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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


vorbei) sich zurückzog. Nur die niederen Hofleute wagten es, sich geheimnißvoll fragend die einzigen Worte „Nix“ und „Sau“, die der Fremde gesprochen, zu wiederholen.

Als der hohe Besuch sich entfernt hatte, trat der Ceremonienmeister vor die Stufen des Thrones. In der Hand hielt er das Papier, welches jener bei der Ankunft übergeben hatte. Es war ein Brief in französischer Sprache. Man rief den Dolmetscher, um ihn zu übersetzen. Dieser wurde zwar sehr verlegen, als er das Schreiben las; da aber sein Herr sich ungeduldig zeigte, so theilte er zitternd den Inhalt mit. Derselbe war unerwartet. Es hieß darin, der Fürst sei plötzlich krank geworden und könnte heute nicht kommen. Also war es nicht der Richtige gewesen, dem man so viel Ehre erwiesen hatte! Wer aber konnte es sein? Jedenfalls eine hohe Person, denn sie trug ja Generalsuniform mit großen Epauletten und einen prächtigen Federbusch und der Federbusch sollte ja ein Zeichen hohen Ranges bei Europäern sein! Der erste Minister versprach, die Wahrheit von dem Consul des Betheiligten zu erfahren, aber er hat seinem Herrn nie das Erkundigte zu enthüllen gewagt, daß nämlich der so wider seinen Willen Geehrte und gar Decorirte der – man wird es errathen haben – Leibjäger des Fürsten Pückler-Muskau war. Dem Minister blieb nun noch übrig, von dem biedern schlesischen Bauernsohne den ihm aus Versehen geschenkten Ordensstern zurückzuverlangen, welchen dieser auch, da er ihm gänzlich überflüssig und die Diamanten wahrscheinlich falsch waren, gegen ein gutes Trinkgeld mit Freuden abtrat. Uebrigens haben die allerwenigsten tunesischen Hofleute jemals erfahren, welch’ ein Schnitzer hier gemacht worden war.

Heut zu Tage wäre ein solcher Irrthum nicht mehr möglich. Es sind jetzt zu viele Europäer bei Hofe, namentlich beim sogenannten Ministerium des Aeußern angestellt. Das Ministerium! Es verdient wohl eine Beschreibung, da in Europa dergleichen gänzlich unbekannt ist. Es ist nämlich ein wanderndes Ministerium. Alle seine Mitglieder, mit einziger Ausnahme des Ministers, wandeln beständig, huschen wie arme Seelen, die zur Strafe für ihre im Leben begangenen Sünden umgehen müssen, in den Gängen des Palastes umher, oder, wenn sie recht müde von dieser angreifenden Beschäftigung sind, lehnen sie an einen Thürpfosten, als Karyatiden am Tempel der ministerlichen Unfehlbarkeit. Denn der Minister ist eigentlich allein das Ministerium. Er thut Alles; alle Andern dienen nur dazu, seine Größe zu verherrlichen, indem sie den Kometenschweif dieses leuchtenden Gestirns bilden.

Morgens, wenn der Meister noch in seiner Villa weilt, findet sich das Ministerium an den Thoren dieses Gebäudes ein. Dort hat es einige Stunden Muße, die Blumen im Garten zu betrachten, oder, wenn es glücklich ist, mit dem einflußreichen, mit Oberstenrang geehrten Haremseunuchen des Ministers zu plaudern. Dieser weiß allein, wo die Excellenz weilt und wann sie zum Vorschein kommen wird. Ist endlich die Sonne aufgegangen, d. h. der Minister aus seinem Harem hervorgekommen, so begiebt er sich eilig in seinen Wagen, um zu Hofe zu fahren. Das Ministerium würdigt er keines Blickes, aber die zwanzig oder dreißig Personen, welche näher oder entfernter zu ihm gehören, sind desto aufmerksamer auf ihn und drängen sich zur Ehre des Handkusses. Die wenigsten kommen dazu; viele begnügen sich damit, daß sie einen Aermel, Rockzipfel oder Mantelkragen erhaschen und mit Inbrunst an ihre Lippen drücken. Die Europäer verstehen dieses Manöver gerade so gut, wie die Einheimischen, d. h. natürlich nur die im Dienst des Bey stehenden. Sie sind wahre Fanatiker des Handkusses. Die Excellenz kümmert sich gar nicht darum, wie das Ministerium ihr nachkommt. Sie weiß, daß der Kometenschweif nicht ausbleibt. Er folgt den Gesetzen der natürlichen Anziehungskraft.

Der Weg nach dem Bardo beträgt eine halbe Stunde, ist im Sommer sehr staubig, im Winter ein Sumpf. Durch diese Wüste oder diesen Sumpf watet nun das Ministerium, trübselig mit Ueberschuhen, Regenschirmen, aufgekappten Beinkeidern gegen die Terrainschwierigkeiten ankämpfend, welche ihrer harmonischen Erscheinung so gefährlich werden können, denn alle diese Herren sind ganz europäisch elegant gekleidet, frisirt und geschniegelt, tragen Glacéhandschuhe, kurz sehen aus, wie wenn sie aus dem Toilettenkasten kämen, d. h. nicht nach ihrer langen Wanderung. Nach dieser folgt erst ein halbstündiges Gebürste, dann geht das Wandern in den Gängen an. Zuweilen bleibt der Minister über Mittag im Palast. In diesem Fall hungert das Ministerium oder es kauft sich in einem der kleinen Läden im Bardo Brod und schlürft als Zuspeise die Gerüche der fürstlichen Küche ein. Einmal soll es vorgekommen sein, daß der Minister, von Mitleid über das hungernde Ministerium beschlichen, Befehl gab, man solle ihm aus der fürstlichen Küche ein Frühstück vorsetzen. Aber das war leichter gesagt, als gethan. An gutem Willen fehlte es zwar nicht. Jedoch bei arabischen Großen pflegt ein Paar Minuten nach dem Essen gar nichts Genießbares mehr vorhanden zu sein. Ihr Dienertroß ist ein Abgrund, der Alles verschlingt. So erinnere ich mich, daß einmal beim Besuch eines englischen Fregattenpersonals mit Officieren und Seecadetten, einige dreißig Köpfe stark, ein ähnlicher Befehl vom Bey selbst gegeben wurde, aber es fand sich nichts Eßbares, als ein großer Käse, den soeben ein europäischer Kaufmann als Geschenk gebracht hatte, sonst wäre er auch schon aufgegessen gewesen. Verläßt der Minister den Palast, so läuft das Ministerium voraus, denn es muß ja da sein, wenn die Excellenz aus dem Wagen steigt, um schnell in den Harem zu huschen, sonst bekommt es ihn nicht mehr zu sehen. Dies sind die einzigen Gelegenheiten, Fortschritte in der Carrière zu machen. Den Beamten wäre deshalb gar nicht damit gedient, wenn sie das Wandeln lassen müßten. Man hat es einmal versucht, Bureaux, wie sie in europäischen Ministerien sind, zu errichten, aber die Beamten hielten es nicht aus. Sie waren zu fern von der Sonne. Zu thun haben sie übrigens selten etwas; Gehalt bekommen sie auch nur auf dem Papier, aber der Dienst wirft einige Nebenvortheile ab und das tröstet sie.

Der Glanzpunkt des tunesischen Hoflebens ist das Beiramsfest. An dessen drei ersten Tagen finden die officiellen Begrüßungen statt. Da strahlt Alles in den prächtigsten Uniformen. Selbst diejenigen, welche ihre Epauletten und Orden (denn Orden regnet es hier) das ganze Jahr hindurch verpfändet haben, tragen sie heute und sie glänzen gerade so helle, als ob sie ihnen selbst und nicht dem gnädigen Pfandleiher gehörten, der sie für eine Vergütung heute hergeliehen hat. Wer nicht das Geld hat, die seinem Grad zugehörige Uniform sich machen zu lassen (und so geht’s den Meisten), leiht sie sich, einerlei ob sie paßt oder nicht, wenn sie nur glänzt.

Der erste Festtag gehört den Einheimischen, der zweite den Europäern, welche dem Bey aufwarten wollen. Am Morgen kommt die mohammedanische Geistlichkeit, naht sich mit feierlichem Singsang dem Thron und segnet den Fürsten. Dieser Auftritt ist würdig, weil unverfälscht orientalisch, denn in Tunis hat sich die Geistlichkeit noch nicht einmal im Costüm europäisirt. Dann folgt die endlose Reihe hoher und niederer Staatsbeamten oder Officiere (die Sache ist hier ungefähr gleich, denn auch die Civilbeamten führen militärische Titel und Uniformen). Die höheren sind alle „Generale“. Es giebt Finanzbeamte, die ihr früheres Geschäft nicht aufgaben und noch Wechselbuden besitzen und dennoch gleichfalls Generale sind. Alle diese Personen küssen dem Bey die Hand, d. h. die innere Seite, und so muß der hohe Herr sechs Stunden mit verdrehter Hand dasitzen. Nicht alle Ehren sind mühelos.

Die Vorstellung der Europäer am zweiten Tage findet nicht so en bloc statt, sondern der Consul und die Angehörigen jeder Nation treten nacheinander, einer den andern ablösend, in den Audienzsaal. Die Audienzen selbst sind nichtssagend, eigenthümlich dagegen ihr Vorspiel. Alle Europäer, und gewöhnlich findet sich außer den Consulatsbeamten noch eine beträchtliche Anzahl von Privaten, Kaufleuten und Reisenden ein, werden in einem abgelegenen Sale vom Ceremonienmeister empfangen. Sind sämmtliche Nationen vertreten, welche hier Consuln haben, so tritt der erste Minister mit seinem „Generalstab“ ein. Er richtet an Jeden ein paar Worte, dann stellt er sich in die Mitte und hält eine Rede. Diese Rede ist arabisch, also den Meisten unverständlich. Aber es fehlt nicht an einem Uebersetzer; nämlich ein Italiener ist beauftragt, sie so wörtlich als möglich wiederzugeben. Früher kam es vor, daß dieser Mann sich bemühte, die Rede des Ministers auch in der Uebersetzung in elegante Sprache zu kleiden. Da aber dies zu allerlei diplomatischen Zwischenfällen Anlaß gab, so wurde ihm eine buchstäbliche Uebersetzung zur Pflicht gemacht. Nichts lautet komischer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_079.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)