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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


befinden sich die Fenster, etwa zwölf an der Zahl. Der Zwischenraum zwischen einem und dem andern wird jedesmal durch eine Spiegelconsole mit einer Stutzuhr und zwei falschen Blumensträußen unter Glasglocken ausgefüllt. Alle diese Uhren gehen zwar, aber alle falsch; nach ihnen kann jeder die Tageszeit finden, die ihm gerade am besten gefällt. Die Blumen sind solche, wie in keinem, selbst dem exotischsten Klima, welche wachsen. Aber sie sind in Paris gemacht, und das genügt dem modernen Reformtürken, um sie reizend zu finden.

Dieser Saal war vor etlichen dreißig Jahren eben in all’ seiner Pracht und Bizarrerie fertig geworden, als ein denkwürdiges Ereigniß stattfand, wodurch man ihn würdig einzuweihen hoffte. Es war die Anwesenheit eines lebendigen europäischen Fürsten in Tunis. Heutzutage ist man selbst in Tunis gegenüber solchen Besuchen blasirt, aber damals waren sie noch nicht vorgekommen. Zudem war gerade am Hofe die Reform eingerissen; man hatte sich europäisch möblirt, gekleidet, sich uniformirt und besternt, alles aus Paris verschrieben, und nun mußte man doch Jemand haben, dem man diese Herrlichkeiten zeigen konnte, denn die Araber verstanden ihre Schönheiten nicht und unter den in Tunis lebenden Europäern waren so schrecklich wenig hoffähige Leute. Der Fürst war zwar ein mediatisirter, aber er hatte doch wenigstens den Titel. Man erräth wohl, wer er war: der „Verstorbene“ nämlich, Semilasso, vulgo Pückler-Muskau genannt. Dieser war zur Audienz bei Hofe angemeldet worden. Alles erwartete ihn, der Bey von Gold und Diamantsternen strahlend, auf seinem Thron, rings um ihn seine zahllosen Vettern, die Prinzen (die gerade eingesperrten natürlich abgerechnet), die Minister und an den Wänden, steif wie Schildwachen aufgestellt, die vielen, allzuvielen Generale, welche diese kleine Armee damals commandirten oder vielmehr vernachlässigten, um Thürsteherdienste bei Hofe zu thun. Der richtige Moment kam; ein Wagen rollte vor. Aus demselben stieg eine lange kerzengerade Figur in schmucker grüner Uniform mit silbernen Epauletten, einer glänzenden Waffe an der Seite und – Schönstes von Allem – einem hohen dreieckigen Hut mit einem mächtigen, bunten und weißen Federbusch. Der Ceremonienmeister empfing den Ankömmling. Dieser erwiderte ehrfurchtsvoll die Bücklinge. Alles war entzückt über seine stramme militärische Haltung, sein nobles Aussehen, seine leutseligen Begrüßungen. Plötzlich aber begann die hohe Person sich auf eine Weise zu benehmen, die man nicht verstand. Sie hielt ein Papier in der Hand, übergab dies dem Ceremonienmeister und dann, hastig wie der Wind, wollte sie davon eilen. Allein man zog und zerrte den hohen Herrn mit Gewalt in den Thronsaal. Man glaubte nämlich jetzt begriffen zu haben, daß es bei europäischen Fürsten guter Ton sei, sich entsetzlich gegen Ehrenbezeigungen zu sträuben, sogar an der Pforte des Ehrentempels noch einen Fluchtversuch zu machen, und nahm an, daß diese hohen Personen genöthigt sein wollten, das Füllhorn der Ehren zu empfangen, etwa wie eine junge Dame, die zwar vor Begierde brennt, sich hören zu lassen, dennoch fast gewaltsam an’s Piano gezogen werden muß. Der Fürst – denn wer sollte er anders sein? – gelangte so ohne sein Zuthun bis an die Stufen des Thrones. Er sträubte sich zwar noch immer, da er aber entdeckte, daß, je mehr er sich sträubte, desto mehr Nöthigung und Gewalt ihm angethan wurde, um ihn zu all’ den ihm zugedachten Ehren zu zwingen, so wurde er zuletzt lammfromm und ließ sich Alles gefallen, was man mit ihm vornehmen wollte.

Man nöthigte ihn niederzusitzen, denn damals saß man noch am tunesischen Hof (auch heute geschieht dies noch zuweilen, das heißt: nur der Bey, sein Gast und der erste Minister sitzen). Man reichte ihm Kaffee, gab ihm eine lange Pfeife: Alles damals noch übliche Dinge, jetzt von der europäisirenden Etiquette abgeschafft. Dann begann die Conversation, oder vielmehr, sie sollte beginnen. Der Dolmetscher sprach französisch und übersetzte der Durchlaucht einige höfliche Phrasen seines Gastherrn. Aber leider schaute dieser den Beamten nur groß an und erwiderte kein Wort. War es möglich, daß der Fürst ihn nicht verstand? Oder war er taub? Oder huldigte die Etiquette seines Vaterlandes dem Grundsatz: „Schweigen ist Gold“? Kurz, es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Mit dem Französisch ging es nicht. Damals war leider der preußische Deserteur Schulze, dessen Leben ich im „Globus“ beschrieben habe, noch nicht Throntrabant bei Seiner Hoheit, sonst hätte der Mann doch eine Seele hier gefunden, die ihn verstand.

Da es mit dem Sprechen nicht vorwärts wollte, so verfiel man auf die Zeichensprache. Der Bey deutete auf Brust, Mund und Stirn und wollte damit die Frage andeuten, ob diese drei wichtigen Organe sich bei seinem Gast wohl befänden. Dieser verstand nur die letzte Geste und glaubte, sein Federbusch sei gemeint. Er reichte dem Bey den Hut und dieser machte unter Lobeserhebungen über den schönen bunten Federbusch die Runde durch den Hofcirkel. Nun deutete der Bey auf das Herz, die beredteste Sprache, um dem Gast seine Gefühle auszudrücken. Dieser aber schüttelte bedeutsam den Kopf und brummte so etwa wie „Nix“, den ersten Laut, den man von ihm vernommen. Diese Geberde war indeß doch ausdrucksvoll genug, um dem Bey nicht unverständlich zu bleiben. Er deutete sie ganz richtig auf die Abwesenheit eines Ordenssterns auf der Brust der hohen Person. Nun entstand aber eine wichtige Discussion. Warum trug der Fürst keinen Orden? Er selbst sagte es nicht, wollte oder konnte es nicht sagen. Aus übertriebener Bescheidenheit ohne Zweifel. Dem mußte abgeholfen werden. Der Bey löste eigenhändig einen Stern von seiner Brust ab und machte Miene, ihn seinem Gast anheften zu wollen. Aber dessen Bescheidenheit war so unverbesserlich, daß dies nicht ohne drastische Maßregeln gelang. Wenn es süß ist, zu Ehren gezwungen zu werden und selbst unter diesem Zwang, der zum Ruhmestempel führt, physische Unannehmlichkeiten, wie Püffe und Faustdruck, zu erleiden, so konnte der Fürst jetzt diese Süßigkeiten schmecken. Da aber alles Sträuben doch nichts half, so wurde er zuletzt wieder sanft wie eine Taube und wartete mit Spannung der weiteren Dinge, die mit ihm geschehen sollten.

Jetzt deutete der Bey auf die Waffe, welche die hohe Person an der Seite trug. Diese nahm sie sogleich ab und überreichte sie seinem erlauchten Gastfreunde. Diese Waffe war ungewöhnlich für einen höheren Militär. Sie war nämlich kurz und gerade, etwa wie ein römisches Schwert. Dem Bey schien sie vortrefflich geeignet, um damit ein Thier auf der Jagd niederzustechen. Er machte deshalb mit einem fragenden Blick gegen seinen Gast die Geberde des Ziehen einer Jagdwaffe und des Niederstechens eines Wildes. Jetzt schien er das Richtige getroffen zu haben. Plötzlich verklärten sich die Augen des hohen Fremden. Er wurde ganz freundlich und lebhaft, wenn auch nicht mit Worten, so doch in seinen Mienen, welche deutlich zu sagen schienen: „Endlich doch einmal etwas, was ich verstehe!“ Da der Gast im besten Zuge schien gemüthlich zu werden, so wurde es der Bey auch. Jagdgespräche sind selbst unter den höchsten Herren nicht gegen die Etiquette. Weil aber hier ein eigentliches Gespräch nicht möglich war und der Beherrscher von Tunis doch gern seinen Gast befragen wollte, welcherlei Wild er zu erlegen pflege, so ließ er einen jungen Pagen kommen, der die geniale Gabe besaß, die Töne aller Thiere täuschend nachzuahmen. Zuerst brüllte er wie ein Löwe. Dieser Laut machte auf den Europäer einen so schrecklichen Eindruck, daß er fast vom Sitze aufsprang; dann kamen der Panther, die Hyäne, der Schakal; auch diese Thiere waren dem Fremden gänzlich unbekannt. Als er den Hasen, den Hirsch, das Reh, den Luchs, den Fuchs nachahmte, hatte dies Alles nur einen Ehrenerfolg. Der mit solchen Thierlauten Angeschrieene schien zwar die Töne zu kennen, aber sie klangen nicht in seinem Herzen wieder. Der Bey richtete einen fragenden Blick auf den Fürsten, als ob er sagen wollte: Nun, was giebt’s sonst noch für ein Thier? Diesem war inzwischen das Verständniß der Zeichensprache immer mehr aufgegangen. Um nun die Antwort nicht schuldig zu bleiben, hielt er beide Zeigefinger mit den Nägeln nach außen an seine Mundwinkel, grunzte dabei und im Uebereifer des Erklärenwollens stieß er endlich die Worte „Sau, Sau“ (womit er jedenfalls einen Eber meinte) aus. Wenn auch nicht diese Worte, so verstand man doch durch die Pantomime, welches unaussprechliche Thier der berühmte Reisende meine. Nun giebt es zwar auch in Afrika Wildschweine. Sie gelten aber für ebenso unrein, wie ihre zahmen Brüder, und man erwähnt ihrer nicht unter höflichen Orientalen, besonders da ihr Name ein gemeines Schimpfwort im Arabischen ist. Der geehrte Fremde hatte dadurch den ganzen Hof in Verlegenheit gesetzt. Man kämpfte mit den Gefühlen beleidigten Anstands und der Ehrerbietung, die man dem Gast erweisen wollte. Dies erleichterte sehr den Aufbruch. Kein Mensch machte Miene, den Besucher zurückhalten zu wollen, als er bald darauf steif und gravitätisch wie ein Ladstock (denn mit der Gemüthlichkeit war’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_078.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)