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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Welche Rohheit! Welche haarsträubenden Grundsätze! Also mit Mord und Todtschlag würden Sie Ihre Liebe documentiren? Sie sind ein entsetzlicher Mensch, Hartmann, und Sie sagen das mit einem Tone, einem Blicke – die gnädige Frau hat ganz Recht, wenn sie Sie eine unbändige Naturgewalt nennt, die –“

„Wer nennt mich so?“ unterbrach ihn Ulrich heftig und finster blickend.

„Die gnädige Frau! ‚Eine wilde ungebändigte Naturgewalt‘ hat sie gesagt. Ein höchst geistreicher Ausspruch und unendlich zutreffend in diesem Falle. Hartmann“ – der junge Beamte wagte es allmählich, wenn auch noch ziemlich schüchtern, sich seinem Begleiter wieder zu nähern – „Hartmann, ich wollte Ihnen Alles verzeihen, Alles, sogar das, was Sie eben gesagt haben; aber was ich Ihnen nicht verzeihe, das ist Ihr abscheuliches Benehmen der gnädigen Frau gegenüber. Haben Sie denn allein keine Augen für diese Schönheit und Anmuth, die selbst die rohesten Ihrer Cameraden entwaffnet, daß Sie ihren Anblick scheuen, als brächte er Ihnen irgend ein Unglück? Wenn ihr Wagen nur in der Ferne sichtbar wird, kehren Sie um und weichen ihm aus; wenn sie vorüberreitet, treten Sie in’s erste beste Haus, und ich wette, Sie machen nur deshalb den täglichen Umgang bei der Wohnung des Directors vorüber, weil Sie ihr drüben am Parkgitter einmal begegnen könnten und dann in die Nothwendigkeit kämen, sie grüßen zu müssen. O, über diesen starren Classenhaß, der selbst die Frauen nicht verschont. Ich wiederhole es Ihnen, Sie sind ein entsetzlicher Mensch!“

Ulrich schwieg; er ließ wider seine Gewohnheit die Vorwürfe über sich ergehen, ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, und bestärke Herrn Wilberg dadurch in dem glücklichen Wahne, daß seine Vorstellungen doch endlich einmal etwas genützt hätten. Ermuthigt dadurch, begann er von Neuem:

„Um nun aber auf den Hauptgegenstand zurückzukommen – das Taschentuch –“

„Was weiß ich, wo das Ding geblieben ist!“ unterbrach ihn Ulrich rauh. „Es wird verloren gegangen sein, oder die Martha wird es zurückgegeben haben. Ich weiß nichts davon!“

Wilberg war im Begriff, außer sich zu gerathen über die Gleichgültigkeit, mit der man einen in seinen Augen so unendlich kostbaren Gegenstand behandelte, als er auf einmal Martha erblickte, die vor dem Hause des Schichtmeisters stand, dem man sich inzwischen genähert hatte. Wie ein Stoßvogel schoß der junge Beamte auf sie zu und begann sie zu examiniren, wo das fragliche Tuch geblieben sei, ob sie es wirklich zurückgegeben habe, ob es nicht möglicher Weise noch irgendwo existire. Das Mädchen schien ihn anfangs nicht zu verstehen; als sie aber begriff, um was es sich handelte, verfinsterte sich ihr Gesicht auffallend.

„Das Tuch ist noch da!“ sagte sie bestimmt. „Ich dachte es gut zu machen, als ich es eines Tages vornahm und von dem Blute reinigte; aber Ulrich geberdete sich ja wie ein Wüthrich, daß ich es ihm auch nur angerührt hatte. Er hat es in seiner Lade.“

„Ah, es war also nur ein Vorwand, um mir das Gewünschte zu verweigern!“ rief Wilberg gekränkt und mit einem Blicke des Vorwurfs auf Ulrich, der mit verbissenem Aerger zugehört hatte und jetzt beinahe höhnisch sagte:

„Geben Sie sich nur zufrieden, Herr Wilberg! das Tuch bekommen Sie doch nicht!“

„Und weshalb nicht, wenn ich fragen darf?“

„Weil ich es behalte!“ erklärte Ulrich lakonisch.

„Aber, Hartmann –“

„Wenn ich einmal Nein gesagt habe, dann bleibt es dabei; das wissen Sie doch, Herr Wilberg!“

Wilberg hob Augen und Hände zum Himmel empor, als wolle er diesen zum Zeugen der ihm widerfahrenen Beleidigung anrufen, aber plötzlich sanken seine Arme schlaff hernieder und er selber schnellte ebenso plötzlich in die Höhe, als eine Stimme hinter Martha sagte:

„Können Sie mir nicht Auskunft geben, liebes Kind – Ah, Herr Wilberg! Ich störe wohl eine lebhafte Unterhaltung?“

Der Angeredete stand sprachlos, aber mindestens ebenso sehr vor Verzweiflung als vor Entzücken über diese unerwartete Begegnung, denn ihn überkam das vernichtende Bewußtsein, daß er vor der gnädigen Frau, die ihn bisher immer nur im feinsten Gesellschaftsanzuge gesehen hatte, sich jetzt in blauem Paletot, grünem Shawl und einer von dem scharfen Winde arg gerötheten Nasenspitze präsentiren müsse. Er wußte, wie unvortheilhaft ihm diese Farbenzusammenstellung zu Gesicht ließ, und hatte sich erst vor einer Stunde feierlichst gelobt, wenigstens den grünen Shawl durch einen kleidsameren zu ersetzen, und nun führte ihn der tückische Zufall so vor die Augen seines Ideals! Herr Wilberg wünschte sich in die tiefsten Tiefen der Schachte und behielt nichtsdestoweniger noch Besinnung genug, sich über Hartmann zu ärgern, der noch mit dem ganzen Staube der Arbeit auf den Kleidern dicht vor der gnädigen Frau stand, und noch dazu wie eine Bildsäule dastand, ohne sich auch nur zu regen.

Eugenie war den Weg entlang gekommen, der an dem Hause vorüberführte, und unbemerkt in das Gärtchen getreten, wo sie zunächst nur das junge Mädchen bemerkt hatte. Sie erhielt vorläufig keine Antwort auf ihre letzte Frage; die beiden Männer schwiegen, bis Martha das Wort nahm; sie hatte nur einen einzigen Blick auf ihren Vetter geworfen bei dem plötzlichen Erscheinen der Dame, und wandte sich jetzt rasch zu ihr.

„Wir redeten gerade von dem Spitzentuche, das die gnädige Frau damals zum Verbinden hergab, und das noch immer nicht zurückgegeben ist.“

„Ah so, mein Tuch!“ sagte Eugenie gleichgültig. „Das hatte ich in der That ganz vergessen, aber da Sie es so sorgfältig aufbewahrt haben, mein Kind, so geben Sie es mir zurück.“

„Ich nicht, Ulrich hat es!“ Martha’s Blick flog wieder zu ihm hinüber, so finster forschend, wie das erste Mal, und auch Eugenie schaute etwas befremdet auf den jungen Mann hin, der noch nicht einmal gegrüßt hatte.

„Nun denn Sie, Hartmann! Oder wollen Sie es mir nicht zurückgeben?“


(Fortsetzung folgt.)




Orientalische Palast- und Hofbilder.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
Nr. 2.
Empfangsfeierlichkeiten im Thronsaal. – Ein falscher Pückler-Muskau statt des echten empfangen. – Ein wanderndes Ministerium. – Der Beiram.


Wir haben schon zu lange bei den Schauern der Hinterkammern des fürstlichen Palastes verweilt. Begeben wir uns wieder in die Vordergemächer, so wird sich eine lebensfrohere Stimmung unser bemächtigen. Nicht, als ob diese gerade durch guten Geschmack glänzten, denn das Orientalische ist in den modernen Palästen arabischer Großen mit einer häßlichen Zuthat schlechter europäischer Nachahmung verquickt und verhunzt. Betreten wir zum Beispiel den Thronsaal des Bey von Tunis: wahrlich nicht häßlich nach dem ersten oberflächlichen Eindruck; Alles glänzt und funkelt. Aber welch ein Zwitterding der Geschmacksrichtungen! Die Decke orientalisch, edel und schön im Styl gehalten; die rechte Wand europäisch, auch noch edel, wenn man will; sie wird nämlich von einer Bildergalerie ausgefüllt, bestehend aus einigen dreißig lebensgroßen in ganzer Figur gemalten Portraits europäischer Fürsten, meist wirklich werthvoll, da diese Fürsten sie selbst geschenkt haben – ältere und neuere, große und kleine, heilige und unheilige neben einander; Napoleon neben Louis Philippe, Victor Emanuel neben Ferdinand von Neapel. Sogar der heilige Marinus, Schutzpatron der gleichnamigen Republik, hängt dort neben Isabella von Spanien. Auch der Fürst von Monaco ist hier ebenso groß abgebildet, wie der Kaiser von Rußland. Eine solche Galerie in einem orientalischen Thronsaal überrascht uns, aber sie ist nicht gerade unschön. Ganz lächerlich, ja kindisch ist dagegen die Ausschmückung der linken Seite des Thronsaales. Hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_076.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)