei Hanfstängl in München photographirten Cartons, von denen wir „das Eiserne Kreuz“ wiedergeben. Wie dieses Bild, in welchem ein greiser Held von Anno 1813 dargestellt ist, der, selbst mit dem Eisernen Kreuze geschmückt, dem todten Sohne dasselbe Ehrenzeichen auf die Brust heftet, dessen Anblick seine letzte Freude gewesen war, – so behandelt das ganze Werk weniger Kriegsscenen mit localem Hintergrunde, als vielmehr die im gesellschaftlichen Leben sich zeigenden Reflexe der großen Zeit, von dem Zornesausbruche der schwülen Julitage bis zu dem überströmenden Jubel, der unseren heimkehrenden Tapferen entgegenschallte. Hier wandelt Leid und Freude, zu poetischen Gestalten verkörpert, an uns vorüber, oft genug daran gemahnend, daß wir im Vollbesitze einer glänzenden Gegenwart auch Jener gedenken sollen, die uns das Reich mit ihrem Herzblute erstritten, von deren Riesengräbern drüben in Frankreich ein leiser Gruß herüberweht: „Vergiß, mein Volk, die treuen Todten nicht!“



Kleiner Briefkasten.



Sch. in Hoerde. Sie fragen nach dem Ursprung der Bezeichnung „Vatermörder“ als Halskragen. Dieser sehr leichtsinnige Witz, dessen sich die deutsche Sprache nur schämen kann, soll nach Einigen von einer tragischen Geschichte, nach Anderen von einer komischen Uebertreibung herrühren. Nach jener soll ein mit solch einem steifgestärkten langen spitzigen Modekragen von einer Reise heimkehrender Sohn seinen Vater bei der Umhalsung in’s Auge gestochen haben, der dann an der Verwundung starb. Nach dieser sehen die zwei schneeweißen Hellebardenspitzen, die zur Cravatte herausragen, so lebensgefährlich aus, daß die Möglichkeit einer solchen Vatertödtung durch eine Sohnesumarmung gleich vorausgesetzt und für die Bezeichnung des neuen Modethorheitsstücks maßgebend wurde.

L. in F. Warum auf den neuen deutschen Goldmünzen die vier Königreiche sich dadurch unterscheiden, daß auf dem einen „KÖNIG“, auf dem andern „KOENIG“, auf dem dritten „KŒNIG“ und auf dem vierten „KOENIG v. G. G.“ geprägt ist? Die Antwort auf diese Frage wird wohl am besten im Reichstag gegeben; wir sind es nicht im Stande.

A. R. Sie werden Ihren Zweck, die beiden Vögel vom Ungeziefer zu befreien, am sichersten erreichen, wenn Sie sobald wie möglich gutes persisches Insectenpulver auf den Boden des Vogelbauers streuen und mit einem Stückchen Löschpapier bedecken. Sollte das nicht fruchten, so mögen Sie, ohne dadurch Ihre Pfleglinge zu gefährden, denselben etwas von dem besagten Pulver in’s Gefieder streuen. Ausführlicheres über die Behandlung der Vögel finden Sie in Brehm’s „Gefangenen Vögeln“.

K. in Hamburg. Ob Apollo oder Apolda „Knaster, den gelben“ präparirt habe? Machen Sie sich keine mythologischen Sorgen: Apolda, die allbekannte weimarische Fabrikstadt, hat’s gethan.

Frl. A. M. in P. Die Kurz’sche Literaturgeschichte sowohl wie Kneschke’s Album geben das Alter des Dichters falsch an. Albert Traeger ist nicht 1826, sondern 1830 am 30. Juni geboren.

X. Y. wird ersucht, zwecks Mittheilung der Hecker’schen Antwort seine Adresse aufgeben zu wollen.

W., dem langjährigen Abonnenten in W. Empfangen und gut aufgehoben – freilich im Papierkorb.

Herrn L. X. in Wolgast. Können Sie nicht die verkehrt wehende Flagge und das davonsegelnde Schiff auf unserem Bilde in Beziehung bringen? Sie wohnen der See so nahe und wissen nicht, daß die zusammengebunden oder umgekehrt aufgehißte Flagge als Nothzeichen gilt?

M. E. Plankenau.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_052.JPG&oldid=- (Version vom 13.5.2018)